Luzia Pfyl

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel


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zu sprengen, passieren konnte, war, die Leiche eines von Greenwichs Studenten zu finden. Die Presse würde sich darauf stürzen wie Geier auf ein Stück Aas. »Die Polizei schätzt sein Alter auf fünfzehn, Sir, womit er zu jung ist.«

      Sie hatten den Pier erreicht. Links befanden sich die Anlegestelle für die Fährboote nach London und das alte Bootshaus. Direkt vor ihnen ging der Platz in breite Stufen über, die bis ins Wasser hinabreichten. Die Studenten saßen hier gern während ihrer freien Stunden. Ein Boot der Polizei lag vertäut an der Anlegestelle, doch die Schar an Studenten verdeckte jeglichen Blick auf die Männer in Uniform.

      »Aus dem Weg, aus dem Weg!« Christie und Haverfort schoben die jungen Leute beiseite, um zum Wasser zu gelangen. Cecilia folgte ihnen. Unter den versammelten Studenten befanden sich auch einige ihrer eigenen Schüler. Normalerweise hätte sie sie ermahnt, doch als die Menge sich vor ihr teilte und den Blick freigab auf das Bündel am Ufer, vergaß sie es völlig.

      Sie hatte erst vor ein paar Tagen zwei sehr ähnliche Bündel gesehen, schoss es ihr durch den Kopf. Das Entsetzen, welches sie an jenem Abend empfunden hatte, drohte sie erneut zu übermannen.

      »Meine Herren, ich bin Astronomer Royal William Christie. Ich verlange zu erfahren, was hier vorgeht.« Christie legte seine ganze Autorität in seine Stimme. Die angesprochenen Polizisten wandten sich alle ihm zu und nahmen Haltung an.

      »Ein paar Ihrer Studenten haben diesen armen Tropf hier entdeckt, Sir«, sagte der Sergeant. »Der junge Mann trieb auf dem Wasser.«

      »Wer ist er?«

      »Das wissen wir noch nicht, Sir. Mir wurde allerdings versichert, dass es sich nicht um einen Ihrer Studenten handelt.«

      Cecilia machte ein paar Schritte auf das Bündel zu. Die Strömung hatte die Verschnürung gelöst, so dass das Leinentuch den Jungen nicht mehr vollständig umwickelte. Sein Gesicht war wächsern und ein wenig aufgedunsen, Schlamm und Algen verklebten seine braunen Haare.

      »Bringt die Frauen hier weg«, verlangte Christie, worauf Haverfort und zwei der Polizisten anfingen, die weiblichen Studenten wie Schafe zurück zur Universität zu treiben. »Sie auch, Cecilia. Das ist kein Anblick, den Sie sich antun sollten.«

      Cecilia schüttelte den Kopf und schaute dabei wie gebannt auf den Jungen im Tuch. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erhascht. »Was ist das?«, fragte sie den Sergeant und deutete auf den Arm des Jungen.

      Der Sergeant ging neben der Leiche in die Hocke und hob deren Arm an. »Eine Metallplatte. Sie scheint irgendwie am Arm festgemacht zu sein, denn wir konnten sie nicht lösen. Die Haut auf beiden Seiten sieht stark entzündet aus. Haben Sie so etwas schon einmal gesehen, Ma'am?«

      Cecilia wollte Ja sagen, doch es schnürte ihr die Kehle zu. Vor ihrem inneren Auge sah sie wieder die beiden Kinder im Kies des Themse-Ufers liegen, eingewickelt in Lumpen, mit wächsernen, toten Gesichtern. Sie sah das mechanische Knie des Mädchens und den metallenen Arm des Jungen vor sich, die entzündeten Wucherungen und entstellenden Narben.

      »Nein«, hauchte sie und machte einen Schritt rückwärts. »Bitte entschuldigen Sie mich.« Sie drängte sich durch die Studenten und eilte zurück in die Universität. Niemand hielt sie auf oder folgte ihr. Unter dem Säulengang hielt sie inne und lehnte sich schwer atmend an die kalte Rundung.

      Jetzt waren es schon vier, schoss es ihr durch den Kopf. Vier Leichen von Kindern und Jugendlichen. Sie alle wurden innerhalb weniger Tage aus der Themse gefischt. Und sie alle hatten diese entsetzlichen mechanischen Körperteile.

      »Jackson«, entfuhr es Cecilia. Dieses Mal musste sie mit ihm reden. Sie wollte, dass er herausfand, wer diese armen Kinder verstümmelte und ermordete – ja, ermordete, denn für Cecilia stand es außer Zweifel, dass jemand dafür verantwortlich war.

      Eine plötzliche Eile trieb sie dazu an, mit schnellen Schritten zu den Stallungen zu gehen. Sie brauchte eine Kutsche, die sie nach Southwark oder zumindest zum nächsten Fähranleger brachte. Eine nagende Stimme in ihrem Hinterkopf fragte immer wieder, ob als nächstes Annabella aus dem Fluss gefischt werden würde.

      »Wir kommen wohl ungelegen«, sagte Frost. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sanderson, der steife Privatsekretär, zielte mit einer Pistole auf einen Mann, der ein Messer in der Hand hielt und ihn lauernd anstarrte.

      Sanderson beachtete seine zwei neuen Gäste nicht. »Verschwinden Sie, sofort!«, zischte er eisig. Der Mann mit dem Messer hob die Hände und machte einen Schritt rückwärts zur Tür hin. Frost und Payne machten ihm Platz, und gleich darauf rannte er aus dem Haus.

      Frost wartete und gab Payne ein Zeichen, dass er schweigen sollte. Sanderson entspannte sich. Er legte die Pistole in eine Schublade des Schreibtisches und zog dann seinen Anzug zurecht.

      »Tut mir leid, dass Sie das mit ansehen mussten, Miss Frost«, sagte er trocken und deutete einladend auf die Sessel. »Bitte, setzen Sie sich doch.«

      Payne warf Frost einen Blick zu und stellte den umgekippten Sessel wieder aufrecht hin. »Wer war der Mann?«, fragte Frost, während sie sich setzte.

      »Einer der Vorarbeiter. Verlangte mehr Geld für sich und seine Männer. Leider war er nicht dazu bereit zu verhandeln.« Sanderson klang, als wäre die Sache eine unangenehme Kleinigkeit, über die es nicht wert war zu sprechen. Er verschränkte die Hände und schaute Frost und Payne aufmerksam an. »Nun, wie kann ich Ihnen behilflich sein?«

      Frost machte sich eine geistige Notiz, dass Sanderson zum einen eine eiskalte Seite hatte und zum anderen eine Waffe in seiner Schreibtischschublade aufbewahrte. »Mr. Payne, mein Partner, und ich sind aktuell dabei, Dr. Baxters Mitarbeiter wegen des Diebstahls zu befragen. Da Sie, Mr. Sanderson, am Montagabend auch unten in der Fabrik waren, möchten wir Ihnen ebenfalls ein paar Fragen stellen.«

      »Bitte, ich bin ein offenes Buch«, meinte der Sekretär nonchalant und lächelte.

      »Sie sind der Privatsekretär des Besitzers dieser Fabrik, richtig?«, fragte Payne und zog sein Notizbuch aus der Manteltasche.

      »Das ist korrekt. Ich bin zudem verantwortlich für den betrieblichen Ablauf und die zeitliche Einhaltung aller Aufträge.«

      »Waren Sie deswegen nach Dienstschluss unten in der Fabrik?« Payne lehnte sich im Sessel zurück und schaute Sanderson mit ausdruckslosem Gesicht an. Frost verkniff sich ein Lächeln. Er hatte das pinkertonsche Pokergesicht also doch drauf.

      »Ich wollte mich vergewissern, dass die Prototypen rechtzeitig fertig werden. Wie Sie wohl bereits wissen, erwarten wir in wenigen Tagen sehr hohen Besuch.«

      »Wie hoch?«, fragte Frost, ohne vorher nachzudenken.

      Sanderson schaute sie lange an, als wäge er ab, wie viel er ihr erzählen sollte. »Der Duke of Edinburgh und weitere hohe Militärs der königlichen Marine.«

      Frost spitzte die Lippen. Das war sehr hoch. Alfred Duke of Edinburgh war Dritter in der Thronfolge und ein Admiral der Flotte. Man munkelte, dass er ein Waffennarr war und einen Haufen Geld ausgab, um sein Flaggschiff immer mit der neuesten Technik auszurüsten.

      Sanderson räusperte sich. »Sie sehen also, wir stehen ein wenig unter Druck.« Dennoch schaffte er es, ein sehr zufriedenes Lächeln aufzulegen.

      »Haben Sie den Prototypen an jenem Abend gesehen?«, fragte Payne unbeeindruckt.

      »Ich glaube, Dr. Baxter hat an der Waffe gearbeitet. Allerdings war ich mit meiner eigenen Arbeit beschäftigt, deswegen kann es auch sein, dass ich mich irre.«

      Frost zupfte einen Fussel von ihrem Mantel. »Gibt es jemanden, der Ihnen, Ihrem Boss oder der Fabrik schaden will?« Sie fixierte Sanderson, um keine seiner Reaktionen zu verpassen.

      »Mr. Greyson hat viele Feinde, Miss Frost, aber das ist nun einmal so in unserem Business.«

      »Greyson?«, fragte Payne sichtlich überrascht.

      »Lord Edward Greyson,