Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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Signal verkünden, daß sich kein Deutscher mehr auf der von der US-Militärpolizei kontrolherten Straße aufhalten dürfe.

      »Wenn du willst, fahr’ ich dich schnell nach Hause«, bot Maletta an.

      »Das schaffst du nie«, entgegnete Lisa. »Ich wohne ganz weit draußen im Münchener Osten.« Sie sah ihn an: »Du hast dich nicht sehr verändert, Peter.«

      »Meinst du?«

      Lisa sah ihn an: Immer noch diese Prachtzähne, diese Prachtaugen, diese Prachthände, die gleichermaßen virtuos ein Flugzeug durch den Sturm zwingen oder eine Frau streicheln konnten. Lisa hatte beides erlebt, den Gewitterflug und die Liebesnacht. Peter war ein Mann gewesen und ein Filou, ein Freund und ein Verführer, und dabei ein verdammt guter Liebhaber, wiewohl Lisa wenig Erfahrungen mit Liebhabern gehabt hatte. Er hatte sie mit Geduld, Zärtlichkeit und Finessen in die Zweierbeziehung eingeführt und dabei gleichviel gegeben wie genommen. Ein Kerl wie Samt und Seide – hatte sie ihn einmal liebevoll charakterisiert.

      »Du mußt etwas wissen, Peter«, sagte sie, »ich bin mit einem Mann liiert; ich mag ihn und er mag mich.«

      Maletta nickte, ohne enttäuscht zu sein.

      Die Sirene heulte zum zweiten Mal und das bedeutete, daß Lisa heute über Nacht hier festgehalten wäre.

      »So, Kleine«, sagte er, sie erstmals wie früher nennend, »nun folgt der erfreulichere Teil des Abends.« Über Zutaten verfügte er reichlich, und er war ein begabter Amateurkoch. Maletta nahm die Steaks aus dem Kühlschrank und ließ die Pfanne mit Butter langsam warm werden.

      »Soll ich dir nicht helfen?« fragte Lisa.

      »Nein«, versetzte er. »Prinzessinnen werden verwöhnt.« Er lachte spöttisch: »Auch wenn sie aus einer Munitionsfabrik kommen.«

      »Oder aus einem Arbeitslager«, ergänzte Lisa.

      Sie waren wieder beim Thema; sie kamen nicht davon los, so sehr sie es auch wollten. Nicht an diesem Abend, vielleicht morgen – vielleicht nie in ihrem Leben.

      »Bleib sitzen«, sagte Maletta, als Lisa den Tisch decken wollte. »Hast du diesen Machoff im Hause deines Vaters nur einmal gesehen, oder öfter?«

      »Öfter«, antwortete die junge Frau. »Zuletzt so oft, daß ich dachte, der kleine Bormann und Günter Machoff hätten eine Leiche miteinander im Keller. Aber der Vize-Stabschef der Gauleitung München-Oberbayern hatte wohl mit vielen ›Goldfasanen‹ seine Kellerleichen.«

      Der Amateurkoch wendete die Steaks. »Paß mal einen Moment auf, daß nichts anbrennt, Lisa«, sagte er. »Ich muß nur mal schnell in den Keller.« Er ging, um eine Flasche Wein zu holen. »Rares Gewächs«, sagte er beim Zurückkommen und las das Etikett vor. »Ein Kabinettwein.«

      Er öffnete die flüssige Rarität, roch am Korken, goß einen kleinen Probeschluck ein, kostete die Blume, wie damals in einem der vielen Luftwaffen-Casinos, wo der Chef des Zirkus Maletta mit seiner Truppe stets ein willkommener Gast gewesen war. »Ein wirklich köstlicher Mosel«, stellte er fest, als käme es jetzt darauf an, den unzeitgemäßen Snob zu spielen.

      Sie lachten beide, rückten ein wenig näher, ohne sich nahe zu kommen. Die Entfremdung schwand. Sie wirkten nicht mehr verkrampft, auch nicht wie ein Ex-Liebespaar, sondern eher wie Hänsel und Gretel. Sie konnten ein normales Tischgespräch führen über Wichtiges und Belangloses.

      »Was ist das für ein Mann, mit dem du zusammen bist?« fragte Maletta beim Abräumen.

      »So ziemlich das genaue Gegenteil von dir – bitte nicht böse sein. Er heißt Harry«, erklärte sie, »Zivilamerikaner, dreiunddreißig, ein netter Kerl, nicht sehr aufregend und auch nicht besonders begütert. Aber gemessen an uns Hungerleidern ist zur Zeit wohl jeder Ami ein Nabob.« Lisa lächelte. »Vermutlich gefällt er dir.«

      »Auch wenn Harry nur ein halber Krösus ist, verstehe ich nicht ganz, warum du zu viert in einem nassen Keller hausen mußt«, erwiderte er.

      »Er auch nicht«, entgegnete die junge Frau lachend. Ihr feines Lächeln wurde wirklicher: »Es ist der ständige Streitpunkt zwischen uns. Du hast ihn auf Anhieb auf den Kopf getroffen.« Sie sah, daß er es nicht als Erklärung hinnahm und fuhr fort: »Wir haben die Wahnsinnsidee, einander zu heiraten, falls es einmal möglich sein wird. Aber bis es soweit ist, muß jeder von uns beiden in seinen eigenen Verhältnissen leben.«

      »Das ist absurd, Lisa, und übertrieben«, versetzte Maletta. »Und richtig unklug.«

      »Ich will gar nicht klug sein«, entgegnete sie. »Ich möchte zur Ruhe kommen und glücklich werden – falls es auf dieser Erde noch möglich sein sollte.«

      »Du bist päpstlicher als der Papst.«

      »Keineswegs«, versetzte Lisa. »Ich weiß, was ich tue. Wenn ich mich mit Chocolate, K-Rations und Cigarettes beschenken ließe, würden sich die Gewichte verschieben und kleine Mißverständnisse, Schlampereien und Gewohnheiten einreißen. Auch wenn Harry dagegen Sturm läuft, fühlt er doch, was ich ihm biete: Ich verkaufe mich nicht, er bekommt mich gratis, weil ich ihn mag, und solange ich ihn mag.«

      »Einverstanden«, erwiderte Maletta. Er stellte das Radio an. Eine weiche Melodie erfüllte den Raum, und er spürte einen Stich der Erinnerung; er drehte etwas lauter und versuchte, die Kurve elegant zu nehmen, Worte suchend, die er nicht fand. Er ärgerte sich über seine Plumpheit, als er sagte: »Du kannst meine Couch haben, Lisa. Ich werde mir am Fußboden ein Behelfslager richten.«

      »Warum?« fragte sie. »Die Couch ist breit genug für uns beide.«

      »Und was sagst du morgen Harry?«

      »Die Wahrheit«, antwortete die junge Frau. »Wie sie auch aussehen mag.«

      »Und du weißt schon, wie sie aussehen wird?«

      »Allerdings«, entgegnete sie. »Und du, fürchte ich, auch.«

      »Und das glaubt dir dann Harry?«

      »Das glaubt er mir«, versicherte Lisa. »Weil ich keine Zigaretten, keine Pralinen und keine Nylonstrümpfe von ihm nehme.«

      »Trotzdem«, erwiderte Maletta. »Wenn er dir glaubt, muß er dich sehr liebhaben – oder ein großer Trottel sein.«

      »Such’ dir das Bessere aus«, versetzte Lisa. Sie zog ihre Lippen nach. »Dieses Geschenk habe ich übrigens angenommen«, gestand sie, deutete auf das Rouge aus Paris und wirkte dabei einen Moment lang so keck wie früher: »Siehst du, ich bin doch nicht päpstlicher als der Papst.«

      Dann lagen sie nebeneinander. Das Radio war ausgeschaltet, das Licht gelöscht. Der Abend brachte eine leichte Abkühlung und sanftes Mondlicht. Die Grillen zirpten, und die Nachtfalter drehten sich im Liebesreigen. Maletta spürte nicht den Zauber einer Sommernacht, und Lisa merkte, daß er an der Frage herumkaute, der sie schon einmal ausgewichen war.

      »Schläfst du schon?« fragte er.

      »Nein.«

      »Wann hast du Machoff zum letzten Mal gesehen. Weißt du das noch?«

      »Im April vierundvierzig«, antwortete Lisa. »Es kann auch ein bißchen früher oder auch später gewesen sein.«

      »Und Ramloch, sein Mädchen für alles?«

      »Dem Hauptsturmführer bin ich nach meiner Verhaftung nur einmal begegnet.«

      »Und was weißt du von den anderen?« fragte Maletta weiter: »Von Bruno, Olga, von Sybille, Nadine und –«

      »Nicht viel«, wiederholte sich Lisa. »Aber doch einiges«, setzte sie hinzu. »Meistens vom Hörensagen: Wir wurden damals alle verhaftet und mit der Zeit auseinandergerissen, das heißt«, berichtigte sie sich, »Olga kam ihrer Mutter wegen sofort ins Frauen-KZ nach Ravensbrück, Nadine als Zigeunerin ebenfalls.«

      »Und?«

      »Vielleicht hätte Olga überlebt, aber sie hatte nicht mehr die Kraft dazu. Sie rannte schon bald nach ihrer Einlieferung gegen den elektrischen Drahtzaun