Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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von› Information Control‹ hatte eine miserable dienstliche Beurteilung und war doch unersetzlich als Akquisiteur, als Beschaffer weiblicher Geselligkeit. Er bewies es in diesem Augenblick wieder, als er in einem überladenen Straßenkreuzer Sissy, Betsy, Lilly, Daisy und weitere lächelnde, teils bekannte, teils unbekannte Mädchen apportierte, unter ihnen die weizenblonde Ostpreußin, die ihrer Spezialität wegen in Kennerkreisen nur ›Sandwich‹ genannt wurde, weil sie es immer mit zwei Männern gleichzeitig trieb und dabei gewissermaßen den Belag in der Mitte darstellte. Wenn Stubby an Sandwich dachte, wurde ihm nicht nur der Mund wäßrig.

      Wenn er an Alice, die Senatoren-Tochter, seine schmalüppige und scharfzüngige Frau dachte, die den Liebesakt grundsätzlich nur im Dunkeln über sich ergehen ließ und sich danach immer beschmutzt vorkam, wußte Stubby, daß ihm nicht lange Zeit bleiben würde, die Wonnen in Deutschland auszuschöpfen.

      Längst waren Gerüchte nach Amerika gedrungen, daß die unverdorbenen Boys aus dem puritanischen und matriarchalischen Land in Germany einer Art Sodom und Gomorrha ausgesetzt wären. Unter diesen Umständen würde Alice Williams alles dransetzen, ihren Gatten bald wieder in das abgestandene, licht- und lustlose Schlafzimmer zurückzubeordern, in dem er – weiß der Teufel wie – drei Töchter gezeugt hatte, die jetzt schon ihrer Mutter ähnelten.

      Man mußte die Feste feiern, wie sie fielen, und eine entsprechende Konstitution mitbringen. Stubby nahm sicherheitshalber noch einmal einen großen Schluck Whisky und überprüfte zum vierten Mal die Lautsprecher-Anlage. Lazy rhythm, sanfte Weisen, der Ton macht die Schlafzimmermusik. Mochten die US-Besatzungs-Offiziere aus der Denazification einen Flop machen, sollte die Demontage der deutschen Industrie scheitern und die Umerziehung der Besetzten nicht so gelingen, wie es sich Washington wünschte; etwas würden sie in jedem Fall erhalten: Sexuelle Reparationen.

      Bud C. Williams trieb sich in der Nähe der Ostpreußin herum. Sie war einen Meter achtzig groß, herrlich gewachsen. Sie strahlte förmlich vor Sauberkeit und Lebenslust, eine nordische Unheilige, ein lebendes Kunstwerk aus vitalem Material. Vielleicht hatte Teddy-Boy, der Beschaffer, nur angegeben, aber wenn es stimmte, dann wäre es ›like Tahiti‹ wie noch nie, ob Stubby nun die Oberseite oder die Unterseite des Sandwich darstellte.

      »Hello, Bud«, rief Silversmith. »Don’t miss James Wallners big one-person-show!«

      Der Captain hatte es nicht mehr erwarten können und Gesines Auftritt vorangetrieben. Der Hausherr war auf etwas ganz anderes scharf, aber erfahrungsgemäß heizte die Vorführung der Gauleiterstochter die Gesellschaft immer an.

      Gesine, hellblond, blauäugig, vollbusig, war schon umgezogen, sie trug jetzt die weiße Bluse des ›Bundes Deutscher Mädchen‹ (BDM), das schwarze Röckchen, die kurzen weißen Söckchen, die Schuhe mit den Blockabsätzen, das schwarze dreieckige Schultertuch mit dem geflochtenen braunen Lederknoten. Eifrig schraubte ihr Impresario den Wimpel zusammen. Damit der Schaft in das Köfferchen paßte, hatte ihn Wallner in vier Teile zerlegen und mit Schraubgewinden versehen lassen. »Believe me«, versicherte er den Umstehenden. »Der Wimpel ist garantiert echt, 1938 persönlich geweiht vom Reichsjugendführer auf dem Domplatz zu Bamberg – durch Handanfassen.«

      Gesine nahm ihn in die linke Hand, stieg auf einen Stuhl, streckte den rechten Arm aus und begann mit heller Stimme zu singen: »Unsere Fahne flattert uns voran.«

      Soweit nötig, übersetzte der Captain die Worte ins Englische. »Unsere Fahne ist die neue Zeit …«, sang Gesine weiter.

      Er geriet dabei jedesmal in Ekstase, und was sich in seiner Hose tat, spiegelte sich in seinem Gesicht wider. Auf einmal hatte Wallner einen geschwollenen Peniskopf. Seine Körpertemperatur war davon abzulesen wie von einem Fieberthermometer. Und die Quecksilbersäule stieg und stieg.

      »Unsere Fahne führt uns in die E – e – wigkeit«, sang Gesine und sah dabei in eine unbestimmte Ferne: »Ja die Fahne ist mehr als der Tod …«

      Einige lachten, klatschten, forderten eine Zugabe. Andere verließen angewidert die Wohnhalle. Nur wenige hatten begriffen, daß Gesine den Mann, der sie demütigen wollte, längst beherrschte.

      »Crazy«, sagte Doc MacKinley und tippte sich an die Stirn. Er sah nach draußen und stutzte: »Look at him«, wies er auf den G2-Major Tajana: »The proud of Iowa.«

      Der Stolz von Iowa war nicht allein; Earl S. Tajana wurde von einer jungen hübschen Frau begleitet, an deren Uniform der Aufnäher angebracht war: war-correspondent. Der Captain mit dem Äskulapstab kannte Judy Tyler noch nicht, aber es war ihm klar, daß seinem Schleichhandel mit Penicillin der Garaus gemacht würde, so eine US-Journalistin sich in den Staaten darüber ausließe. Er stieß Teddy-Boy an.

      Der First-Lieutenant handelte nach einer kurzen Schrecksekunde sofort. »Shut up!« schrie er Gesine an. »Getaway!« scheuchte er die anderen Mädchen, bestrebt, sie nach oben zu treiben, noch bevor die newsweek-Reporterin Judy Tyler die Wohnhalle betrat. »Hurry up!« fuhr er Gesine wieder an, weil sie nicht schnell genug reagierte, und fuchtelte mit der Wimpelstange wie mit einem Bratspieß herum, trieb sie und ein paar andere Girls nach oben in den Blauen Salon und schloß ihn ab, als versiegele er die Büchse der Pandora.

      »What’s wrong?« fragte der Hausherr schwerfällig; dann sah er, wer gerade sein gastliches Haus betreten hatte, und der erträumte Generalsrang versank im Besatzungssumpf.

      »Go on, Stubby«, fuhr der Beschaffer den Colonel an. »Don’t be worried.«

      Bud C. Williams sah einen Moment lang aus wie ein Seekranker an der Reling, aber er ging, um das Schlimmste zu verhindern, den neuen Gästen mit Gelatine-Gelenken entgegen.

      »How nice to meet you«, begrüßte er die junge Frau, er sprach wie mit vollem Mund.

      »Meet the host, Colonel Williams«, stellte ihn Tajana seiner Begleiterin vor. »This ist Judy Tyler from newsweek

      »What a pleasure«, erwiderte Stubby mit saurer Süßlichkeit und malte sich dabei aus, wie ein Report über eine Münchener Besatzungsidylle mit ›Fräuleins‹ – unter ihnen eine Gauleiterstochter in BDM-Uniform – in Washington aufgenommen werden würde. Der Colonel warf dem Major, den er zum Teufel wünschte, einen anerkennenden Blick zu: »Indeed, very charming«, sagte er, so daß die Neu-Engländerin es hören konnte.

      King und Sears erkannten sie, und auch Major Silversmith unterbrach seine Eiswasser-Kur. Major Tajana begrüßte die Anwesenden mit einem Kopfnicken. Der Mittdreißiger war mittelgroß und grauhaarig. Man sagte, Offizier sei er nur im Nebenberuf, weil er sich Zeit lasse, um die Übernahme der elterlichen Maisfarm so lange wie möglich hinauszuschieben; er war Junggeselle und Millionär, dabei rechtschaffen und sittenstreng.

      Er suchte einen Platz in der Ecke; die Offiziere, die Judy kannten, kamen, um der Reporterin ihre Aufwartung zu machen und nahmen einen Moment am Tisch Platz. »Ich glaube, wir alle sind Judy zu Dank verpflichtet«, stellte der G2-Major fest. »Sie ist eine herrliche Frau – und kann doch« – er erinnerte an die Besprechung mit General Patton – »schweigen. Jedenfalls hat sie sich an ihr Versprechen gehalten.«

      »Und das ist mir schlecht bekommen«, erwiderte sie. »Ich habe dichtgehalten, aber ein anderer Teilnehmer muß geplaudert haben. Jedenfalls bekam ich einen ganz schönen Rüffel von meiner Redaktion.«

      »Sind Sie sicher, Judy?« fragte Tajana skeptisch.

      »Leider, Major«, entgegnete die Reporterin. »Unter diesen Umständen muß ich mir wirklich überlegen, ob ich mich beim nächsten Mal im Umgang mit der US-Army auf Vertraulichkeit einlassen kann.« Sie nahm ein Glas von dem Tablett, das ihr Charly, der Kellner, entgegenstreckte und sah sich um. »Ist das hier auch off the record?« fragte sie und deutete auf die Mädchen unter den Uniformierten.

      »Alles Sekretärinnen und Dolmetscherinnen«, beeilte sich Major Silversmith zu erwidern.

      »Und alle proben die Non-Fraternisation?« stellte die Reporterin belustigt fest.

      Colonel Williams sah sich als Ranghöchster verpflichtet, in die Bresche zu springen: »Sie wissen ja, Mrs. Tyler«, sagte er mit zwinkernden