Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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mit einem kapitalen Hangover erwacht, hatte seinen Kater mit einer Prärie-Oyster und drei Bourbons bekämpft und hinterher, um rasch wieder in Fahrt zu kommen, zwei Aufputschpillen geschluckt. Schließlich war er der Gastgeber und verantwortlich für Speisen und Getränke, für Naschwerk, Zigaretten, Nylonstrümpfe und für die kleinen Geschenke, die die Buhlschaft erhalten. Die Girls für den vorgerückten Abend besorgten seine Freunde, denen ihre Dienststellen Kontakte zu blonden oder schwarzen, langbeinigen oder prallbusigen, willigen oder kratzbürstigen Geschöpfen erlaubte; sie arbeiteten als Dolmetscherinnen oder Sekretärinnen, und falls sie wirklich ›Fräuleins‹ waren, dann jedenfalls von der feinsten Sorte.

      »Don’t be a party-spoil«, sagte Stubby zu Peaboddy und Freetown, als er bemerkte, daß sich die beiden Amerikaner auf französisch verabschieden wollten. »Ihr könnt doch nicht jetzt schon gehen, wo’s gleich lustig wird.«

      »We have still a lot to do, Bud«, entschuldigte sich der Colonel. »Sorry. And thanks again.«

      Die beiden ließen sich nicht aufhalten und verließen als erste vorzeitig die Party, wofür sie sich morgen beglückwünschen sollten.

      Major Silversmith lag unter einem Kastanienbaum und trank Eiswasser; nur Eiswasser; er wollte sich seine Fitneß bewahren für die Hurly-Burly-Session in der Beletage, die er beim letzten Mal ›Tabunesia‹ betitelt hatte. Er sah auf die Uhr – er mußte sich noch mindestens drei Stunden gedulden und mit Icewater anheizen.

      Die Zusammensetzung der Gäste – fast ausschließlich Offiziere – spiegelte die Oligarchie der Besatzungsmacht wider. Ein Männer-Club. Wo immer GIs, Unteroffiziere oder Offiziere zur Geselligkeit zusammenkamen, waren sie unter sich und – wollten es nicht bleiben. Der Männerüberschuß war hier so kraß wie damals bei ihren kalifornischen Vorfahren, denen 1850 ein Dreimaster mit 900 Luxusgeschöpfen aus den feinsten Etablissements von London, Paris, Amsterdam und Marseille angekündigt worden war. Die Männer von San Francisco standen aufgeregt an der Mole, schwenkten die Hüte und reckten die Hälse, als unter Trompetenstößen die ersehnte Fracht ausgeladen wurde; es waren keine 900 Edel-Kokotten, sondern nur 60 strapazierte Straßenmädchen, die alle nach 14 Tagen verheiratet waren, oft zu Stammüttern angesehener Familien avancierend.

      Mit der Heiratserlaubnis mußten die GIs in Deutschland vorläufig noch warten. Der britische Feldmarschall Montgomery hatte bis jetzt nur das Verbrüderungs-Verbot mit deutschen Kindern etwas gelockert, aber die Soldaten – ob britische oder amerikanische – wußten, wie sie das ›Cherchez-la femme‹ hinter sich brächten: In ihrem Jargon hieß es »Hello, Blondie«.

      Noch waren ihre Frauen in Übersee und durften nur mit Sondergenehmigung in das US-Besatzungsgebiet einreisen. Natürlich liefen sie längst gegen die Trennung Sturm; es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie sich durchgesetzt hätten. Aus dieser Schonfrist, die sie noch hatten, wollten die Uniformierten – nicht alle, aber viele – etwas machen.

      Dafür war Stubbys Residenz in einer früheren Offiziers-Siedlung, militärisch bewacht und von Zivilisten geräumt, ein bewährter Schauplatz. Der frischernannte Colonel war beliebt, denn er war auch splendid, er konnte es sein, ohne sich zu übernehmen, denn schon in der Bibel steht: »Dem Ochsen, der da drischt, sollst du das Maul nicht verbinden.«

      Für einen Ochsen hielten den Gastgeber übrigens die wenigsten. Sie trauten ihm zu – in Washington wohnte er im Hause seines Schwiegervaters, des bekannten Politikers –, daß er wußte, in welche Richtung der Potomac floß und woher der Wind wehte.

      Gerade noch rechtzeitig für seine Celebration waren auch die auf dem Weg nach Italien verschwundenen beiden Waggons nach hektischer Fahndung unversehrt wieder aufgetaucht; im Gegensatz zu den Frachtpapieren hatten sie das Alabama-Depot gar nicht verlassen. Captain Miller, der Transport-Offizier, stand nunmehr wieder bei seinem Chef in großer Gunst und durfte bei dem Gartenfest in der Rolle des Majordomus glänzen.

      »This is the way to kill yourself«, sagte Doc MacKinley, der Armee-Arzt im Rang eines Captains, zum Hausherrn und griff sich selbst einen zweistöckigen Scotch. »Sauf nur so weiter, Stubby, dann wirst du nicht einmal so alt wie du aussiehst.«

      »Chickenshit«, erwiderte Williams. Ganz Stubby im Glück setzte er hinzu: »In spätestens zwei Jahren bin ich Brigadegeneral, darauf kannst du mit mir wetten, Doc.«

      »Eine lange Zeit«, spottete MacKinley. »Bei deinem Whisky-, Zigaretten- und Weiber-Konsum.« Er sah dem Alabama-Chef ins dampfende, schwitzende, durchglühte Gesicht: »Und zu fett bist du auch noch, du mußt ja einen säuischen Blutdruck haben.«

      »Bleib’ gefälligst bei deiner Tripperspritze«, erwiderte Stubby, nun doch leicht pikiert.

      Doc MacKinley war ein Zyniker, der vor keinem haltmachte, und das konnte sich der 26jährige auch leisten, denn er behandelte – soweit nötig – seine Offiziers-Kameraden heimlich und ohne Eintrag in das Krankenbuch, wenn sie sich einen ›Kavaliersschnupfen‹ geholt hatten. Es kam nicht so oft vor, wie in den Warnungen der Army-Tagesbefehle behauptet wurde, aber doch immer wieder. Niemand hielt sich an das Fraternisierungs-Verbot, am wenigsten die Gonokokken.

      Der junge Arzt legte während seiner Militärzeit den Grundstock zu einem raschen Vermögen: Für die Behandlung der Gonorrhöe-Infektion nahm er 50 Dollar, bei Rückfällen 100, alles steuerfrei. Die geschröpften Liebhaber murrten und zahlten, er ersparte ihnen allerlei Peinlichkeiten und Rückfragen, denn der tüchtige Mediziner, der sich nach seiner Rückkehr in die Staaten in Cleveland, Ohio, eine erstklassige Privat-Praxis zulegen wollte, hielt sich streng an die ärztliche Schweigepflicht. Nur die Namen und Adressen der ›Infektionsherde‹ gab der im beschlagnahmten Schwabinger Krankenhaus arbeitende Armee-Arzt unter der Hand an die deutschen Gesundheitsbehörden weiter.

      Stubby war schon wieder auf den flinken Beinen, um neue Gäste zu begrüßen. Captain Wallner kam, begleitet von Gesine, der Gauleiterstochter, seiner neuen Dauerfreundin; er trug ein kleines Köfferchen mit Requisiten für Gesines Auftritt, der die einen schon langweilte und andere doch immer wieder zu Gelächter hinriß. Mit seiner Nummer zog der Intelligence-Officer von Party zu Party, heimste den Applaus ein und verschwand dann mit seiner Begleiterin in seinem Quartier, um auch noch den Nutzen zu haben.

      Wallner ging der nicht von seiner Seite weichenden Gesine immer einen Schritt voraus; er blieb stehen, sah sich um. Er kannte nicht alle Anwesenden, aber es war auch nicht notwendig, denn gleich würde sie der Alkohol miteinander bekannt machen. Er sah an einem der vielen Gartentische die First-Lieutenants King und Sears und schritt auf die Trouble-Brothers zu, die sich eine hübsche, stupsnasige Dolmetscherin aus der Tegernseer Landstraße mitgebracht hatten. Sie umwarben die Deutsche stumm, jeder für sich, voller Feindseligkeit dem anderen gegenüber.

      Iris hatte es aufgegeben, darüber zu lächeln; sie lächelte überhaupt selten, und sie wußte, daß jeder der beiden Oberleutnants übergesprächig würde, so sie mit ihm allein wäre.

      Die Musik wurde jetzt lauter; der Verstärker spuckte Melodien aus, wie »You belong to my heart«, oder »Tiger Rag«, oder »Candy« oder »Tea for two«, und immer wieder »You are my sunshine«. Die Sonne ging jedenfalls nicht unter, weder im Garten noch in der Wohnhalle. Der Barbecue wurde in Betrieb genommen. Duftende Wolken zogen bis zu den Wohnvierteln der Deutschen, die am offenen Fenster standen und trocken schluckten.

      Die ersten bunten Tupfer mischten sich jetzt in das Olivgrün wie Krokusse auf einer Frühlingswiese; Mädchen, alle jung, keine häßlich, tauchten im Trubel auf; sie sprachen nicht das gewöhnliche Pillow-Englisch, die Kopfkissensprache, und alles, was sie zeigten, vom Nagellack bis zum Lippenstift und den Schuhen, stammte aus dem PX, vor allem die Nylonstrümpfe, die es damals in Europa noch nicht einmal in den Sieger ländern gab: Wer Nylons trug, zeigte an, daß er nach oben strebte.

      Seit Millionen von Amerikanern in umgekehrter Kolumbus-Richtung in die Alte Welt zurückgekommen waren, hatten sie zuerst auf der britischen Insel, dann noch weit zwingender in Frankreich und am überzeugendsten in Deutschland eine Entdekkung gemacht: die europäische Frau.

      »Like Tahiti«, pflegte First-Lieutenant Pepper, ein junger, windiger Bursche, mit schnalzender Zunge und verdrehten Augen zu bemerken. Zwar war er noch nie auf Tahiti gewesen