Will Berthold

Ein Kerl wie Samt und Seide


Скачать книгу

      »Er ist nach ein paar Wochen noch einmal bei euch im Gefängnis aufgetaucht?«

      »Was heißt aufgetaucht«, entgegnete Lisa, »er hat von vornherein seine eigene Giftsuppe gekocht. Oder meinst du«, sagte sie langsam, »ein Schwein seines Kalibers läßt fünf hübsche Mädchen, die in seine Hände gegeben sind, aus den Klauen?«

      Lisa hörte, wie schwer der Mann an ihrer Seite atmete und brach einen Moment ab.

      »Er hat euch – hat er euch – erpreßt?« fragte Maletta.

      Es hörte sich an, als riebe sich seine Zunge an den Zähnen.

      »Erpreßt?« wiederholte Lisa, »was für ein schöner Ausdruck. Das nächste Opfer war Sybille«, berichtete sie weiter. »Du weißt ja, sie und Bruno, unser erstes Liebespaar. Aber niemand von uns wußte – auch Bruno nicht –, daß sie ein Kind erwartete und schon im dritten Monat schwanger war.« Lisas Stimme bekam einen schrillen Klang, der nicht zu ihr paßte: »Machoff erpreßte sie. Soll ich aufhören, Peter?«

      »Nein«, erwiderte er. »Ich muß alles wissen.« Er sah sie gequält an. »Es muß sein.«

      »Gut«, versetzte Lisa. »Aber ich hab’ dich gewarnt.«

      Maletta nickte. Sein Speichel schmeckte nach Galle.

      »Sybille glaubte sich für Bruno zu opfern«, fuhr Lisa fort. »Sie wurde eine Nacht lang von diesem RSHA-Scheusal vernommen. Sie kam weinend zurück. Verstört. Mit aufgelösten Haaren. Sie konnte tagelang nichts essen. Als die Mithäftlinge sie dazu zwangen, kotzte Sybille die Brocken wieder heraus. Mit kaputtem Magen wurde sie in die Krankenabteilung eingeliefert. Von da an weiß ich nichts mehr von ihr – ich fürchte, sie ist am Ekel gestorben.«

      »Und die anderen?« fragte Maletta.

      »Die nächste war ich«, sagte Lisa hart, »Machoff hatte meinem Vater versprochen, sich um mich zu kümmern«, sprang Lisa ins kalte Wasser. »Und das hat er dann auch getan.«

      Der Mann an ihrer Seite spürte, wie sich sein Nacken versteifte. »Machoff wollte mich in sein dreckiges Bett zerren. Ich spuckte ihn an.« Lisa atmete schwer. Selbst bei dem kärglichen Licht, das ins Zimmer fiel, sah Maletta in ihrem Gesicht, wie in einem Spiegel, daß sie alles noch einmal durchmachte.

      »Er lachte nur und wartete, bis ich mich beruhigt hatte. Er fläzte sich in einen Stuhl, zündete sich eine Zigarette an, blies blasiert den Rauch ab, sah mich an, prüfte, ob ich schon reif genug sei für weitere Angebote. Weißt du, Peter, die besten Folterknechte sind bekanntlich die, denen es Spaß macht – das habe ich begriffen in diesen Monaten –«

      »Und?« fragte er mit einer Stimme, die überschwappte.

      »Machoff sagte mir, daß du in einem geheimen Verfahren zum Tode verurteilt seist und morgen früh hingerichtet würdest. Zwar hatte ich eine solche Nachricht befürchtet, aber die Vorstellung, daß es in ein paar Stunden soweit sein würde und es vielleicht doch noch verhindert werden könnte, danach aber für immer zu spät wäre, machte mich verrückt. Zuerst war ich so entsetzt, daß ich nicht einmal weinen konnte. Dann begann Machoff von einer Möglichkeit zu sprechen, die Hinrichtung auszusetzen. ›Ob sie mich mögen oder nicht, Lisa‹, sagte er, ›ändert nichts daran, daß nur ein Anruf genügt, um die morgige Exekution abzusetzen‹.«

      Einen Moment lang fürchtete Peter Maletta, sein Herz stünde still. Seine Zähne bissen sich in die Unterlippe, bis sie platzte und blutete; er spürte es nicht. Er bekam keine Luft mehr und fürchtete, zu ersticken. Langsam wurde er mit dem Anfall fertig.

      »Machoff sagte, es sei auch für ihn gewagt, einzugreifen, und ein Risiko erfordere eine Gegenleistung. Dann wurde er konkret und gab mir eine Stunde Zeit zur Entscheidung –«

      »Und du hast es getan?« sagte Maletta mit kenternder Stimme: »Du, ausgerechnet du?«

      »Ich wollte dich retten«, sagte Lisa leise.

      »Mein Gott«, erwiderte er.

      Er nahm ihre Hand, preßte sie, bis es schmerzte, aber Lisa gab keinen Laut von sich.

      Maletta sprang auf, zündete sich eine Zigarette an. Im Feuerschein des Streichholzes war sein Gesicht glutrot. »Ich zahle es ihm heim«, sagte er. »Ich schwöre: Alles zahle ich ihm heim. Alles, was er dir, mir, Olga, Nadine, Sybille, Dena und Bruno Plaschke angetan hat.«

      »Ist das denn noch so wichtig, Peter?« fragte sie. »Wir haben überlebt – und nur das zählt. Wenn wir uns mit der Erinnerung herumschlagen, quält uns Machoff bloß weiter.«

      »Vielleicht gelingt es mir wieder einmal, nachts zu schlafen. Womöglich kann ich wieder einmal richtig lachen. Vielleicht schmeckt mir das Essen wieder, und ich brauche nicht mehr den dummen Snob zu spielen. Es kann auch sein, daß mir das Trinken wieder Spaß macht, weil ich dabei nicht mehr die Vergangenheit ertränken muß.« Maletta zog Lisa an sich. »Vielleicht kommt auch einmal wieder die Situation, da ich eine Frau begehre«, sagte er. »Aber zuvor heißt es Tabula rasa. Es ist die Voraussetzung, daß ich wieder atmen, daß ich weiterleben kann.«

      »Mach’ von mir aus ihn kaputt«, sagte Lisa, »aber bitte nicht dich.« Sie streichelte seine Stirn. Es war Zärtlichkeit ohne Sinnlichkeit. Sie fuhr mit den Fingern über seinen Mund, spürte die Feuchtigkeit.

      »Du weinst doch nicht?« fragte sie.

      »Nein«, antwortete Maletta. »Ich weine nicht.«

      Er machte Licht, um sich den Mund abzuwischen.

      Lisa sah, daß es Blut war.

      Sie legten sich wieder hin und versuchten voreinander zu verbergen, daß sie nicht schlafen konnten, sondern die Sekunden, Minuten und Turmuhrschläge zählten.

      »The alarm is over«, rief First-Lieutenant Teddy Pepper durch Haus und Garten, als Major Tajana und seine reizvolle und gefährliche Begleiterin Judy enlihch gegangen waren. »The party goes on!« brüllte er weiter. »And now«, verfiel er in ein ulkiges Deutsch: »Ringelpietz mit Anfassen!«

      »Schrei’ nicht so laut, Teddy-Boy«, rief Doc MacKinley lachend, »sonst kommen die noch einmal zurück.«

      Der Aufreißer schüttelte sich: »Dieser Major Tajana hat uns glatt um zwei Stunden zurückgeworfen.« Er wandte sich dem kurzbeinigen und kurzatmigen Chef des Mammut-Areals zu: »Mach’ die Schotten dicht, Stubby, damit wir nicht noch andere Überraschungen erleben.«

      Der First-Lieutenant ging ans Telefon, um weitere ›Tahitianerinnen‹ zu beschaffen. Während er noch verhandelte, kamen die in den Blauen Salon verbannten Gespielinnen im Gänsemarsch nach unten; voran die blonde Sissy, dann die Kurven-Lilly, gefolgt von der flammend roten Betsy und der schüchternen Daisy. Alle überragend Sandwich, blankpoliert, als hätte sie die Zeit des Exils im ersten Stock dazu benutzt, sich ununterbrochen zu schrubben.

      Major Silversmith nahm mit den Augen Maß bei der Masuren-Tochter, er schob die Icewater-Karaffe beiseite und kroch unter dem Baumschatten der üppigen Roßkastanie hervor, wie der Drachen, der Jungfrauen verspeist, aber er war kein feuerspeiendes Monster, und das Sandwich schon gar keine Jungfrau, sondern eine für zwei, die so viele Blicke auf sich zog, als wäre sie eine für alle.

      Der Hausherr drehte die Lautsprecher auf. Die Neger-Ordonnanzen füllten, ziemlich unnötig, die Gläser nach, und Stubby sah nicht mehr aus wie ein Seekranker an der Reling und auch nicht mehr wie ein gerade noch einmal entkommener Taschendieb. Sein Gesicht war wieder in der Farbe der Baccara-Rose erblüht; der Doc schätzte seinen Blutdruck auf mindestens 200 zu 130, bei ansteigender Tendenz, systolisch wie diastolisch.

      Die ersten Paare vollbrachten auf dem Teppich Bocksprünge der Lebenslust. Die Tänze hatten sich geändert wie die Namen der deutschen Mädchen: Man stellte sich nicht mehr zu Marschfox oder langsamem Walzer auf, sondern zu Jitterbug und Bebop. Der American way of Life hatte in Germany schon im ersten Anlauf einen riesigen Brückenkopf gebildet.

      Major Silversmith holte sich bei der Aufforderung zum Tanz bei Sandwich eine Abfuhr, ertrug sie aber gelassen und blieb