wenn es dir beliebt“, sagte Omar. „Ich aber werde einen Bogen um diese Pfütze einschlagen.“
Mürrisch folgte ihm der Händler.
„Der Mann gefällt mir nicht, Sihdi. Ich glaube, ihm folgt ein böser Geist, ein Dschinn.“
„Wir können ihn aber nicht zurücklassen.“
Darauf wusste Halef keine Antwort. Aber es erging mir genauso wie ihm. Entweder der Mann war wirklich in großer Eile, oder er führte etwas im Schilde. Wie dem auch sei, jetzt war es zu spät, darüber nachzudenken. Auf dem Schott galt es zusammenzuhalten, sonst war man verloren.
Ich weiß nicht, wie lange wir so weitergingen. Ich hing meinen Gedanken nach, sah mich im Schatten von Palmen Datteln verzehren, mich in meinem Lieblingskaffeehaus in Tozeur an der köstlichen Flüssigkeit laben, malte mir aus, auf einer Dehabïe den mächtigen Nil entlangzusegeln ...
... und fiel fast vom Pferd. Die Hitze musste mir mehr zugesetzt haben als gedacht, und ich war kurz weggetreten. Mein kleiner Diener stand neben mir und richtete mich wieder auf. Ich lächelte ihm dankbar zu, als mir das grünlich schimmernde Wasser um die Fesseln seines Pferdes auffiel. „Halef!“, rief ich und klopfte seinem Gaul auf den knochigen Hintern, als er nicht sogleich reagierte und weiterritt. Seiner Mähre hatte die Hitze wohl auch zugesetzt, denn sie bäumte sich auf, und Halef, völlig von dieser unerwarteten Kraftanwandlung seines Pferdes überrascht, stürzte zu Boden. Ich sprang sogleich von meinem Berberhengst, um ihm zu Hilfe zu eilen.
Ich weiß nicht, was in diesem Moment in Halefs Kopf vorging, doch er trat einen Schritt zur Seite von mir weg, statt auf mich zu.
Sofort brach er ein. Grünes Salzwasser schnappte nach seinen Knöcheln, seinen Waden – ein Ruck, und nur noch sein Oberkörper ragte heraus. Ich warf mich flach auf die Salzkruste, der Riss vergrößerte sich, öffnete sich wie das Maul eines hungrigen Ungeheuers, Halefs Hand verschwand und dann sah ich nur noch die angstgeweiteten Augen meines Dieners.
Das alles geschah schneller als ein Wimpernschlag.
Allah ïa Sahtir, o du Bewahrer, so hilf mir!, rief Halef und ruderte mit den Armen. Für einen Moment schöpfte er Hoffnung, als sich sein Turban in der Salzkruste über ihm verhakte und sein Fall sich verlangsamte – allah kerim, Gott ist gnädig –, bis das Tuch riss und er mit halb entblößtem Haupt tiefer hinabsank. Der letzte Lichtfleck schrumpfte auf einen Punkt, dann war auch dieser erloschen.
Ich griff nach dem Seil, das mir Omar reichte, und warf es Halef hinterher. „Halt dich fest, Halef!“, rief ich, obwohl ich wusste, dass er mich nicht hören konnte. Es verschwand in dem grün schillernden Loch. Nur die Spitze von Halefs Turban war noch zu sehen. Doch dann – dem Herrn sei Dank! – blieb Halef stecken, hatte vermutlich festen Grund unter den Füßen gefunden, jedenfalls sank er nicht tiefer.
Ich robbte ein paar Zentimeter weiter, um ihn am Arm zu greifen, als das Loch weiter aufbrach und mich ebenfalls in den Abgrund zu ziehen drohte. Ein Stück von Halefs Turban löste sich, ich griff danach, versuchte die Stoffbahn und damit meinen treuen Diener einzuholen wie ein Fischernetz, doch das Tuch riss.
Von Halef keine Spur. Nicht einmal Luftblasen.
Er sank weiter, das Salz brannte auf seinen Lippen und in seinen Augen, sein Herz hämmerte gegen den Brustkorb, verlangte hinaus, drohte die Lunge zu sprengen, als er Boden unter den Füßen spürte. Allah akbar, Gott ist groß, presste er in Gedanken hervor und versuchte sich abzustoßen. Doch es gelang ihm nicht. Stattdessen fiel er auf die Knie und der letzte Rest Luft entwich ihm. Da wusste er, das Ende war gekommen, und er bereitete sich auf das Sterben vor. La illah illa e llahu, es gibt keinen Gott außer Gott.
Hinter dem kalten Schleier des Salzwassers sah er ein grünliches Licht aufleuchten.
O Allah, Allmächtiger, ist das der Eingang zur Hölle, sollte es tatsächlich so weit sein?
Er schmeckte das bittere Salz seiner Tränen, als sich eine Gestalt aus der phosphoreszierenden Finsternis schälte. Es war ein Mann nach Art der Türken gekleidet. Er trug eine Pumphose und einen Spitzbart. Der Schnurrbart war dünn und schmal wie auch sein Träger. Seine Augen funkelten wie Smaragde im Kerzenschein. Er beugte sich zu Halef hinunter und reichte ihm die Hand.
„Ich brauche ein paar Palmwedel, schnell“, sagte ich zu Omar, „wir müssen mein Gewicht auf eine größere Fläche verteilen.“ Im Hintergrund hörte ich den Händler erst Stoßgebete aussenden und dann Omar beschimpfen. Der ließ sich davon nicht von seinem Vorhaben abbringen und löste rasch ein Bündel Palmwedel von einem der Kamele.
„Gott erbarme dich, genauso habe ich es in meinem Traum gesehen“, rief der Händler. „Wir können nichts mehr für ihn tun, lasst uns weitergehen, damit uns nicht dasselbe Schicksal ereilt“, fuhr er fort und zerrte an meinem Arm.
„Mach dich nützlich“, herrschte ich ihn an, „und führe die Tiere ein Stück vor und wieder ein Stück zurück.“ Die Gefahr, dass er sich auf eigene Faust durchkämpfen würde, schätzte ich als gering ein. Mut war nicht seine Stärke. Aber es war wichtig, dass die Tiere nicht zu lange auf der Stelle verharrten, weil sonst die Gefahr bestand, dass ihr Gewicht die tragende Salzschicht durchbrach. Außerdem konnte ich das Gejammer des Mannes nicht länger ertragen.
„Versuch es damit“, sagte Omar, der in der Zwischenzeit ein paar der Palmwedel notdürftig miteinander verflochten hatte.
Ich ging ein Stück um die Einbruchstelle herum und robbte mich Zentimeter für Zentimeter auf der behelfsmäßigen Unterlage dichter an die Stelle heran, an der ich Halef vermutete. Zwar sank ich auch hier einen Daumen breit ein, doch die provisorische Matte trug mein Gewicht. Omar wies ich an, in der Zwischenzeit das Seil an einem der Wedel zu befestigen. Als ich mich so weit auf das Salz hinausgewagt hatte, wie mir möglich schien, stocherte ich mit diesem Wedel in dem grün schillernden Spalt.
Dankbar ergriff Halef die ausgestreckte Hand, und im selben Moment konnte er nicht länger an sich halten und riss den Mund auf. Doch maschallah, Wunder Gottes, statt brackigem Salzwasser strömte herrliche, klare Luft in seine Lunge hinein. Fast meinte er den Duft von Jasmin einzuatmen. Er blähte die Nasenflügel auf und sog das köstliche Nass in sich hinein.
Hamdulillah, Preis sei Allah, rief er und ließ die Hand des Fremden los, um auf die Knie zu sinken und Allah, dem Barmherzigen, dafür zu danken, seine Sünderseele gerettet zu haben. In dem Moment schnürte sich seine Kehle zusammen, ein Hustenanfall rüttelte seinen Leib und er versuchte mit der letzten ihm verbleibenden Kraft, das Wasser, das plötzlich wieder in ihn hineinströmte, hinauszupressen.
Oh, du Hund, Verfluchter, welch übles Spiel spielst du mit mir?, wollte er dem Fremden zurufen, doch er stieß nur Wolken braunen Wassers aus.
Der Fremde griff nach ihm, und im selben Moment vermochte Halef wieder zu atmen. Willig folgte er seinem Retter durch das grüne Dämmerlicht.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Es war Omar. Er sah mich schweigend an. Er hatte seinen Vater an den Schott verloren, und wir hatten ihn überzeugen müssen, ihn dem Salz zu überlassen. Jetzt war es an ihm, mich im Leben zu halten.
Aber ich wollte nicht aufgeben, noch nicht.
„Ich will es nur noch einmal etwas weiter hier drüben versuchen“, sagte ich, erhob mich vorsichtig und ging ein paar Schritte weiter.
„Sihdi, es ist genug“, sagte Omar und fasste mich sanft am Arm. „Wir können nichts mehr für ihn tun.“
Halef konnte nicht sehen, wohin er trat, doch spürte er Steine unter seinen Sandalen, dann wieder weichen Untergrund, als ob unter dem Salzsee ein weiterer verborgen sei. Vielleicht befand er sich doch in der Dschehenna, der Hölle, und sein Führer brachte ihn lediglich zu dem ihm vorherbestimmten Platz. Die Angst legte sich um Halefs Brust wie Lederriemen, und mit jedem Schritt schnitten sie stärker ein. Er wurde langsamer und langsamer.
Der Fremde blieb stehen und musterte ihn.
So schnell gibst du auf?, schien sein Blick zu sagen.
Irgendetwas an seinem Retter erinnerte ihn an den