Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


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denn die kolossale Ostpreußin, dieses weizenblonde Edelgewächs, war zwar vielseitig, doch auch geschmäcklerisch.

      Charly dirigierte nicht mehr fachmännisch seine farbigen, wenn auch alliierten Hilfskräfte; er saß im intimen Gespräch mit Captain Miller in einer Sofaecke; es sah aus, als tauschten zwei mit allen Wassern gewaschene Börsenjobber hochkarätige Tips aus und begaunerten sich dabei gegenseitig. Der Findling aus Berlin, glücklich an der Isar gestrandet, hatte es in kurzer Zeit recht weit gebracht. Seine Förderer unter den Alabama-Offizieren waren beim deutschen Wohnungsamt erfolgreich dafür eingetreten, daß Charly das Siedlungshäuschen eines schwerbelasteten Parteigenossen zugesprochen wurde.

      Langsam verlagerte sich die Garten-Party in das Innere des Hauses. Wiederum gingen einige Gäste, unter ihnen First-Lieutenant King mit Iris, die er in einem unbewachten Moment seinem Rivalen Sears entführte. Captain Wallner stellte fest, daß seine Begleiterin Gesine auch bei anderen Männern Anklang fand, sogar im Cocktailkleid und ohne BDM-Röckchen. Wenn sie von anderen Offizieren umlagert war, nahm er sie bei der Hand und zog sie einfach weg, zugleich beleidigt wie stolz, mißtrauisch und befriedigt – James Wallner gehörte zu den Verwundeten einer Zeit, die den Teufel im Leib hatte.

      Die von Teddy-Boy herbeigerufene Verstärkung erschien. Die männlichen Partygäste zog es an den Eingang wie damals die Männer von San Francisco in die Hafenbucht: Sie stellten mit Befriedigung fest, daß der First-Lieutenant wieder einmal das richtige Gespür gehabt hatte – die Anlandung erfreute, auch wenn sie den Männerüberschuß nicht ausgleichen konnte.

      Die Mädchen waren nicht alle käuflich, wenn auch vielleicht zu haben. Daß sie von heldischen Zeiten bedient waren, bedeutete noch nicht, daß sie sich rücksichtslos an die Fettlebe hielten. Sie hatten nur die selbstgestrickten Wollstrümpfe satt und auch die linksgewebten, schwarzgehandelten Baumwollprodukte ›Made in Germany‹. Der Slogan: »Die deutsche Frau raucht nicht«, hing ihnen ebenso zum Hals heraus wie die Holzpantinen, der Muckefuck und der Kunsthonig. Sie wollten keine Panzersperren mehr bauen und auch an keinen Flakgeschützen mehr stehen, und das Himmler-Angebot, dem Führer – zwecks Ausgleich des Blutverlustes – ein Lebensborn-Kind zu schenken, fanden sie so lächerlich wie den Zwicker des zur Hölle gefahrenen Reichsführers SS. Mochte man sie für Amizonen, für Nutznießerinnen der Besatzungszeit halten, jedenfalls waren sie auch Vorbotinnen der Vorurteilslosigkeit, und dabei meist ehrlicher als ihre Eltern.

      Die deutsche Frau raucht nicht?

      Sie smokte CAMEL, Chesterfield und Luckystrike, als bliese sie den Einpeitschern des braunen Reinheitsgebots den Rauch ins Gesicht, und ihre Männer, Väter und Brüder warteten auf die Kippen.

      Doc MacKinley hatte sich bislang eher als Kundenbetreuer, denn als Partyteilnehmer betätigt, aber als er unter den Neuankömmlingen die große Brünette mit den schulterlangen Haaren sah, fühlte er sich angesprochen und schlüpfte aus seiner Zurückhaltung wie ein Fuchs aus der Höhle. Es war keine Zeit zu verlieren, denn sie wurde sofort von anderen Bewunderern umlagert.

      Der Militär-Arzt pflügte sich durchs Gewühl, knapp und schnell machte er seinen Waffenbrüdern klar, daß er eine Option ausnützen wolle.

      »Hello, pretty girl«, begrüßte er die 20jährige und zog sie zunächst einmal beiseite: »Would you like a drink?« fragte er.

      »Oh, yes«, erwiderte die Brünette und musterte ihn nicht ohne Interesse. »Orange-juice with a little bit of gin, please.«

      Auf Uniformen verstand sie sich – auf amerikanische wie auf deutsche –, und so stellte sie fest, daß der Flirt-Partner ein Mediziner im Rang eines Captains war.

      Sie zündete sich eine Zigarette an, schlug Attacken einiger Bewerber ab, während sie auf MacKinley wartete. Der Doc unterschied sich nicht nur durch Witz und Überheblichkeit von den anderen. Die lange Brünette merkte, daß ihr selbstgeschneidertes Kleid – knielang, ärmellos, nur andeutungsweise dekolletiert – ankam, es konturierte ihre Figur, und die weiße Fallschirmseide ließ nicht erkennen, ob sie deutschen oder alliierten Ursprungs gewesen war.

      »Thanks for waiting«, sagte der von der Bar zurückkehrende MacKinley.

      »Thanks for the drink«, bedankte sich die Brünette.

      »My name is Henry«, stellte er sich vor.

      »And I am Angel«, entgegnete sie.

      »A fallen angel?« fragte der Doc. »Ein gefallener Engel?«

      Sie lachten beide.

      Dann wurde sie ernsthaft. »Be careful«, versetzte sie. »Ich bin zwar lustig, aber das bringt noch gar nichts. Was sind Sie für ein Arzt?« fragte sie dann.

      »Chirurg«, erwiderte er. »Mögen Sie Ärzte?«

      »Solange sie mich nicht behandeln«, antwortete Angel und lachte über sein verdutztes Gesicht. »Meine Mutter behauptete immer: ›Der Arzt im Haus ersetzt den Kurpfuschern«

      MacKinley sah, wie sich First-Lieutenant Pepper auffällig in ihrer Nähe herumtrieb und immer wieder hersah, wie ein kleiner Köter, der sich an den größeren Hund nicht heranwagt, aber ihn auch nicht aus den Augen läßt. Der Zuchtmeister unzüchtiger Spiele hatte begonnen, Stubbys Südsee-Insulanerinnen zu rekrutieren und dabei über Angel offensichtlich anders disponiert als der Penicillin-Distributor.

      »To hell with you, Teddy-Boy«, sagte MacKinley mit herzlicher Verachtung. »Listen: Angel is my date. Any doubts?«

      »You egoist«, maulte der Liebes-Manager.

      Nach seinem unwilligen Abgang pickte er rasch zwei andere Gespielinnen auf und zog sie über die freitragende Treppe nach oben. Die Beletage bestand aus einem großen Salon, zwei Schlafgemächern und zwei Badezimmern. In allen fünf Räumen standen die Türen offen, war das Licht moduliert und die Musik gedämpft.

      Die Kulisse des künstlichen Paradieses stand. Sowie sie mit Adams und Evas bevölkert wäre, würde der Kellner Charly die Treppe bewachen und den Körperreigen vor ungebetenen Mitwirkenden schützen.

      Major Silversmith hatte sich als erster nach oben gestohlen, stumm und nüchtern wie ein Trappisten-Mönch, wenn auch nicht so enthaltsam. Colonel Williams, der Hausherr, putzte sich im Badezimmer die Zähne, zum dritten Mal schon, aus Verlegenheit, nicht aus Reinlichkeit. Wenn Stubby bei den verbotenen Spielen auch voll bei der Sache war, hatte er doch davor und danach Hemmungen – ein nur zeitweilig unsauberer Puritaner.

      Teddy-Boy schleppte Sissy und Daisy an. Dann kam das Sandwich und führte an der linken Hand First-Lieutenant Sears und auf der anderen Seite Freddy Sillitoe, den Captain der Militär-Polizei, der sich zur Zeit außer Dienst fühlte. Sie segelte wie eine stolze Fregatta mit zwei kleinen Begleitschiffen in die Arena erfüllbarer Träume.

      Im Blauen Salon stand es jetzt sechs zu vier. Pepper flitzte noch einmal nach unten, um das Defizit auszugleichen. Es ging nicht so schnell. Die Erwartungsbangen fürchteten schon, dieses Mal mit schiefer Schlachtordnung in das Matratzengefecht ziehen zu müssen, aber auf Teddy-Boy war wenigstens halbwegs Verlaß; er hatte noch eine Glutäugige, wenn auch zweite Wahl, aufgetrieben. »Angel ist nicht loszueisen«, raunte er dem Gastgeber zu. »Der lousy Doc hat sie einfach einkassiert. Nichts zu machen.«

      Charly bezog auf der Treppe Posten.

      First-Lieutenant Pepper begann die Spielregeln zu erklären: »Bottle-Poker«, sagte er mit angehobener Stimme. »Flaschen-Poker.«

      Die Mitspieler setzten sich in berechneter Zwanglosigkeit auf die bereitgelegten Kissen am Boden.

      »Probelauf«, startete er das Spiel und setzte eine leere Weinflasche mit einer Rechtsdrehung in Schwung. »Auf wen der Flaschenhals zielt, der muß ein Kleidungsstück ablegen. Wenn der Wurf ungenau ist, wird wiederholt. Der Verlierer darf dann die Flasche drehen. Everything okay?« fragte er. »I am starting now.«

      Der Hals der leeren Flasche deutete auf das Sandwich; die Weizenblonde schleuderte lässig ihren linken Schuh in die Mitte, griff dann nach der Flasche, drehte sie und erzielte, unter dem Gelächter aller, ein Selbsttor. Sie entledigte sich ihres rechten Schuhs. Interessanter