weil die Chefin eine andere Tour mit einem anderen Wattführer gebucht hatte. Aber das fällt ja nun flach.“ Kolle sah auf die Uhr. Sechs Uhr durch. Holla, wie die Zeit vergeht! Er gab Maik seine Zimmernummer und ging hoch zum Duschen.
Für den ersten Tag seines Urlaubes gar nicht mal so schlecht, fand er. Eine interessante Bekanntschaft gemacht und ansonsten hatte er absolut nichts mit Mord und Totschlag zu tun gehabt. Manchmal dachte er, dass die Menschheit verrückt geworden war. Die Fälle, mit denen er zu tun hatte, ließen ihn oft am Verstand der Menschen zweifeln. Nicht weil einige zu leicht zu lösen waren, denn es gab ja auch harte Nüsse, die er zu knacken hatte, sondern weil seit Bestehen der Menschheit die Motive immer dieselben waren. Rache, Habsucht, Eifersucht, Neid und so weiter.
Vorsichtig stieg er in die Duschkabine und ganz sachte zog er an den Hebeln und drehte nur an den Wasserhähnen, die für das Wasser von oben zuständig waren. Irgendwann gibt es sprachgesteuerte Duschen, wie in den Science-Fiction Filmen, dachte er. „Wasser von oben, 23 Grad!“, rief er probeweise. Er fiel fast durch die Glastür der Kabine, als eine weibliche Stimme antwortete: „Wenn Sie jetzt noch freundlich ‚Bitte‘ sagen, kommt das Wasser.“
„Was ist das denn!?“
„Ich bin die automatische Duscheinstellung Betty.“
„Bitte, ich hätte gerne warmes Wasser von oben.“
„Gerne. Wie viel Grad?“
„23.“
„Das Zauberwort?“
„Bitte?“
„Im ganzen Satz.“
„Bitte, ich hätte gerne 23 Grad warmes Wasser von oben.“
„Mit welchem Druck?“
„Welchen kannst du mir anbieten?“
„Hart, Mittel und Weichei.“
„Weichei?“
„Ja, für Warmduscher und Dünnbrettbohrer.“
„Mittel.“ Er bemerkte sofort seinen Fehler und fügte ein „Bitte“ hinzu.
„Gerne. Wenn Sie fertig sind, beenden Sie den Duschvorgang mit ‚Stopp‘. Ich wünsche Ihnen angenehmes Duschen.“
„Danke sehr.“
„Bitte sehr.“
Nach dem Duschen, aufdringliche Düfte der hoteleigenen Hygieneartikel verströmend, bewunderte er die schwarze Wand, die sich von Westen heranschob und die Sonne verschluckte. Schlagartig wurde es deutlich dunkler. Er liebte Unwetter. Da merkt man doch erst, dass man lebt, sagte er immer, wenn sich jemand über schlechtes Wetter beschwert. Stundenlang konnte er am Fenster sitzen und wenn möglich draußen die Atmosphäre genießen, die ein nahendes Gewitter verströmte. Die Luft schien jedes Mal elektrisch geladen zu sein und die Wolkenformationen mit ihren gelb-schwarzen Fetzen, die als Vorhut das Unwetters ankündigten, waren wie das Intro zu einem bombastischen Konzert. Thunderstruck von ACDC war die Musik, die ihm bei diesen Gelegenheiten einfiel. So war es auch dieses Mal, als die Wand sich am Himmel hochschob. Und es war drückend schwül dabei. Er schloss bedauernd das Fenster und ging nach unten in den Restaurantbereich.
Nele, die junge hübsche Dame, die er von der Rezeption kannte, führte ihn zu seinem Tisch. Der Raum war mit Kerzen beleuchtet, und leise Musik plätscherte aus versteckten Lautsprechern. Er schien der Erste zu sein. Während er seine Bestellung aufgab, persönlich und Auge in Auge mit einem Menschen, füllten sich die Tische mit den Gästen. Aber das interessierte ihn nicht, wer wo und warum saß. Durch die Verandatür konnte man das Naturschauspiel im zweiten Akt bewundern. Er schien der Einzige zu sein, der es genoss. Alle anderen schienen sich kopfschüttelnd über die Gefährlichkeit und die möglichen tödlichen Folgen zu grämen. Kolle schnaubte verächtlich. Memmen!
Sein erster Gang, Eisbergsalat mit Fenchel, begann von einem Gewitterblitz begleitet. Der zweite Gang wurde von prasselndem Hagel an den Verandatüren beklatscht. Stimmt, der Applaus ist berechtigt, dachte er. Selbst er als Hobbykoch hätte es nicht besser machen können. Der erste Biss vom Steak wurde mit einem rollenden Donner kommentiert, der so lange dauerte, bis Kollerup das zerkaute Rindfleisch schluckte. Sein Bier wurde gebracht und der erste Schluck hatte eine Sturmböe im Gefolge, die die Bar draußen umwarf. Hach! Herrlich! Kollerup genoss die Vorstellung. Während die Mitarbeiter gelassen durch aufgeregt debattierende Gäste schreitend die Bestellungen aufnahmen oder Menüs servierten, ging es draußen jetzt zur Sache. Im Dämmerlicht über der Nordsee, kurz grell erhellt von Blitzen, sah man dichte Regenschauer hinwegziehen. Er sah auf seine Uhr. Verdammt! Das musste er sich abgewöhnen, immer auf die Uhr zu sehen. Urlaub, Kolle! Es war jetzt 21 Uhr. Die Zeit hatte hier auf der Hallig scheinbar ihre eigenen Gesetze. Er rülpste verhalten und dann gingen das Licht und die Musik aus. Kolle war der Meinung, dass das kleine Bäuerchen ja nun nicht diese Aufregung wert sei.
Eine Dame gab ein quietschendes Geräusch von sich und ein Glas zersprang mit einem Klirren auf dem Boden.
„Ruhe bewahren, meine Damen und Herren! Die Generatoren werden sofort anspringen!“, rief eine männliche Stimme irgendwo aus dem Dunkel. Und schon wurde es wieder hell. Ein weiterer Blitz zuckte vor den Fenstern und eine bleiche männliche Gestalt erschien an der Verandatür, die mit blutigen Händen dicke rote Schlieren hinterlassend, an der Glasfläche langsam zu Boden rutschte. Dann wurde es zum zweiten Mal schwarz im Raum. Ein weiterer Blitz zuckte, der die auf der Veranda liegende Gestalt kurz beleuchtete. Seine Intuition sagte ihm, dass dieser Mensch tot war. Ein doppelter Donner, der die Gläser auf den Tischen klirren ließ, beendete diese Szene.
Hotel
Der Tag des Unwetters
21:00 Uhr
Wenn es vorher ein chaotisches Durcheinander gegeben hat, wurde es jetzt gefährlich. Tische wurden umgestoßen, panische Menschen riefen durcheinander, Kindergeschrei, scheppernde Gläser. Kolle tat, was das Beste in so einem Fall war: Er blieb sitzen.
Jemand stieß ihn an und er musste sich am Tisch festhalten. Dann zückte er sein Handy, klappe es auf und hielt es in die Höhe. Dieser Lichtschein genügte ihm, um gefahrlos auf einen Tisch zu steigen. Oben angekommen steckte er zwei Finger in den Mund und pfiff derart laut, dass es ganz sicher auch auf Föhr zu hören war. In Bruchteilen von Sekunden war es mucksmäuschenstill. „Jeder bleibt jetzt, wo er ist! Hier ist die Polizei! Kann mich der Chef dieses Hotels hören?“
„Ja ...“, kam es zögerlich aus der Richtung, wo Kollerup die Bar vermutete.
„Was ist mit Taschenlampen?“
„Haben wir!“
„Haben Sie eine dabei?“
„Nein. An der Rezeption liegen welche.“
„Hat jemand ein Smartphone?“
Plötzlich glommen vereinzelt mehrere bleiche Lichter im Raum. Man konnte wieder etwas erkennen. Kolle fand, dass es aber noch heller ging.
„Was ist mit den Tablets? Das Display von den Dingern gibt mehr Licht. Schalten Sie ihre Telefone aus. Schonen Sie Ihre Akkus!“
Kurz wurde es wieder dunkel und dann erhellten Tablets mehrere Personen an der Bar.
„Kommen Sie mit zwei von diesen Dingern hierher“, befahl Kollerup. Die fahlen Lichter der mobilen Geräte wankten zu ihm herüber. „Jemand verletzt?“, fragte er laut in die Runde.
„Ich hab’ mir mein Knie gestoßen“, beschwerte sich jemand kleinlaut.
„Sonst nichts?“ Knie gestoßen! Die Welt geht unter, dachte Kolle.
„Dem Kind geht es gut?“, wollte er jetzt wissen.
Eine Mutter meldete sich: „Nichts passiert. Alles gut.“
„Niemand verlässt den Raum.“ Er fügte ein „bitte“ hinzu, weil er ja durch die sprechende Dusche etwas gelernt hatte. „Sobald wir die Lage geklärt haben, dürfen Sie auf Ihre Zimmer. Aber hier ist