Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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Mund, ein schöner Greis, im Hintergrund der Stube, wohin kein Licht fiel, lehnte Friedrich Spe an der Mauer.

       Inhaltsverzeichnis

      Er hatte schon viel vom Junker von Ehrenberg gehört, ihm war die ganze Landschaft der beiden Bistümer vertraut, und in den Städten und Dörfern kannte er viele Menschen. So hatte er die wunderbaren Wirkungen des Knaben zu einer Zeit erfahren, als sie noch nicht über den Umkreis einiger Spessartgehöfte gedrungen waren, aber jedesmal, wenn ihn seine Wanderungen wieder in die Gegend brachten, wurde ihm Neues von dem Märchenerzähler berichtet und manches, was selber wie Märchen klang. Bisweilen hatte es ihn verlockt hinzugehen, dabeizusein; zu sehen, zu lauschen, aber da riefen dringendere Geschäfte, zu viel Unglückliche gab es, die nach ihm verlangten, er durfte sich nicht aufhalten bei frohen Dingen. Ob das frohe Ehrenberger Ding auch ein frohes Ende nehmen würde, das dünkte ihn eh und je zweifelhaft, er konnte sichs nicht reimen mit der sonstigen Stimmung im Lande, wie dem Bauern und dem Städter zumute war, was die Herren mit Knecht und Froner trieben. Er hatte wenig Heiteres gesehn und erlebt, was an Hoffnung noch in ihm war, magerte mit jedem Jahr ab, bis nichts mehr übrig war als eine dürre Ranke, an der sich sein Geist mit edler Beflissenheit aufrechthielt, bestrebt nach Umschau und Annäherung an das Göttliche. Manche macht der Kummer lahm, ihn machte er beweglich und behend, manche fliehen in die Einsamkeit, wenn das Gesicht der Welt sie in seiner knöchernen Wahrheit anstarrt, er nicht, er blieb unter den Menschen und trachtete danach, nicht müde zu werden, ihrer nicht, ihrer Taten nicht. Die Liebe drängt mich und brennt in mir, sagte er und ging weiter, und während ihn der Anblick der Leiden und der Verrichtungen des Wahns erstickte wie Qualm in einer unterirdischen Höhle, dichtete er die schönen Lieder der Trutznachtigall. Er hatte keinen Besitz, ihn gelüstete nach keiner Ehre, keinem Dank, keinem spiegelnden Zeichen seines Wirkens, aber die Armen und Geschändeten legten die Zeugnisse davon am Throne Gottes nieder. Er war aus einem alten Geschlecht, sein Vater war Burgvogt des Kurfürsten Gebhardt Truchseß von Waldburg gewesen, im Jesuitengymnasium zu den drei Kronen hatte er studiert und war Jesuit geworden, weil er in die fernen Missionen hatte gehen gewollt, das allein hatte seine jungen Jahre erfüllt, er hatte es dem Ordensgeneral Mutius Vitelleschi einst geschrieben: Indien hat mein Herz verwundet. Aber bald sah er, daß ihn die Heimat nötiger brauchte und die unerlösten Heiden noch warten mußten, solang es die Christen trieben, wie sies trieben. Da fing er an, von Ort zu Ort zu wandern, ein leibhaftiges Licht: Als wie die schön gezündte Kerz / sich selber muß verzehren / weil aus ihr selbst das brennend Herz / sich selber muß ernähren / also verzehrt sich alles gleich auf dieser Welt geschwinde da fließt es her in einem Streich / die Kerze steht im Winde. Den unglücklichen Frauen, die die lebendigen Fackeln abgeben mußten in der Finsternis des Jahrhunderts, wurde er zum Führer in das Tor des Todes und ließ den Glauben an eine Überwelt in ihnen erblühen, deren Gestalt und Sinn er mit Worten, so frisch und rein wie der Anfang des Lebens, aus der Tiefe seiner Seele formte. Das mochte der Grund sein, weshalb ihn dünkte, ein unsichtbarer Faden liefe von ihm zum Junker von Ehrenberg, und wenn jemand seinen Namen nannte, war ihm, als empfange er Nachricht von einem jüngeren Bruder, den er nie gesehen, es war was Fremdes und Abscheidendes da, aber auch was Blutnahes und Verbindendes. Lang hatte er ihn aus den Gedanken verloren, wußte nur, daß er bei seinem Oheim, dem Bischof weile; die aberwitzige Wut des Bischofs raubte Spe seit Jahr und Tag den Schlaf; er hatte sich nichts Ersprießliches von dem Aufenthalt des Jünglings in der Umgebung des Bischofs versprochen, das Schlimme kam bälder als er gedacht; als er vom Propst Lieblein vernahm, sie hätten den Junker in den Kerker geworfen, beschloß er gleich, ihn aufzusuchen, dazu hatte er vom Kollegium die Befugnis, es war ihm kraft seines Beichtigeramtes zu jeder Zeit unverwehrt. Still war er bei Tisch gesessen, als der Magister Onno, schon vom Fieber geplagt, um Hilfweisung für seinen Zögling flehte, noch stiller lauschte er der Erzählung der tauben Lenette, die soviel Mut vor den gelehrten Herren nicht aufgebracht hätte, wenn ihr nicht Entrüstung und Schmerz die Zunge gelöst hätten. Still nahm er dann Abschied, vom Propst zur Tür geleitet und ihm die Hand drückend. Er wollte nicht bis zum andern Morgen warten, aber als er ans Gefängnis kam, wurde ihm bedeutet, er könne den Junker nicht sehen, es sei strenges Verbot ergangen, auch für die Patres, ihn zu besuchen. Das Verbot konnte nur vom Pater Gropp erlassen worden sein, Spe schickte den Dominikaner Lambrecht Dynand zu ihm, der gerade von einem Hexenbrand kam, aber der Pater Gropp war nicht zu finden, es hieß, er habe mit dem Bischof die Stadt verlassen, dieser habe nach nichts sonst getrachtet, als sich vor dem vermeintlichen Zorn des Volks in Sicherheit zu bringen. Das geduldige Volk, es wagte nicht zu mucken, der Hexenglauben war ihm zu tief ins Fleisch gebläut. Indessen rief den Pater Spe die geistliche Pflicht zu andern Verdammten, am Morgen erfuhr er, der Freifrau von Ehrenberg seien Daumstock und Beinschraube angelegt worden, der Sohn sei dessen Zeuge gewesen und ohnmächtig vom Platz getragen worden; ob die Freifrau den nächsten Grad der peinlichen Frage überstehen werde, sei zweifelhaft, sie wolle aber keinen Beichtiger vor sich lassen, singe bloß wahnsinnig vor sich hin und liebkose ein Luftbild, das sie für ihren lieben Sohn halte. Erst am Freitag, dem Tag Mariae Heimsuchung, nach abermaligem Appell an den Pater Gropp, der mittlerweile in die Stadt zurückgekehrt war und die Amtsgeschäfte des Bischofs führte, ward dem Pater Spe der Zutritt in den Kerker des Junkers verstattet.

      Der Junker saß auf einer hölzernen Bank, beide Hände hielten das Sitzbrett, er schaute gradaus in die Höhe. Sein Gesicht war verfallen, aber die Augen hatten einen Glanz, daß der Pater den Blick nicht aushalten konnte. Durch ein schießschartenähnliches Fenster fiel schwaches Licht in den modrigen Raum, der dem Innern einer bauchigen Flasche glich; die Decke war hoch gewölbt. Der rechte Fuß des Junkers stak in einem eisernen Ring, von dem eine schwere Kette am Steinboden entlang zu einem andern in der Mitte der Mauerwand befestigten Ring lief. Seine Züge hatten noch nicht den Ausdruck des unermeßlichen Erstaunens verloren über das, was mit ihm geschehen war und geschah. Manchmal hatte er sich jäh erhoben, mit wildschlagendem Herzen, und war, die Kette nach sich schleifend, in der Zelle auf-und abgelaufen, die Mauer antastend, mit den Fingerspitzen an der rauhen kalten Mauer entlang. Er horchte in der Nacht auf die furchteinflößenden Geräusche, die aus dem Haus, von weit oben her, zu ihm drangen oder von unten oder von rechts und links, er konnte es nicht unterscheiden, ersticktes Flüstern war es, dann ein Sägen, ein Pochen, auf einmal ein ferner Schrei wie von einem Pfau. Er konnte es nicht fassen, daß immerfort Mauern um ihn waren, die wuchtige wuchtigverschlossene Tür, an der jedes Rütteln umsonst war, sie ließ einen nicht hinaus. In den ersten Tagen rührte er keine Speise an, trank nur vom Wasser, nicht aus Trotz, aus Verwunderung. Dreimal hatte man ihn zum Verhör geführt, er verstand die Fragen nicht, statt zu antworten, lachte er, sah sich ungläubig um. Es erschien ihm alles so töricht wie ein unbegreifliches Schelmenstück, das ihm angetan worden, aber im Traum angetan, er fand keinen ordentlichen Zusammenhang und keine Vernunft darin. So erregte er den Zorn des Richters, aber Hand an ihn zu legen durfte man nicht wagen, es war nur erlaubt, ihn mit der Folter zu bedrohen und ihm die Instrumente zu zeigen, aber seine Haltung, sein treuherziges Sicherkundigen, die Furchtlosigkeit, die in ihm war, nicht anders als in einer Pflanze, es verfehlte seinen Einfluß selbst auf die versteinerten Gemüter nicht, Richter, Profoßen und Knechte, die alles schon gehört und gesehen hatten, was das Bewußtsein der Unschuld den Verzweifelten eingibt, gegen alle Beteuerung, alle Qual abgestumpft waren, vor dieser geisterhaften Heiterkeit und halb lächelnden Verlorenheit aber widerwillig-ratlos standen. Oft erstaunte ihn auch das Grausige und die Erwartung der Schrecken nur, das gibt es also auf der Welt, schien er sagen zu wollen, das muß ich mir merken, es war als schaue er sich selber zu, sowie er den andern zuschaute, als seien seine Person und sein Schicksal zweierlei Sachen und er müsse das neue Wissen, das ihm zuteil wurde, erst in sich verweben, in sich verfluten lassen. Dann holten sie ihn, damit er der Marterung der Freifrau anwohnen sollte, sie erachteten es als ein sicheres Mittel, um das Geständnis seiner unholdischen Beschaffenheit von ihm zu erlangen, bei ihr wußten sie sich der Sorge ledig, in ihrer wehleidigen Schwäche würde sie sich schon nach dem ersten Grad als Hexe bekennen. Da hatten sie aber falsche Rechnung gemacht; als die Freifrau, den Knaben gewahrend, mit jubelnd-inbrünstiger Bewegung die Arme nach ihm ausstreckte und alles andere um sich vergaß, die wilden Schmerzen und daß sie dalag, nackt bis zu den Hüften, flüsterte der Junker nach einem glücklichen Aufleuchten in den Augen,