dieses Gedudel ab dem dritten Tag mächtig auf den Senkel gegangen.
»Wieso wollen Sie das wissen? Mögen Sie keine weißen Autos?«
»Keine Ahnung. Ich würde mir jedenfalls nie ein weißes Auto kaufen.«
»Und warum nicht?«
»Keine Ahnung. Weiß ist keine Farbe.« Wie konnte es kommen, dass dieser Jo jetzt die Fragen stellte und sie antworten musste? Hey, Emma, geh wieder in die Offensive! »Haben Sie den Wagen schon lange oder haben Sie ihn gebraucht gekauft?«
»Ich habe ihn schon lange und ich habe ihn gebraucht gekauft. Was für ein Auto fahren Sie denn?«
»Gar keins. Ich finde, Ihre Generation macht ein viel zu großes Bohei um Autos. Das sind Fortbewegungsmittel, und meistens stehen sie dumm rum. Jedenfalls in großen Städten. Und versperren Radfahrern den Weg und Touristen den Blick.«
»Aber es ist schon ok, dass wir unsere Inseltour – das war übrigens Ihre Idee! – per Auto machen und nicht mit dem Fahrrad?«
Konnte der Kerl keine Frage beantworten, ohne eine Gegenfrage zu stellen? Ist das vielleicht ein Maklertrick? Eine Masche, um Interesse am potentiellen Kunden zu heucheln und eine »Beziehung« herzustellen?
»Seit wann machen Sie denn schon in Immobilien?« versuchte Emma das Thema zu wechseln.
»Im Grunde immer schon. Eigentlich bin ich ja Architekt. Ich liebe Häuser. Aber hier auf der Insel baue ich nichts. Es steht ja schon genug herum. Und Sie: warum sind Sie Journalistin geworden?«
Ja, warum?
»Weil ich gerne Fragen stelle. Insofern hätten Sie auch ein Motiv gehabt.«
»Ein Motiv? Wozu? Haben Sie mich in Verdacht, ein Verbrecher zu sein?«
»Sollte ich? Nein, aber Sie beantworten jede Frage mit einer Gegenfrage.«
»Tue ich das? Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Aber wenn es Sie stört, benutze ich ab sofort nur noch Ausrufezeichen. Zum Journalismus fehlt mir jedenfalls die Begabung. Ich tue mich schon schwer damit, für Immobilienanzeigen die richtigen Worte zu finden. In der Regel kupfere ich bei Kollegen ab. So, das hätte ich zugegeben. Nehmen Sie mich jetzt fest, Frau Kommissarin?«
So unsympathisch, wie er ihr im Océano vorgekommen war, schien dieser Hollerbeck ja doch nicht zu sein. Er zieht halt seine Show ab, dachte Emma. Sie war grundsätzlich bereit, jeden Menschen sympathisch zu finden, der Humor bewies. Eine Schwäche von ihr, hatte Paul ihr oft erklärt, aber, fand sie, eine lässliche.
Sie waren vom La Palma zunächst nach La Paz gefahren. Das ist ein Ortsteil von Puerto, der oberhalb des Hotelviertels liegt und, laut Hollerbeck, das Hauptquartier der deutschen Residenten ist, der etwas wohlhabenderen jedenfalls. Hollerbeck hatte ihr eine Apartmentanlage nahe dem Botanischen Garten gezeigt. Von der Straße aus war der Komplex aus sechs oder acht verwinkelten, strahlend weißen Häusern, die sich um einen großen, geschwungenen Pool gruppierten, gar nicht zu erkennen gewesen, so viele Palmen und Oleanderbüsche und Bougainvillea-Hecken wuchsen um die Bauten herum. Kein Haus war höher als drei Geschosse. Die Erdgeschoss-Apartments hatten Terrassen, die in Parkanlagen übergingen, die mittleren Wohnungen große Balkone, die oberen Dachterrassen. Das alles erläuterte ihr Hollerbeck. Und erwähnte Wellnesszonen, Klimaanlagen, Einbauküchen.
»Warum zeigen Sie mir das? Ich glaube nicht, dass ich mir solche Wohnungen leisten könnte.«
»Och, das können viele auch nicht, die hier wohnen. Darlehen sind derzeit günstig zu haben. Und die Preise steigen. Wenn Sie es richtig anstellen, finanziert sich so ein Apartment von selbst.«
»Erinnern Sie sich: Ich will ein Apartment ver-kaufen, nicht kaufen.«
»Ach ja. Nein, im Ernst: Ich zeige Ihnen diese Anlage erstens, damit Sie eine Ahnung davon bekommen, welche Standards heute erwartet werden, jedenfalls von Käufern mit Geld und gewissen Ansprüchen…«
»Ach so: damit meine Ansprüche an den zu erzielenden Verkaufspreis für das Apartment meiner Großmutter nicht in den Himmel wachsen… und zweitens?«
»Zweitens? Weil ich selber hier wohne. Da hinten, in Haus Drei. Eine Maisonnette-Wohnung mit Blick auf Puerto. Falls Sie mich mal besuchen wollen.«
»Danke. Das wäre nicht nötig gewesen.«
»Och, meine Frau hätte Sie sicher gern kennengelernt. Ich glaube, Sie würden sich gut verstehen.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Na, jedenfalls musste ich ihr sehr genau erklären, mit wem und warum ich heute unterwegs bin. Meine Frau stellt genauso gerne Fragen wie Sie.«
»Ist sie Journalistin oder Maklerin – oder hat sie Grund zur Eifersucht?«
»Noch nicht.« ›Jo‹ zwinkerte ihr zu.
Oh Gott. Wo war sie gelandet? Auf der Insel der Anbaggerer? Tat sie irgend etwas, um solche Männer zu ermutigen, sie anzusabbern? Oder ging von ihr ein Beutegeruch aus? Irgendein Duftstoff, der signalisierte: Halloo, ich bin Single und verzweifelt, brauche dringend Trost und Sex?
Emma beschloss, inzwischen waren sie hinter Santa Cruz, die Dinge geradezuziehen:
»Übrigens, Herr Hollerbeck: falls Sie testen wollen, ob was geht: Lassen Sie das! Ich stehe nicht auf ältere Herren.«
Auwei, das war jetzt vielleicht doch etwas schroff ausgefallen. Aber Jo Hollerbeck schien unerschrocken. Er lächelte sie sonnig von der Seite an:
»Schade. Sind Sie sicher, nichts zu verpassen?«
Wie dreist war das denn?
»Aber keine Sorge. Ich versuche nur charmant zu sein. Ihre Gegenwart hat schon etwas, muss ich gestehen, Animierendes. Und ich darf Sie daran erinnern: es war Ihre Idee, mit mir eine Art Inselrundfahrt zu machen. Und jetzt nehmen Sie es einem alten Mann übel, dass er sich geschmeichelt fühlt! Finden Sie das fair? Aber wir können unser Gespräch auch ganz sachlich auf Summen und Quadratmeterzahlen beschränken.«
»Ich bitte darum.« Verdammt, warum musste sie lächeln, während sie diesen eiskalten Satz aussprach?
»Wohin fahren wir jetzt eigentlich?«
»An die Costa del Silencio. Sie wollten ja den Süden sehen. Spielen Sie Golf?«
Natürlich spielte sie nicht Golf. Allenfalls Minigolf. Aber auch das hatte sie zuletzt vor mindestens fünfzehn Jahren getan. Gerade wollte sie erklären, sie komme aus dem Ruhrgebiet und da finde man Golf dekadent, als ihr einfiel, dass es, ausgerechnet, in Castrop-Rauxel einen großen Golfplatz gab – und außerdem hatte sie neulich noch irgendwo gelesen, nirgendwo in Deutschland gebe es mehr Golfplätze als um das Ruhrgebiet herum. Sie beschloss, das Thema nicht zu vertiefen.
Die Costa del Silencio erwies sich, anders als der Name suggerierte, als höchst lebendige Landschaft aus älteren Hotelkomplexen, Golfclubs und Baustellen. Der Süden, erklärte ihr Hollerbeck, sei längst dabei, das Ballermann-Image abzuschütteln – obwohl es die Billighotels für Pauschalzecher natürlich immer noch gebe, aber die ballten sich in Los Cristianos und an der Playa de las Américas.
Sie hielten an einer fast fertiggestellten Golf-Stadt aus schmucken Apartmenthäusern und Villen an, und Hollerbeck zeigte ihr Häuser, für die mehr als eine halbe Million Euro verlangt würden. Zum Teil weit mehr. Im Vergleich dazu sei der Norden noch immobilenmarktmäßig unerschlossen. Uninteressant sei der Norden, sagten die Einen, die nur den Süden für vermarktbar hielten, mit seinem ewigen Sonnenschein und seinen Kunstlandschaften jenseits von Gottes Mülldeponien, die ihr auf der Fahrt vom Südflughafen nach Puerto aufgefallen waren. Voller Potential, sagten Andere. Dazu zähle er, Jochen Hollerbeck: zu den Anderen. Der Norden sei wieder im Kommen, da sei er sich sicher. Menschen mit Geschmack langweilten sich, wenn sie unter sich immer nur Greens und über sich immer nur blauen Himmel sähen: »Wie ist das mit Ihnen? Mögen Sie Wolken?«
Mochte sie Wolken? Interessante Frage, fand Emma.
»Ja«, wurde ihr klar, »ich mag Wolken.