Günter Wendt

Die letzte Fähre ging um fünf


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es angenehm temperiert im Raum. Ob der Haubarg sturmsicher war? Ja sicher, beruhigte er sich selbst. Schließlich stand der mehrere Jahrhunderte, ohne Schaden zu nehmen. Auch die Warft war mit ihrer Höhe von knapp zehn Metern außerhalb jeglichen Wasserstandes der höchsten Sturmfluten. Mit den Gedanken an einen Haubarg, der auf dem Wasser treibend in der Ferne entschwebte, während die Welt unterging, dämmerte er langsam in den Schlaf.

      Jemand hämmerte an seine Tür. Was zur Hölle sollte das! Es war der Chef des Hotels. Sah aus, wie gerade vom Golfplatz gekommen. Cremefarbene Kleidung.

      „Moin. Wollte nur nachfragen, ob alles zu Ihrer Zufriedenheit ist.“

      „Ja. Ist es.“

      „Mit dem Zimmer zufrieden?“

      „Ja, bin ich.“

      „Ich wollte Sie auch fragen, ob Sie heute Abend im Restaurant essen möchten.“

      „Ja, wie ... ja klar.“

      „Na ja, es ist so, dass einige Gäste ihr Zimmer storniert haben, und da wollte ich fragen, ob der Koch sich auf spezielle Sachen vorbereiten muss.“

      „Ja, wie ... spezielle Sachen ...?“

      „Wissen Sie, bei fünf bis sechs Gästen rechnet sich ein reduziertes Angebot eher als bei einem voll belegten Haus.“

      „Ach, Sie meinen wegen der Unwetterwarnung? Ach was! Ich bin Husumer und so ein Lüftchen erschüttert mich nicht. Da seien Sie mal beruhigt. Ich bleibe. Und was das Essen angeht, bin ich mit Bratkartoffeln und Fleisch vollauf zufrieden.“

      Der Mann schien sichtlich erleichtert zu sein. Er entschuldigte sich und klopfte auch schon an der Zimmertür eines anderen Zimmers.

      Storniert haben einige Gäste. Interessant. Er stand am Fenster und bemerkte, dass es schon später Nachmittag war. Vier Uhr durch. Er bediente sich jetzt aus der Minibar. Ein Bier nach Vier. Was Onne und seine Schafe bei dem Wetter wohl machen würden? Ach ja. Die alte Kapelle. Er stellte die leere Bierflasche auf die Minibar, schlüpfte in seine Sneakers und ging hinunter.

      An der Rezeption gab es ein Durcheinander, weil mehrere Gäste auschecken wollten, andere wollten unbedingt wissen, wie das Wetter morgen werden würde und ob die Hallig auch sturmflutsicher sei. Die junge Frau hinter der Theke behielt den Überblick und versicherte den Gästen, dass das Unwetter keine Sturmflut auf der Hallig verursachen würde. Eher an der Küste, wo sich das Wasser stauen könne. Auch die Windrichtung mache es sehr unwahrscheinlich, dass es zu Landunter kommen würde. Einige Wellen würden sicher die Salzwiesen erreichen, aber das wäre nun wirklich alles völlig normal und harmlos. Außerdem würde zur Zeit des prognostizierten Sturmes Niedrigwasser herrschen.

      Hinter der Rezeption gab es eine Tür zu einem Büro, die jetzt offenstand, und er sah eine Dame mittleren Alters aufgeregt telefonieren. Einiges konnte er verstehen, weil das Telefonat sehr laut geführt wurde. Scheinbar ging es um eine geplante Wattwanderung, die morgen stattfinden sollte. Mehrmals versuchte die Frau ihren Gesprächspartner zu beruhigen. „Ja nun, dafür kann ich ja nichts, wenn einige Gäste abreisen! Das Wetter habe ich nicht zu verantworten!“

      Kolle verließ dieses Irrenhaus und war erstaunt, wie heiß es draußen war. Vom drohenden Unwetter war nichts zu bemerken. Strahlend blauer Himmel. Mit einer brennenden Zigarette schlurfte er zum Rundweg, der um die Hallig führte. Wegen des ablaufenden Wassers, das nach seiner Meinung heute besonders ausgeprägt war, roch das Watt in der brütenden Sonne extrem nach Schlick und Salz. Links sah er in der Ferne die Schafe grasen, dahinter die alte Kapelle. Ein kleiner Punkt wieselte herum und begann die Schafe auf die Warft der Kapelle zu treiben. Kein leichtes Unterfangen. Er musste grinsen, als er Onne zwischen den Schafen sah.

      Am Anleger machte gerade die Strandkrabbe fest. Eine Gruppe Touristen konnte es kaum erwarten, die letzte Fähre des Tages zum Festland zu nehmen. Es sah aus wie eine Flucht vor einer ganz schlimmen Katastrophe, fand Kolle. Tiere besitzen einen sechsten Sinn für nahende Unwetter, sinnierte er. Vielleicht haben einige Menschen diesen Fluchtinstinkt behalten und andere eben nicht. Just in dem Moment zog ein Schwarm Möwen vorbei und verschwand in Richtung Festland.

      Kaum hatte die Fähre um Punkt 17 Uhr abgelegt, kam ein kleines Boot mit Außenbordmotor angetuckert. Ein Mann, ungewöhnlich für das Wetter in Cordhose und gesteppter Weste gekleidet, fand Kolle, stieg aus. Sorgfältig vertäute der Mann seine Nussschale. Dann bemerkte er Kollerup auf der Hotelhallig. Eine Sekunde lang stand der Typ nur so da und sah herüber. Kolle winkte nur mal so zum Spaß. Keine Reaktion. Der Mann nahm seinen Rucksack und kam zum Hotel. Kollerup nahm an, dass das vermutlich der Wattführer war und sich nun persönlich beschweren wollte. Er war der Meinung, dass das nicht sein Problem sei und wendete sich zum Strand.

      Auf den Liegen räkelten sich einige Gäste herum und schlürften aus Gläsern bunte Getränke, während Reggae leise dahinplätscherte. Er erkannte den Titel Whole Lotta Love von Led Zeppelin. Nein! Als Reggae! Er setzte sich an die Südseebar-Imitation und schnippte nach dem Kellner.

      „Sagen Sie mal ... wer sucht eigentlich die Musik aus?“

      „Ich verstehe nicht?“, grinste der Keeper.

      „Diesen Musiksirup da im Hintergrund, meine ich.“

      „Ach, Sie meinen die Loungemusik!“

      „Ja, genau. Diese trübe Suppe, Musik genannt.“

      „Das macht irgend so ein Typ im Internet.“

      „Wie Internet?“

      „Das kommt aus dem Internet.“

      „Die Musik?“

      „Ja, Internetradio.“

      Internet! Hat den niemand mehr eigene CDs? An LPs wagte er erst gar nicht zu denken. Oder wenigstens einen MP3-Player? Kolle sah die Musikbranche den Bach runtergehen. Aus Trotz bestellte er einen „Swimmingpool“. Eigentlich wollte er fragen, was der Barkeeper denn heute empfehlen könne, aber wenn die Musik aus dem Internet kam und von irgendeinem anonymen Menschen ausgesucht wurde, wollte er erst gar nicht daran denken, welche Getränke das Internet bei dem Wetter empfehlen würde.

      Er schlürfte lange an dem Cocktail, der eigentlich ein Longdrink war. Anschließend verwickelte er den Mann hinter der Theke in ein Gespräch über Swimmingpools und die Farbe der Bikinis der Frauen, die in einem Swimmingpool schwimmen. Und dann kamen sie zum Thema Klimawandel und heiße Sommer. Der Typ hinter der Theke, er hieß Maik, war der Meinung, dass das nur gut für den Tourismus sei. Kolle war da anderer Meinung. Denn globaler Klimawandel würde nicht bedeuten, dass es hier schlagartig dauerhaft wärmer werden würde. Er verwies auf die Unwetterwarnung, dass heute Abend ein Unwetter auf die Westküste treffen solle.

      „Ach. Unwetter! Was die als Unwetter bezeichnen, ist doch nicht zu vergleichen mit einem Herbststurm Stärke 12. Und selbst das“, der Barkeeper wies auf den Haubarg, „macht diesem alten Kasten nichts aus. Alte, gute Wertarbeit. Absolut sturmsicher und sturmflutsicher. Allerdings“, er sah zum Hotel hoch, „müssen wir den Strand vermutlich nach dem Sturm neu aufspülen lassen.“

      Kolle fand, dass das das geringere Problem war. Er dachte an die Schafe und Onne. Er fragte Maik danach.

      „Och, der kommt dann heute Abend zu uns, wenn es zu dolle wird“, winkte er ab. „Aber ansonsten ist seine Hütte auch sicher und hoch genug für ein Sommerhochwasser. Genauso sicher wie die Schafe in der alten Kapelle.“

      Hinter ihm wurde es nun laut. Jemand beschwerte sich über irgendwas, und er hörte: „Scheißegal, was passieren würde! Ich lasse mich nicht so abschieben! Das haben SIE zu verantworten!“

      Dann eine weibliche Stimme: „Was kann ICH dafür, wenn es ein Unwetter gibt!“

      „Ach, es geht doch nicht um das Wetter! Es geht darum, dass SIE dem Frerk Carstens MEINE Tour gegeben hatten! MEINE!“ Die Stimme des Mannes kippte ins Hysterische. „DAS wird ein Nachspiel haben! NACHSPIEL!“

      Nachspiel? Wird denn hier auch Fußball gespielt? Kolle amüsierte sich. Es gibt einen Minigolfplatz, aber einen Fußballplatz habe ich