Thomas Le Blanc (Hrsg.)
Auf phantastischen
Pfaden
Eine Anthologie mit den
Figuren Karl Mays
KARL - MAY - VERLAG
BAMBERG • RADEBEUL
Herausgeber der Reihe „Karl Mays Magischer Orient“:
Thomas Le Blanc und Bernhard Schmid
In der Reihe „Karl Mays Magischer Orient“ sind bisher erschienen:
Band 1 – Alexander Röder Im Banne des Mächtigen
Band 2 – Alexander Röder Der Fluch des Skipetaren
Band 3 – Alexander Röder Der Sturz des Verschwörers (2017)
Band 4 – Alexander Röder Die Berge der Rache (2017)
Thomas Le Blanc (Hrsg.) Auf phantastischen Pfaden
Eine Anthologie mit den Figuren Karl Mays
Weitere Informationen finden Sie im Internet auf
www.magischer-orient.karl-may.de
© 2016 Karl-May-Verlag, Bamberg
Alle Urheber- und Verlagsrechte vorbehalten
Illustration: Elif Siebenpfeiffer
Umschlaggestaltung: Petry & Schwamb, Freiburg
ISBN 978-3-7802-1499-7
Vorwort
Als Karl May in den 1880ern und 1890ern seine beliebten und erfolgreichen Reiseerzählungen verfasste, da konnte er seine Helden in exotischen Kulissen wie der Prärie, den Kaktuswüsten und den Felsengebirgen des amerikanischen Westens, den argentinischen Pampas, den nordafrikanischen und arabischen Sandwüsten sowie dem wilden Kurdistan und einigen hinterindischen Inseln frei agieren lassen, da alle diese Schauplätze dem damaligen Leser wie Traumwelten erschienen, weil es seine finanziellen wie logistischen Möglichkeiten überstieg, diese Weltgegenden selbst zu besuchen. Heute bieten ungezählte Reiseveranstalter an, für erschwingliche Preise uns in jeden Winkel dieses Planeten zu transportieren, außerdem können wir mittels Google Earth jeden beliebigen Ort der Erde am heimischen PC aus der Vogelperspektive betrachten.
Wenn Karl May heute noch leben würde und seine Leser heute zu literarischen Abenteuern in unbekannte Regionen entführen wollte, dann müsste er Fantasy schreiben und seine Geschichten in magisch verfremdeten irdischen Gegenden oder gar in parallelen Welten mit fiktiver Geografie ansiedeln. Wie solch phantastische Geschichten mit den uns vertrauten Helden aussehen könnten, das zeigen wir in dieser Anthologie, mit der wir quasi auf phantastischen Pfaden wandeln wollen. Wir haben deshalb einige moderne deutsche Autoren gebeten, Karl Mays literarisches Universum nicht bloß um neue Abenteuer, sondern um neue phantastische Abenteuer zu bereichern.
Die Autoren haben sich auf Karl Mays bevorzugte Weltgegenden beschränkt – auf den Orient des Osmanischen Reichs und auf den Wilden Westen – und haben einerseits die Fabelwesen aus 1001-Nacht-Geschichten und andererseits das schamanische Denken der nordamerikanischen Indianer in ihre Abenteuer eingebracht. Aber sie sind auch noch einen Schritt weitergegangen und haben das Vermischen von Welten, das Karl May so virtuos beherrschte, aufgegriffen und Karl May selbst in sein imaginiertes Universum hineingetragen und somit seine literarischen Träume neu geträumt.
So sind 23 abenteuerliche Erzählungen von 20 Autoren entstanden, humorvolle wie auch dramatische Geschichten, Geschichten, die nahe am Karl-May-Feeling geblieben sind, sowie einige sehr bemerkenswerte Phantasien, die die Barriere zwischen Erzähler und Held durchbrochen haben – auf diesem literarischen Pfad bewegte sich Karl May sein Leben lang. Durchweg sind es Geschichten geworden, bei denen man von der ersten bis zur letzten Zeile spürt, mit welchem Vergnügen sie geschrieben wurden.
Ich wünsche deshalb allen Lesern, dass sie mit eben solcher Freude die hier präsentierten Abenteuer lesen werden.
Thomas Le Blanc
Maike Braun
Die Weisheit des Hadschi Halef Omar
Ich riss mich wahrlich nicht darum, den Schott noch einmal zu durchqueren. Aber wenn wir unsere Verabredung einhalten wollten, blieb uns nichts anderes übrig. Der Weg von der kleinen Oasenstadt im Süden des Landes, von woher wir kamen, um den See herum bis nach Tozeur war wesentlich länger als die direkte Durchquerung. Unser Freund Omar begleitete uns auch dieses Mal, doch ich merkte gleich, dass er sich nicht wohl dabei fühlte. Vielleicht lag es an dem weiteren Reisenden, einem Korbhändler, der sich uns mit seinen mit sperrigen Palmwedeln und Körben aller Art bepackten Lastkamelen angeschlossen hatte. Jedenfalls schien unsere Reise unter keinem guten Stern zu stehen.
Kaum hatten wir die Oasenstadt hinter uns gelassen, als eines der Lastkamele des Händlers zu lahmen begann. Wir debattierten, ob wir zurückkehren sollten, doch der Korbhändler hatte es genauso eilig wie wir, und Omar war auf das Geld angewiesen.
Gerade passierten wir eine Felsengruppe, die den Beginn des Sees markierte. Irgendwer spielte auf einer Flöte ein einsames Lied. Es klang, als wehte es vom Jenseits herüber. Mein kleiner Berberhengst warf aufgeregt den Kopf in den Nacken. Selbst Halef, der sonst kaum in seinem Redefluss zu bremsen war, starrte finster vor sich hin.
„Was hast du?“, fragte ich ihn.
„Ich glaube, wir fordern das Schicksal heraus“, antwortete er und sprach aus, was mir schon die gesamte Zeit schwer auf der Seele lag. Er sei die Schluchten des Dschebel Aures hinunter- und wieder hinaufgeklettert, habe den Dschebel Chelia erklommen – was nicht stimmte, da uns der Führer zum höchsten Gipfel des Gebirges kurzfristig abgesprungen war – Allah sei Dank immer wohlbehalten, und noch immer habe er seiner Pflicht als Rechtgläubiger nicht Genüge getan, schlimmer noch, er befinde sich bald weiter denn je von Mekka entfernt.
„Ich verspreche dir, mein lieber Halef, du wirst deine Pilgerreise bald antreten können. Ich werde dich nach Kräften dabei unterstützen.“
„Das würdest du, ein Ungläubiger, für mich tun?“
„Wenn ich es dir doch sage.“
Sofort trat ein munteres Glitzern in die Augen meines Dieners und er schlenkerte mit den kurzen Beinen auf seinem klapprigen Gaul.
Dann ließen wir den letzten sicheren Grund hinter uns und vor uns breitete sich eine weiße Ödnis aus, die sich über den gesamten Horizont erstreckte. Tiefe Risse durchzogen die Salzkruste, als ob sich die Erde selbst schuppte, darüber spannte sich ein ausgebleichter Himmel. Niemand sprach.
Vorsichtig betrat Omar den Schott, gefolgt von dem Korbhändler, der nervös um sich blickte. Ich bildete den Abschluss.
Plötzlich veränderte sich der Untergrund rechts und links unseres schmalen Pfades. Eine in giftigem Rosa gefärbte Salzlake leckte an dem schmalen Streifen begehbaren Untergrunds. Omar erzählte, wie einmal ein Verzweifelter davon Wasser geschöpft hätte und wenige Stunden später an den Krämpfen in seinem Leib verendet sei.
„Allmächtiger Gott, bewahre uns vor solchem Schicksal“, hörte ich Halef vor mir.
Schweigend ritten wir voran. Mein kleiner Diener drehte sich immer wieder um, um sich anhand der schwindenden Felsbrocken am Eingang des Salzsees zu überzeugen, dass wir uns vorwärtsbewegten. Der Horizont gab uns keinerlei Anhaltspunkte. Wir hätten genauso gut auf der Stelle treten können.
Die Farbe der Salzkruste veränderte sich. Auf der Oberfläche hatte sich Wasser angesammelt. Omar hielt an, um den Untergrund zu prüfen.
Der Korbhändler drängte ihn weiterzugehen. „Ich sehe keinen Unterschied zwischen hier“, er deutete