Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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aus dem Mannschaftsstand emporgeboxt. Wenn die Beteiligten bisher noch nicht realisiert hatten, was auf sie zukommen würde, so machten sie sich spätestens jetzt klar, daß Colonel Bud C. Williams einen handfesten Skandal hinterlassen hatte.

      »So – nun bist du an der Reihe, Henry«, sagte Zielinsky zu MacKinley, »was hast du festgestellt?«

      »Keine Schußverletzung. Herzversagen, womöglich aus natürlicher Ursache – oder nach Einnahme von Gift. Klarheit kann nur die Obduktion ergeben.«

      »Natürliche Ursache ist gut«, erwiderte Zielinsky mit sattem Hohn. »Alle, die hier im Raum sind, waren dabei, als Williams gestorben ist?« wandte sich der Investigator an die Umherstehenden. »Es fehlt keiner?«

      »Keiner«, bestätigte der Arzt. »Ich war natürlich nicht im Raum, als es geschah«, setzte er hinzu. »Ich habe mich unten aufgehalten und bin erst nach oben gejagt, als ich den Schrei hörte.«

      »Du bist den ganzen Abend unten gewesen?« vergewisserte sich der CID-Major. MacKinley nickte.

      »Schwein gehabt«, stellte Zielinsky trocken fest.

      Seine Leute arbeiteten lautlos. Sie packten vorsichtig das Glas mit der Restflüssigkeit ein. Während der Major den fünf Mädchen eröffnete, daß sie vorläufig festgenommen seien, wurde der Tote für die gerichtsmedizinische Untersuchung abgeholt.

      »Ich fasse also zusammen«, sagte der CID-Chef dann. »Ihr habt euch hier richtig schweinisch ausgetobt. Jeder mit jedem – und einer hat dabei ins Gras gebissen.« Sein schieflippiges Gesicht entblößte unregelmäßige Zähne. »Und das war dummerweise Colonel Bud C. Williams. Und wie ich seine Witwe, die Tochter des Senators, einschätze, wird sie jetzt auf einem Staatsbegräbnis auf dem Heldenfriedhof von Arlington bestehen.« Sein Lächeln war noch kälter als seine Stimme: »Und dabei ist Stubby hier im Lotterbett hopsgegangen – mit einer deutschen Schlampe im Arm.« Er schüttelte den Kopf. »Und das waren Sie!« fuhr er die weinende Kurven-Lilly an: »Name? Geburtsdatum? Adresse? Machen Sie schnell!« drängte er.

      Major Zielinsky brauchte nicht zu betonen, daß die zu Vernehmenden noch eine lange Nacht vor sich hatten. Er würde den Skandal auf großer Flamme garen und umrühren; er war genau der richtige Koch für diese trübe Brühe.

      Die Spanne zwischen Mitternacht und Tagesanbruch wurde auch zwei Menschen lang, denen früher gemeinsame Nächte immer zu kurz erschienen waren. Erst gegen zwei Uhr stellte Peter Maletta fest, daß Lisa eingeschlummert war. Behutsam löste er sich vom Lager, ging in die Küche, um zu rauchen. Er dachte darüber nach, was Lisa zu ihm gesagt hatte, aber er wurde dabei nur ein Wiederkäuer des Ekels, er wußte, daß er sich Emotionen erst leisten konnte, wenn er Machoff gestellt hätte.

      Maletta ging ins Bad, duschte sich, darauf bedacht, seinen Schlafgast nicht zu stören. Als er zurückkam, war Lisa wach; die ersten Silberstreifen standen schon am Horizont. Die Vögel waren längst erwacht. Der Himmel färbte sich blau.

      »Schlaf doch weiter«, bat er.

      »Ich kann nicht, Peter«, erwiderte sie leise. »Du kannst es doch auch nicht.«

      »Versuch’s trotzdem, Lisa«, wiederholte er und ging in den Garten.

      Die Grillen hatten aufgehört mit ihrem Zirpen, dafür flöteten jetzt die Amseln und jubilierten die Lerchen. Für sie galt keine Sperrstunde, und sie trugen auch keine Trauer. Die Vögel waren frei – und viele Menschen vogelfrei.

      Der unfreiwillige Frühaufsteher setzte sich auf eine Steinbank und saß die Zeit ab, Wache schiebend für seinen Haß; er fragte sich, wieviel davon ein Mann aushalten könne. Ab und zu patrouillierte eine MP-Streife vorbei und verschwand dann in langsamer Fahrt in Richtung Prinzregentenplatz, der ganz in der Nähe lag.

      Hier, im Haus Nummer 16, hatten Adolf Hitler und Eva Braun gewohnt, was die Münchner vielleicht schon vergessen hätten, wären sie nicht durch die Entnazifizierungs-Posse des gestrigen Tages daran erinnert worden: Ein Beamter der Vollstreckungsstelle – ein Neuling ersetzte einen gefeuerten Parteigenossen – wurde von einem anderen Ersatz-Beamten in Hitlers Privatwohnung geschickt, um 996 Reichsmark Rückstände für Gas und Strom zu pfänden. Der Beauftragte stellte fest, daß die Schuldner nicht anwesend waren, hörte sich im Haus um und schrieb dann in sein Protokoll: »Da ich erfahre, daß die Obgenannten in Berlin umgekommen sein sollen, konnte die Schuld nicht beigetrieben werden.«

      Der Zwischenfall wurde zum Tagesgespräch; einen Moment lang lächelte man an der Isar, und ein Mann hatte treffend bewiesen, daß er politisch wirklich unbelastet war. Die Schuld war tatsächlich nicht beizutreiben.

      Maletta ging ins Haus zurück. Lisa war bereits im Bad gewesen und hatte Kaffeewasser aufgesetzt. Sie nickte ihm zu – ihrem Lächeln war ein Schuß Angostura beigemischt; die Bitternis machte es weh und wund, doch auch tapfer.

      »Warte einen Moment, Peter«, sagte sie und verschwand noch einmal im Badezimmer; sie kam mit einer Fingerspitze voll Creme zurück, stellte sich vor ihm auf die Zehenspitzen und rieb damit seine Wunde an der offenen Unterlippe ein.

      »Sonst kriegst du eine Infektion«, erklärte sie.

      Maletta ließ sie gewähren. Die Infektion hatte er längst. Er sah Lisa zu, wie sie den Kaffee aufgoß. Kaffee war das richtige um sechs Uhr morgens nach einer schlaflosen Nacht. Das Mädchen wußte, daß er wieder mit dem alten Thema anfangen würde und hatte Angst davor; sie wollte vergessen, Peter wollte rächen.

      »Sag mal«, begann er, »du hast davon gesprochen, daß du auch Richard Ramloch einmal gesehen hast.«

      »Ja«, bestätigte sie. »Zwischen zwei Vernehmungen.« Lisa sah seine Aufforderung, weiterzusprechen. »Der Hauptsturmführer war zwar auch ein Schwein, aber gemessen an Machoff geradezu ein Glücksferkel. Er hat uns eigentlich in Ruhe gelassen.«

      »Eigentlich?«

      »Mich wenigstens«, antwortete Lisa. »Willst du denn unablässig in diesen Geschichten herumbohren?«

      »So lange, bis sie bereinigt sind«, entgegnete er. »Ich bin mit Captain Freetown, der dieses Haus bewohnt, irgendwie befreundet. Er bietet mir die Möglichkeit, nach verschollenen Mitgliedern des Zirkus Maletta zu suchen. Eine derzeit phantastische Chance – ich werde sie in jedem Fall nutzen. Vielleicht geht es einer von euch schlecht, und ich kann helfen oder –«

      »Oder du erfährst etwas über Machoff«, erwiderte Lisa und lächelte, diesmal ohne den Tropfen Bittersubstanz. Peter war wie er war, und vielleicht mußte er auch so sein.

      Sie setzten sich am Tisch zusammen und memorierten Namen, Adressen, Einzelheiten. Es kam nicht viel heraus, zumal sich damals alle, außer Maletta und Bruno Plaschke, aus Tarnungsgründen falsche Identitäten zugelegt hatten. Einige der Mädchen stammten aus heutigen Vertreibungsgebieten und zwei sogar aus dem Ausland. Die Post funktionierte erst seit ein paar Tagen wieder – falls sie funktionierte, Briefe waren offen am Schalter abzugeben, und es mußte vermerkt sein, ob sie privat oder geschäftlich wären. Aber wie soll man schreiben, wenn man die Adresse des Empfängers nicht kennt?

      Die deutsche Zivilbevölkerung hatte einen Interims-Ausweis erhalten und durfte sich nur im näheren Umkreis ihres Wohnorts bewegen. Reisen in den Nachbarort bedurften bereits einer Sondergenehmigung, und für eine solche stemmte man sich – so man nicht zufällig Peter Maletta hieß – tagelang in der Tegernseer Landstraße die Beine in den Leib.

      Sie gingen die Notizen noch einmal durch. »Ziemlich mager, die Ausbeute«, stellte er fest. »Vielleicht fällt dir später noch etwas ein.« Er gab Lisa Captain Freetowns Telefonnummer. »Für den Notfall«, erklärte der Berliner. »Sonst rufe ich dich in deiner Redaktion an. Und das nächste Mal bringst du bitte Harry mit.«

      »Einverstanden«, erwiderte das Mädchen.

      »Noch etwas: Im Hause des – des stellvertretenden Stabschefs«, er übernahm automatisch die Bezeichnung Lisas für ihren Vater, »gab es doch sicher Personal. Könnte nicht jemand Einzelheiten der Verhandlungen zwischen ihm und Machoff aufgeschnappt haben?«

      »Kaum«, versetzte Lisa. »Sie haben