Armand Amapolas

Emma erbt


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unserer schönen Insel Teneriffa, an einem gottvergessenen Ort mitten in einem entlegenen Gebirge ein Amulett zu suchen? Können Sie mir das verraten? Sie haben mich wirklich neugierig gemacht?«

      Emma musste zugeben: so wie die Frage aus Kommissar Madrigals Mund kam, wirkte ihre Geschichte alles andere als glaubwürdig. Viel hätte nicht gefehlt und sie hätte sich selbst verdächtig gefunden.

      »Ich weiß, das klingt komisch, aber es ist nun einmal, wie es ist. Vor zwanzig Jahren, auf dieser Wanderung mit meinen Großeltern, ich war fünfzehn, habe ich dort in diesem Steinhaufen, der mal eine Hütte war, ein Amulett versteckt, ein goldenes Amulett, den mir ein Freund geschenkt hatte. Ich wollte Schluss machen mit diesem Freund…«

      Madrigal schob seinen Drehstuhl zurück und zog eine Schublade auf. Er holte etwas hervor und ließ es vor Emmas Kopf schwingen.

      »Haben Sie das hier gesucht?« fragte er lächelnd.

      »Sie haben es gefunden? Es war also tatsächlich dort? Ich habe mich nicht geirrt?«

      »Nein, Señorita Schneider, Sie haben sich nicht geirrt. Sie waren am richtigen Ort. Ob Sie mit dem richtigen Partner dort waren und zur richtigen Zeit, das überlasse ich allerdings Ihrem eigenen Urteil.«

      Wieder lächelte Madrigal süffisant, wobei sein feiner schwarzer Schnurrbart ein Eigenleben zu führen schien. Überhaupt war vieles schwarz an diesem Kommissar, fiel Emma auf. Er hatte tiefschwarzes, glatt nach hinten gekämmtes, zweifellos gegeltes Haar. Er trug ein schwarzes Hemd und eine schwarze Krawatte, was den goldenen Krawattenhalter umso auffälliger hervorstechen ließ. Wie alt mochte er sein, der Herr Kommissar? Emma schätzte ihn auf Mitte bis Ende vierzig und fragte: »Sie wollten mir noch erklären, warum Sie Herrn Hollerbeck, wie Sie das offenkundig tun, für keine gute Gesellschaft halten?«

      »Habe ich das gesagt, Fräulein Schneider? Das habe ich ganz sicher nicht gesagt. Wir betreiben hier keine üble Nachrede. Wir sind hier bei der Polizei und nicht bei der Presse.«

      Jetzt war sie also ›Fräulein Schneider‹, keine Señorita mehr. Was hatte das zu bedeuten? Vielleicht sollte sie vor diesem schwarzen Señor Madrigal, der so ungezwungen auf Deutsch parlierte, auf der Hut sein.

      »Ihr Deutsch ist hervorragend, Herr Kommissar. Wo haben Sie es gelernt?«

      »Schon in der Schule, in León, auf dem Festland. Auf der ›Halbinsel‹, wie die Tinerfeños sagen. In Kastilien. Meine ganze Familie war sehr an Deutschland interessiert. Später habe ich einige Zeit in Osnabrück gelebt. Man soll dort, habe ich gehört, das reinste Deutsch überhaupt sprechen.«

      »Das ist ein Irrtum. Das beste Deutsch wird in Gelsenkirchen gesprochen«, widersprach Emma ihm, um des reinen Widerspruchs willen.

      »So? Ist das wahr?« Madrigal tat ernsthaft irritiert. »Ich dachte, in Gelsenkirchen werde eher wenig gesprochen, sondern nur Fußball gespielt – wenn auch nicht besonders gut.«

      Was wurde das hier? Was auch immer, Emma entschloss sich mitzuspielen:

      »Letzteres stimmt, ersteres nicht. Der bessere Fußball wird natürlich in Dortmund gespielt, der beste überhaupt, jenseits von Barcelona.« Emma nahm an, dass Kommissar Madrigal, wenn er aus Kastilien stammte, vermutlich kein Fan der Katalanen war.

      Treffer! Kommissar Madrigals Miene verdüsterte sich:

      »Wie können Sie so etwas sagen? Ein solch krasses Fehlurteil ist nur durch Ihre Jugendlichkeit und Ihr zartes Geschlecht zu entschuldigen. Den reinsten Fußball der Welt spielt natürlich Real Madrid. Und den effektivsten Bayern München.«

      »Mein Geschlecht? Denken Sie, Frauen können nichts von Fußball verstehen? Haben Sie die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft schon mal spielen gesehen?«

      »Nein, und das werde ich wohl auch nie. Es sei denn, eine Ihrer Ballheldinnen begeht einen Mord, hier, auf meiner Insel, in meinem Revier.«

      »Kann ich mein Amulett jetzt wieder haben?«

      »Noch nicht, ich bedaure, aber Sie können mir beschreiben, was auf dem Amulett dargestellt ist!«

      Emma hatte das Gefühl zu erröten. Wie peinlich. Vor diesem Macho, der vermutlich nachts von Stierkämpfen träumte! Und wieso eigentlich? Was gab es hier zu erröten?

      »Ein Pferd. Ein wieherndes Pferd.«

      »Ja, das stimmt.« Madrigal hielt sich das Amulett dicht vors Gesicht und tat so, als sähe er die Gravur zum ersten Mal. »Ein merkwürdiger Liebesbeweis, finden Sie nicht auch? Oder war Ihr erster Freund – es war doch der erste, oder nicht? – ein Pferd?«

      Da half nur lachen. Emma lachte. Gekünstelt, egal.

      »Das soll ein Wildpferd aus dem Emscherbruch darstellen, aus der Gegend, wo mein erster Freund – und in dem Sinne, in dem Sie das zu meinen scheinen, war er nicht einmal mein Freund – zuhause war, und ich auch. Falls Sie das alles wirklich so genau wissen müssen. Wenn‘s der Wahrheitsfindung dient.«

      »Wir werden das Alter und die Herkunft des Amuletts überprüfen müssen, Señorita Schneider. Sie verstehen. Reine Routine.« Madrigal war jetzt wieder die Freundlichkeit selbst. »Sie wollen sicher nach Hause. Es war ein langer Tag für Sie. Ruhen Sie sich aus. Wir melden uns wieder. Ich glaube, Herr Hollerbeck wartet noch auf Sie. Er wird Sie sicher gern nach Puerto zurückfahren, in seinem Mercedes.«

      Madrigal sprang auf, reichte ihr die Hand und führte sie zur Tür: »Ach, eine Frage hätte ich noch!«

      »Natürlich, das machen Kommissare schließlich immer so.«

      »Sie scheinen sich gut auszukennen mit Kommissaren, nicht nur mit Maklern!«

      Emma fühlte, dass sie schon wieder errötete: »Was wollen Sie wissen?«

      »Was sagt Ihnen der Name Klaus Kaltenbrenner?«

       8. Kapitel

      »Nichts. Kann ich jetzt gehen?« hatte Emma geantwortet – aber nun kamen ihr Zweifel. Stimmte das? Hatte sie dem Kommissar die Wahrheit gesagt?

      Wieder saß sie neben Hollerbeck in dessen weißem Mercedes. Wieder war sie auf der Autobahn Richtung Hauptstadt und Norden unterwegs. Doch diesmal ließ sie die Landschaft kalt. Von Landschaft war auch nicht viel zu sehen, in der Dunkelheit. Auch nicht vom Meer, das sie auf der rechten Seite permanent begleitete. Emma hing Gedanken nach. Auch Hollerbeck schwieg. Ungewöhnlich genug für ihn.

      »Hat Kommissar Madrigal Sie auch gefragt, ob Ihnen der Name Klaus Kaltenbrenner etwas sagt?« brach Emma schließlich das Schweigen.

      »Ja.«

      »Und: sagt er Ihnen was?«

      »Allerdings. Ihnen etwa nicht?«

      »Nein – obwohl: irgendwie kommt er mir vor, als hätte ich ihn schon mal gehört.«

      »Vielleicht hat Ihre Großmutter den Namen mal erwähnt. Klaus Kaltenbrenner hat im La Palma gewohnt. Vor drei Jahren ist er spurlos verschwunden. Ich habe übrigens sein Apartment vermakelt.«

      Emma war sprachlos. Sie hatte nicht nur eine Leiche gefunden. An einem Ort, an dem sie im Grunde nichts zu suchen hatte. Sie hatte ein Mordopfer entdeckt, das mit ihrer Großmutter bekannt war – denn das war ihr klar: wenn dieser Kaltenbrenner im La Palma gewohnt hat und nicht nur anonymer Eigentümer war, dann musste Oma Ilse ihn gekannt haben. Oma Ilse kannte jeden im Haus. Kam Emma deswegen der Name Kaltenbrenner so vage vertraut vor? Hatte ihre Oma ihn mal erwähnt?

      »Das war eine große Sache damals. Hat Ihnen Ihre Großmutter davon nichts erzählt? Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass ein rüstiger, gesunder Rentner spurlos verschwindet. Ohne Abschiedsbrief, nichts. Und ohne Nachkommen, ohne direkte Erben. Wenn unser Toter Klaus Kaltenbrenner war, hätte wir ihn ruhig in Frieden lassen können – niemand sucht nach ihm. Aber Sie wollten ja nicht auf mich hören!«

      »Ich hatte in den letzten Jahren keinen sehr intensiven Kontakt