Armand Amapolas

Emma erbt


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er akribisch Gläser polierte, Emma zu, kaum dass Gerd Schröder doch noch abgedreht hatte. »Lassen Sie mal«, schob er das Geld zurück, das Emma ihm für das Bier hinlegen wollte: »Das geht aufs Haus. Oder lehnen Sie diese Einladung auch ab?« Emma schüttelte den Kopf und lachte.

      Sie hatte dann doch noch ein zweites Bier getrunken – ein selbst bezahltes – und Mirko, so hieß der Kellner, nach dessen Jugend in Köln ausgefragt und danach, was ihn nach Teneriffa gebracht hatte. Es war simpel: die Hotelkette, für die er arbeitete, hatte ihm den Job hier angeboten. Eine Karrierestation. Eigentlich hatte er Hotelkaufmann gelernt, in der Bar half er nur aus: »Wir müssen sparen am Personal, und außerdem macht es mir Spaß. Man lernt interessante Menschen kennen und manchmal auch nette. Und hört wilde Geschichten.«

      »Haben Sie von dem Mann aus dem La Palma nebenan gehört, der vor drei Jahren spurlos verschwunden ist?«

      »Ja, komische Geschichte. Da wird viel drüber geredet. Damals war ich aber noch nicht hier. Ich war auf Mallorca zu der Zeit. Aber dieses Apartmenthaus nebenan ist ein Quell irrer Geschichten. Das reinste Geisterhaus. Wohnen Sie da etwa?«

      »Ja.« Im Geisterhaus also.

      Das war wohl gegen Eins gewesen. Emma hatte sich beschwipst gefühlt. Von zwei Bier! Ihr fiel auf, dass sie seit Mittag, seit dem Stopp am Strand der Costa Adeje, seit ihrem Business-Lunch mit Jo Hollerbeck, nichts gegessen hatte.

      Jetzt knurrte ihr Magen. Das Hungergefühl überkam sie gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass ihr Smartphone vorhin geklingelt haben musste und gleichzeitig Oma Ilses Telefon. Nun waren beide wieder still. Dafür klopfte jemand an die Tür.

      Emma schwang die Beine aus dem Bett, riss den Vorhang auf, warf einen staunenden Blick auf das weite, wieder tiefblaue, mit Schaumkrönchen betupfte Meer und rief: »Einen Moment, ich komme!«

      Sie warf sich Oma Ilses Bademantel über – ihr Ausflug zum Pool fiel ihr wieder ein; die Mittelschwimmer dürften sie vermissen heute –, sie strich sich, so gut das eben ging, die Haare glatt, warf einen Blick in den Spiegel und sah gleich wieder weg, dann wieder hin: bin ich das? Sehe ich so verlebt aus? Andererseits könnte man sagen: Marlowe-mäßig, Humphrey-Bogart-artig: wie eine echte Reporterin halt, eine knallharte.

      Ob du eine wirklich gute Reporterin bist, weißt du am nächsten Morgen, wenn du am Abend mit einer Quelle tief im Alkohol versunken bist und alle Details noch im Kopf hast und aufschreiben kannst, hatte Paul Bärkamp ihr beigebracht. Also, wenn‘s danach ging, war sie eine wirklich gute Reporterin, fand sie. Und ging beschwingt zur Tür.

      Die Poloniaks. Schon wieder. Déjà-vu. Beide Poloniaks standen vor der Tür. Johanna streckte ihr eine Brötchentüte entgegen. Heinz hielt eine Thermosflasche in der Hand. Just in diesem Augenblick klingelte erneut das Telefon.

      Emma winkte die beiden herein und trat zwei Schritte zurück zur Anrichte, auf der Omas Telefon stand. Das »mensajes«-Licht blinkte, noch immer.

      »Ja, hallo! Hola!«

      »Frau Schneider? Spreche ich mit Emma Schneider?« Eine warme, jungenhafte, sympathische Stimme. Emma hatte keine Ahnung, wer das war, aber der Mann klang nett. Nicht aufdringlich, aber besorgt, sich kümmern wollend. »Ja. Und wer sind Sie?«

      »Mike Dorenbeck. Sie kennen mich nicht. Ich bin ein Kollege von Ihnen.«

      »Ein Kollege? Inwiefern?«

      »Ich bin Journalist. Wie Sie. Sie sind doch Journalistin, nicht wahr, Frau Schneider?«

      »Wer hat Ihnen das gesagt, und überhaupt: was wollen Sie von mir?« Emma ärgerte sich, dass sie den Inhaber dieser Stimme spontan nett gefunden hatte. Und nicht gleich wieder aufgelegt hatte. Eine Reportermasche. Eine trainierte Stimme. So was hatte sie schließlich auch gelernt, in Gelsenkirchen, im Studiengang Journalismus und Public Relations: Wie spreche ich Unbekannte an? So, dass sie nicht weglaufen oder gleich wieder auflegen. Wie gewinne ich auf Anhieb das Vertrauen meines Opfers? Ihr Dozent war ein Redakteur der Bildzeitung gewesen. Er war gut, das musste Emma ihm lassen – auch wenn sie nach wie vor tiefsitzende Vorurteile gegenüber der Bildzeitung hegte und gegenüber allen, die sich für so ein Schmutzblatt hergaben.

      »Keine Sorge, ich bin nicht von der Bildzeitung.«

      Konnte dieser, wie hieß er: Mike Dorendings, konnte auch er ihre Gedanken lesen? Oder war sie einfach leicht zu durchschauen?

      »Ich bin ziemlich sicher, Frau Schneider, dass Sie mehr Fragen haben als ich und dass Sie Hilfe brauchen könnten. Und ich glaube, ich könnte Ihnen ein paar Ihrer Fragen beantworten – und Ihnen helfen zu verstehen, in was Sie da hineingestolpert sind.«

      »Woher wollen Sie wissen, Herr Doren… .«

      »Dorenbeck, Mike Dorenbeck. Eigentlich Michael, aber auf dieser Insel schleifen sich alle Vornamen ab.«

      »Woher wollen Sie wissen, dass ich in etwas, wie haben Sie gesagt: hineingeschlittert bin?«

      »Ich habe recht gute Kontakte zur Polizei. Und ich habe mich intensiv mit dem geheimnisvollen Verschwinden von Klaus Kaltenbrenner befasst. Der Mann, dessen Leiche Sie gestern aufgestöbert haben. Ich glaube, da sind Sie in ein Wespennest gestoßen. Ich schlage vor, wir treffen uns.«

      Emma war verblüfft – und überzeugt. Sie hatte Fragen, in der Tat. Und mit einem Profi zu sprechen, das konnte nicht schaden. Kollegial. Aber zu ihren Bedingungen.

      »Ok. Wann und wo? Aber nur, wenn Sie mich nicht zitieren und nichts über mich schreiben, was ich nicht autorisiert habe!«

      »Klar. Alles bleibt ›unter Drei‹. Sie können sich auf mich verlassen. Ehrenwort! Sagen wir um zwölf an der Plaza del Charco?«

      »Um Eins, lieber. Ich habe Besuch. Vor Eins kann ich nicht dort sein. Wo genau? Im Café Océano?«

      »Wenn Sie mögen. Das ist der deutsche Rentnertreff dort. Von wem haben Sie Besuch, wenn ich fragen darf?« Mike Dorenbeck klang besorgt.

      »Das geht Sie, glaube ich, nichts an. Jedenfalls habe ich nicht Besuch von Ihrer Konkurrenz, falls Sie das beruhigt. Also um Eins am Rentnertreff!«

      Und damit legte Emma auf.

      Die Poloniaks hatten inzwischen den Klapptisch auf dem Balkon aufgestellt und eingedeckt, mit Tellern und Tassen, Besteck und Serviette. Aus einem Brotkorb lachten Emma Schokocroissants entgegen – und Rosinenbrötchen.

      »Du magst hoffentlich Kaffee?« fragte Frau Poloniak: »Wir wussten ja nicht, ob du vielleicht eher die Teetrinkerin bist.«

      Richtig. Man duzte sich ja. Seit Carmen und dem Gummibaum, fiel Emma zum Glück noch rechtzeitig ein.

      »Kaffee ist schon ok. Das ist sehr nett von … Euch. Woher wusstet ihr, dass ich noch nicht gefrühstückt habe?«

      »Wie solltest du? Heute hast du jedenfalls das Apartment noch nicht verlassen und gestern warst du den ganzen Tag unterwegs, bis in die Puppen.«

      Während seine Frau sprach, goss Heinz Poloniak Kaffee ein.

      »Woher wissen Sie.., woher wisst Ihr das alles? Trage ich einen kleinen Sender bei mir? Könnt Ihr meine Bewegungen verfolgen?«

      Johanna Poloniak lachte laut auf, ihr Mann lächelte: »Das würde meiner Frau gefallen, glaube ich. Aber nein: wir wollten dich gestern wieder zum Abendessen mitnehmen. Du warst nicht aufzufinden. Ans Telefon bist du auch nicht gegangen. Wir haben dich mehrfach zu erreichen versucht. Hörst du den Anrufbeantworter nicht ab?«

      »Das muss ich noch tun. Ich war gestern mit einem Makler unterwegs und habe mir Apartments angesehen.«

      »Willst du etwas kaufen? Willst du dich auf der Insel niederlassen?« Johanna Poloniak wirkte jetzt ganz animiert: »Darüber haben wir auch schon nachgedacht, Heinz und ich, nicht wahr, Heinz?« Sie warf einen Zustimmung erheischenden Blick zu ihrem Gatten hinüber. Der nickte schwach.

      »Nein, ich will vielleicht das Apartment meiner Großmutter, das hier, verkaufen. Und ich wollte mir erst mal einen Marktüberblick verschaffen.«

      »Das