Gesicht war schön. Sein Tod hatte nichts Häßliches …
Der Kommissar richtete sich auf.
»Tot«, sagte er knapp.
Fast gleichzeitig zerfetzte ein Knall die majestätische Stille des Sterbens. Die Mauern zitterten ein paar Sekunden. Im zweiten Stock hatte die explodierende Höllenmaschine den Sender des toten Rudolf Formis ausgelöscht …
20
Die Nacht fror. Der Wind sang. Der Motor brummte. Ein Hund heulte. Die Autoscheinwerfer rissen mit grellen Armen Löcher in die Nacht. Der Mann am Steuer schwieg verbissen. Jeder Pulsschlag stach in seine verwundete Hand. Werner Stahmer hatte ein Taschentusch darum gewickelt. Mehr konnte er nicht tun. Es war zweiundzwanzig Uhr vier. Die Polizei warf ihr Netz aus. Noch das letzte Dorf wurde alarmiert. Jede Straße abgeriegelt. Die eigene Beschreibung dröhnte dem Agenten in den Ohren. Sinnlos sagte er in Gedanken vor sich hin: »Werner Stahmer ist einen Meter vierundachtzig groß, blond, hat eine hohe Stirn und helle, schräg zueinander abgesetzte Augen. Achtung, der Mann ist bewaffnet. Nur einmal anrufen … sofort schießen.«
Er nickte verdrossen. Dann kam die gefährliche Linkskurve. Sein Fuß ließ dem Gaspedal Raum. Er beugte sich etwas nach vorn, dichter an die Windschutzscheibe. Irgendwo hinter einer solchen Biegung mußte er auf die erste Sperre stoßen …
»Soll ich Sie am Steuer ablösen?« fragte der Mann namens Georg.
Stahmer schüttelte den Kopf. Seit Ira ausgestiegen war, saß der Mörder neben ihm. Ein stupider, stumpfsinniger Bursche, der unfähig war, zu übersehen, was er angestellt hatte. Und Stahmer mußte ihn mitschleppen.
»Ich weiß gar nicht, was Sie haben«, brummte Georg, »ohne mich wären Sie jetzt mausetot.«
»Unsinn«, antwortete der Agent.
»Der Kerl hätte Sie umgelegt …«
Stahmer sah auf das durchblutete Taschentuch an seiner Hand. »Wenn Formis öfter eine Pistole in der Hand gehabt hätte«, sagte er fast wider Willen, »dann säße jetzt der Verband woanders …«
»Ist doch alles gut«, versetzte Georg, »der Bursche ist kalt … der Sender ist in die Luft geflogen …«, er grinste, »und wir hau’n ab.«
»Sie kannten Heydrichs Befehl«, entgegnete Stahmer erregt, »und Sie werden sich in Berlin verantworten …« Seine Stimme wirkte ruhiger: »Wissen Sie überhaupt, was Sie angerichtet haben? … Wenn die Tschechen uns schnappen … oder das Mädchen … Was meinen Sie, wie die Auslandspresse diesen Fall aufzieht.«
»Die hetzen sowieso bloß gegen den Führer«, erwiderte der Komplize überzeugt.
Erst hat das Auto spurlos zu verschwinden, überlegte Stahmer, und dann wir! Jetzt fror und schwitzte er gleichzeitig. Das Wundfieber, dachte er verschwommen. Aber er fuhr weiter, langsamer jetzt. An der nächsten Kreuzung bog er nach rechts ein. Feldweg. Er betrachtete ihn ein paar Sekunden prüfend. Mit Schneeketten würde es zu schaffen sein. Die weglose Straße führte zu einem einzelnen Gehöft. Dann wurde sie noch schmaler. Der zittrige Strahl des Scheinwerfers erfaßte ein Wäldchen.
»Was soll denn das?« fragte Georg.
»Halten Sie den Mund«, erwiderte Stahmer.
Wir hätten uns sofort aus Formis’ Zimmer zurückziehen müssen, überlegte der Agent, um uns noch in der Nacht nach Deutschland durchzuschlagen. Das wäre zu schaffen gewesen.
In diesem Moment sah Stahmer den zugeschneiten Graben. Er trat so fest auf die Bremse, daß der schwere Wagen quer stand, stieg aus, betrachtete das Gelände, nickte, ging auf den Kofferraum zu, holte einen Spaten heraus, gab dem verdrossen aussteigenden Georg ein Zeichen.
»Los«, sagte er, »ausschaufeln!«
»Wozu?«
Ein Blick Stahmers genügte. Der Komplize duckte sich. Dann schaufelte Georg so besessen, als ob er Stahmer mit dem Blatt erschlagen wollte. Er wollte keuchend aufhören. Aber der Agent trieb ihn an. Schließlich nahm er selbst die Schaufel. Die Wunde an der Hand brach wieder auf. Der Agent biß die Zähne aufeinander. Es ging langsam. Viel zu langsam. Georg begriff noch immer nicht. Er glotzte stumpfsinnig in den Graben. Nach einer halben Stunde war er freigelegt.
Stahmer ging an den Wagen, stieß zurück, rollte langsam im ersten Gang auf die Stelle zu, ließ ihn allmählich hineingleiten. Der Wagen fiel um. Der Agent rappelte sich keuchend heraus. Der angeschlagene Kopf brummte.
»Zuschaufeln«, sagte er lakonisch.
Um dreiundzwanzig Uhr waren sie fertig. Stahmer betrachtete noch einmal die Stelle. Es sah aus, als ob der Graben eine Beule hätte, die der Schnee mit einem Zuckerguß überzogen hatte. Wenn wir Glück haben, dachte er, dauert es zwei, drei Tage, bis sie die Limousine entdecken.
Er stieß Georg in die Rippen. Fortsetzung der Flucht. Zu Fuß. Nebeneinander. Schweigend. Zwei, die sich nicht mochten und aufeinander angewiesen waren, die von einem Land unter den Augen der Welt gejagt wurden.
Auf dem Marsch durch die Nacht, die heute zwölf Grad Kälte hatte …
21
Die schnellen, harten Schritte, die um dreiundzwanzig Uhr zehn über den Gang des Hauses in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin wuchteten, kannte jeder. Jeder zog den Kopf ein, als spürte er den Pistolenlauf im Nacken. Jeder atmete erleichtert auf, wenn die Stiefel weiterhetzten. In vielen Zimmern brannte noch Licht. Die Zentrale des SD und der Gestapo kannte keine Bürozeit. Die unheimliche Maschine rotierte Tag und Nacht, vom Teufel betrieben, mit Blut geölt.
Gruppenführer Heydrich riß die Türe zu seinem Büro auf. Der Adjutant im Vorzimmer stand stramm, folgte ihm.
»Was Neues von Stahmer?« fragte der Chef noch im Gehen.
»Nein … das heißt …«
»Ja oder nein?« unterbrach ihn Heydrich kalt.
Seine Stimme paßte zu seinem Gesicht. Das Gesicht zu seinen Augen. Die Augen zu seinen Händen. Das war der Mann, der über Deutschland hing wie ein blutiger Schatten. Ein Genie des Verbrechens. Eine Bestie an Intelligenz. Einer, der von seinem Haß lebte und ihn mit Schicksalen fütterte. Nur wer so brennend haßte, konnte so ruhig morden. Nur wer den Menschen so verachtete, konnte so unmenschlich sein. Seine Religion war die Vernichtung. Sein Gebet der Fußtritt. Sein Gehirn rationalisiert nach der Formel: Mord macht Macht …
»Wir haben die heutige Sendung auf Wachsplatte aufgenommen«, erwiderte der Adjutant.
»Vorspielen!«
Die Apparatur war schon aufgebaut. Heydrich stand reglos. Die Nadel kratzte über die letzten Worte eines Menschen.
»Wenn meine Stimme abbricht«, sagte der Lautsprecher, »werde ich ermordet …«
Ein fahles Lächeln zog über Heydrichs Gesicht, als nach drei, vier Schüssen die Platte schwieg.
»Lassen Sie die deutschen Grenzübergänge zu den Tschechen verstärken.«
»Jawohl, Gruppenführer.«
»Wir werden Formis nicht lebend bekommen«, sagte Heydrich kühl, »die haben ihn umgelegt … so werden meine Befehle ausgeführt … Schweinerei! … Stahmer hat sich sofort bei mir zu melden … auch in der Nacht.« Er ging ein paar Schritte hin und her. »Bereiten Sie das Propaganda-Ministerium auf diese Geschichte vor … Die sollen sich was einfallen lassen … Wir haben mit der Sache nichts zu tun.«
Der Adjutant stand stramm, als Heydrich den Raum verließ. Erst Sekunden später wirkte er erleichtert.
22
Der Personenzug fuhr auf die Minute pünktlich in den Prager Hauptbahnhof ein. Er war nur mäßig besetzt. Eine junge, blonde Frau lief mechanisch hinter den späten Passanten her. Die Lokomotive blies den Dampf aus dem Schlot, wie erleichtert, am Ziel zu sein. Dreiundzwanzig Uhr