Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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arme Kind«, sagte sie. »Was sie alles mitgemacht hat. Wir haben alle viel mitgemacht. Ich habe alles verloren, mein Mann ist aus Dachau nicht zurückgekommen. Lisa wurde in ein Arbeitslager gesteckt. Vom eigenen Vater, stellen Sie sich das vor. In einer Munitionsfabrik mußte sie Granaten drehen, während der Luftangriffe und –«

      »Aber Lisa lebt?« fragte Maletta vorsichtig.

      »Gott sei Dank«, erwiderte die alte Frau, die vermutlich weit jünger war, als ihr Gesicht dem Besucher einredete. »Sie hat alles überstanden. Sie hat mich besucht, vor einigen Wochen, und auch versprochen, daß sie bald wiederkommen wird.«

      »Wo lebt Lisa?«

      »In München, glaub’ ich.«

      Schließlich erfuhr der Besucher, daß sich Lisa bei einer deutschsprachigen amerikanischen Zeitung beworben hätte: Ein magerer Anhaltspunkt war immer noch besser als gar kein Hinweis.

      »Kann ich etwas für Sie tun, Frau Herbst?« fragte Maletta und dachte an Mehl, an Butter, an Fleisch.

      »Für mich kann keiner mehr etwas tun«, antwortete die Alte ohne Vorwurf, um ihm dann, als er schon auf der Treppe war, noch nachzurufen: »Doch, Herr Maletta, Sie können etwas tun! Bitten Sie Lisa, daß sie mich wirklich bald wieder besucht. Sie hat’s ja versprochen.«

      Maletta stieg in den Wagen, knallte die Türe zu, startete mit Vollgas, aber seiner Vergangenheit konnte er nicht davonfahren. Auf der Fahrt nach München beruhigte er sich, auch wenn er wußte, daß er Marc wieder einmal um einen Gefallen bitten mußte. Vielleicht arbeitete Lisa bei einem der Mitteilungsblätter, wie sie die örtlichen Militär-Gouverneure von Fall zu Fall herausbrachten. In diesem Fall hätte sie mit Sicherheit einen Fragebogen ausfüllen müssen, bei den in dieser Branche besonders mißtrauischen Amerikanern vielleicht sogar mehrere.

      »Ich werde mit ICD sprechen«, sagte Captain Freetown bereitwillig, »mit der ›Information Control Division‹.« Er ging in den Nebenraum und telefonierte. »Sieht nicht schlecht aus«, sagte er, als er wieder zurückkam. »Melde dich heute nachmittag bei Captain Spoonwood im ›Clearing-Office‹, er ist bereit, dir weiterzuhelfen. Bei dieser Gelegenheit kannst du dir gleich – der guten Ordnung halber – deinen Fragebogen absegnen lassen.«

      Die Münchener nannten die Tegernseer Landstraße, die zum Hauptquartier der Militär-Regierung führte, die ›Bücklings-Allee‹. Alltäglich zog über sie eine profane Prozession von Bittstellern zu dem riesigen Gebäudekomplex der früheren Reichszeugmeisterei: Bekehrte Sünder und verkehrte Antifaschisten, Denunzianten und Denunzierte, Erpresser und Erpreßte, Schinder und Geschundene, Kriegsgewinnler und Friedenshyänen, arme Wichte und krumme Hunde.

      Sie alle wollten etwas von der Militär-Regierung und blieben meistens in einem der vielen Vorzimmer hängen, mußten warten, wurden vertröstet und wieder bestellt, um am nächsten Tag die Prozedur wieder vergeblich über sich ergehen zu lassen. Die Zeit war wie eine Strafe, zu der jeder verurteilt wurde, der in ihr lebte.

      Die Riege der Machthaber war so gemischt wie die Heerschar der Supplikanten: Es gab Hochgebildete und Dummköpfe, Fleißige und Faule, Korrekte und Korrupte. Es gab Männer, die es mit der Umerziehung der Besetzten ernst meinten, und andere, die aus blindwütigem Haß am liebsten alle Deutschen zu Nibelungen des Morgenthau-Plans gemacht hätten.

      Captain Spoonwood, der Maletta nach umständlichen Sicherheits-Checks und Rückfragen im Clearing-Office empfing, ließ auf den ersten Blick nicht erkennen, zu welcher Kategorie er gehörte. Ein Mann, dem sein Schicksal wie ins Gesicht gestempelt schien: Flucht aus Galizien nach Deutschland. Flucht aus Deutschland in die Staaten. Spoonwood, offensichtlich ein geborener Löffelholz – österreichische Offiziere hatten sich vor dem Ersten Weltkrieg ein Vergnügen daraus gemacht, die jüdische Bevölkerung mit absonderlichen Nachnamen zu benennen –, sprach klares Deutsch ohne englische oder jiddische Wortbrokken. Er wirkte viel zu dienstlich, um freundlich oder unfreundlich zu erscheinen.

      »Nehmen Sie Platz, Herr Maletta«, sagte er. »Ich denke, wir werden nicht allzulange brauchen.« Spoonwood glättete den auf seinem Schreibtisch liegenden Fragebogen des Besuchers. Er sah Maletta an, als blickte er durch ihn hindurch: »Ich habe Captain Freetown gebeten, Sie zu mir zu schicken«, erklärte er. »Ich bin schon seit einiger Zeit gespannt auf Sie und –«

      »Warum, Captain?« unterbrach ihn Maletta.

      »Ich kenne Teile Ihrer Vorgeschichte aus deutschen Akten.« Erstmals zeigte sich in seinem Gesicht der Ansatz eines feinen Lächelns. »Marc könnte daraus spielend ein spannendes Drehbuch für einen Hollywood-Film fertigen.«

      »Vorläufig liegt das Copyright noch bei mir«, erwiderte der Besucher gereizt.

      »Sure«, räumte der Clearing-Officer ein, »jedenfalls bringt ein Mann wie Sie etwas Würze in diese fad-braune Einheitssauce.« Er griff nach dem Fragebogen und schob ihn dann, als hätte er es sich anders überlegt, wieder beiseite: »Marc sagte mir, daß Sie nach einer gewissen Lisa Schöller suchen.«

      Der Examinierte nickte.

      »Wir haben sie gefunden«, fuhr der Offizier mit den Ohren, die so weit abstanden, daß man an ihnen Kleiderbügel aufhängen könnte, fort: »Sie wissen, daß es sich dabei um die Tochter eines hohen Nazibonzen handelt.«

      »Ich weiß«, versetzte Maletta. Ohne Schärfe fügte er hinzu: »Ich weiß aber auch, daß in Deutschland die Zeit der Sippenhaftung vorbei ist, Sir. Isn’t it?«

      »Past and gone«, bestätigte der Captain. In seinem Gesicht, das so häßlich war, daß es auf den Besucher schon wieder faszinierend wirkte, verstärkte sich das dünne Lächeln.

      »Wo ist Lisa jetzt?« fragte der Clearing-Kandidat.

      »Darüber reden wir später«, wies ihn Spoonwood zurecht. »Wenn wir mit der Clearing-Prozedur fertig sind. Sie sind also in Berlin geboren, 35 Jahre alt. Sie arbeiten zur Zeit als Kraftfahrer beim Theater-Offizier der Militär-Regierung. Ich nehme nicht an, daß das der Abschluß Ihrer beruflichen Karriere ist.«

      »Ich auch nicht«, bestätigte der Besucher. »Nachdem Sie meine Akten durchgesehen haben, wissen Sie ja, daß ich Pilot, Oberleutnant der Luftwaffe, Fluglehrer, eine Art Entertainer und zuletzt Todeskandidat mit ein paar Hinrichtungsterminen war.«

      Es ging auf 17 Uhr, und es sah nicht so aus, als würde die Unterredung schnell vor sich gehen, obwohl es der Captain gesagt hatte und der Abstand zwischen einem US-Besatzungs-Offizier und einem deutschen Fragebogen-Kandidaten nicht mehr ganz so spürbar war.

      Die Hitzewelle hatte angehalten. Die Reifen der Autos blieben in den aufgeweichten Teerdecken der Straßen stecken. Die anhaltende Trockenheit riß die Feldwege auf, auf dem Land betete man in Bittgottesdiensten um Regen. Die Sonne brannte vom Himmel und verwandelte die staubige Erde in einen glühenden Rost.

      Die ersten Gäste der Garten-Party in Schleißheim vor München hatten ihre Uniformjacken ausgezogen und waren in den Schatten geflüchtet. Die Ordonnanzen, große, ausgesucht attraktive Negersoldaten, fachmännisch dirigiert von Charly, dem aus der Gaststätte Pulverturm ausgeliehenen Kellner, kamen beim Servieren der Getränke kaum nach, und so weilten die ersten Gäste bereits in einem hochprozentigen Nirwana, noch ehe die letzten angekommen waren.

      Bud C. Williams aus Washington D.C. feierte seine Beförderung zum Colonel bei gleichzeitiger Ernennung zum Chef des Alabama- und Indiana-Depots ausgiebig; gestern bei der Amtseinführung durch General Patton im Kreise höherer Chargen, heute umgeben von Bekannten und Freunden des Military Governments of Munich auf einem Gartenfest. Wie immer erging dazu keine persönliche Einladung; es war eine Open-House-Party, zu der jeder erscheinen konnte, der den Gastgeber kannte. Spezielle Aufforderungen erhielten nur Teilnehmer des ›Intimate-Circle‹, der sich meistens erst dann zusammenfand, wenn die anderen bereits gegangen waren.

      Die Stimmung war von Anfang an ausgezeichnet. Auf dem Barbecue wurden Steaks und Spareribs vorbereitet und zwischendurch immer wieder erlesene Titbits angeboten. Ganz zuletzt würde dann der Hausherr nur wenige Teilnehmer zu noch ganz anderen Leckerbissen nach oben bitten.

      Mit hochrotem