Artur Brausewetter

Wer die Heimat liebt wie du


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mir deswegen Ihren Arm nicht zu entziehen — ich brauche ihn wirklich noch. Das wollten Sie auch gar nicht? Aber er zuckte ja mit einem Male so zusammen. Und wahrhaftig, Ihre Hand, die vorhin so schön warm war, ist ganz kalt geworden. Gestehen Sie es nur: Sie haben Angst vor mir! Und wer weiss, ob nicht mit Recht?“

      Er schämte sich. Er hielt ihre Hand fester in der seinen, er zwang sein Gesicht zur Heiterkeit. Aber ganz geheuer war ihm die Sache doch nicht. Ihre Worte wie ihr Wesen fingen an ihm rätselhaft zu werden. Es mochte wieder an ihm liegen und an seiner geringen Kenntnis der weiblichen Seele. Ein Ausspruch von Fritz fiel ihm ein. „Du kannst mir glauben,“ hatte der einmal zu ihm gesagt, „jede Frau, auch die scheinbar einfachste, wird ein Rätsel, sowie du anfängst, ihr nur ein wenig näherzutreten.“ Dabei beruhigte er sich.

      Sie hatten den Strand verlassen und waren auf die Promenade gelangt. Nun nahm sie ihre Hand mit einem kurzen Dankeswort aus der seinen und ging allein an seiner Seite. Er sah, dass sie den linken Fuss ein wenig nachzog, ab und zu lief auch ein schmerzliches Zucken über ihr Gesicht. Aber er merkte, dass sie nichts aufkommen lassen wollte, und bot ihr nicht noch einmal den Arm.

      Am Himmel türmten sich immer neue Wolkenberge, das dunkelrote Feuer der verglimmenden Sonne wurde förmlich von ihnen ertränkt. Nuscha beflügelte den Schritt. Sie war mit einem Male ganz still geworden. In dem scharfen Abendlicht hatte ihr schwarzes Haar einen metallenen Glanz, und der hartgeprägte Zug um die roten Lippen trat stärker hervor.

      Auf die stürmischen Tage folgten um so schönere. Mit weitausgebreiteten Fittichen lag die Sonne auf dem Meer und liess ihre blinkenden Lichter auf seinem Rücken in übermütigem Spiel sich haschen und greifen.

      Dann kam die grosse Hitze. Sie durchglühte den Strand, dass er wie Feuer unter den Füssen brannte, sie drang in die leichtgebauten Häuser und nistete sich in ihnen fest, dass selbst die Nächte bei offenem Fenster keine Kühlung brachten. In jede Pore drang sie, aus jedem Stein dampfte sie, jedes Blatt schwellte sie. Wie eine Stahlplatte lag das Meer, ganz unbeweglich, als wäre es gar kein Wasser mehr, und in einem so tiefen Blau, dass der wolkenlose Himmel dagegen von einer fast bleichen Klarheit erschien. In den silberschimmernden Streifen, die durch das dunkle Blau sich zogen, tauchten ab und zu Segelboote auf und standen fest und starr. In der Grenzlinie aber zwischen See und Himmel fuhr ein Schiff, den Rauch in einer langen, kerzengeraden Linie hinter sich lassend, so schattenhaft seine Bahn, dass man meinte, der fliegende Holländer glitte durch das gespensterstille Wasser.

      Nun war auch das Leben in Zoppot eingekehrt. Im „Seestern“ war für Wochen jedes Zimmer vorausbestellt. Eine Gesellschaft aus aller Herren Ländern hatte sich dort eingefunden: zu den Deutschen, die in der Mehrzahl waren, nicht nur Polen und Russen, sondern auch Franzosen und Engländer; denn die Sportwoche, das grosse Ereignis des Sommers, stand vor der Tür.

      Monsieur Guerard sass jetzt bei jeder Mahlzeit an der Seite seiner überschlanken, anmutigen Gattin, hatte aber immer noch Augen und Worte für die hübsche Nuscha, die den Platz ihnen gegenüber eingenommen hatte. Und an Hans’ Tafel waren zwei Engländer und eine strohblonde Miss, die Schwester des einen, gesetzt, die ebenfalls zur Sportwoche gekommen waren und von nichts anderm sprachen, als vom Tennis, in dem sie Meister waren. Er mied sie. Er hatte diese Nation nie geliebt und war ihr auf allen seinen Reisen mit Beflissenheit aus dem Wege gegangen. So blieb er mehr denn je für sich allein.

      Aber Nuscha sah er doch öfter, auch ausserhalb des Hauses. Eigentlich war sie überall: im Kurhaus, bei den Konzerten, wo sie am liebsten im dichtesten Menschenstrom sich bewegte, auf dem Seesteg, wo ihr Gesicht mit den lebhaften, unruhigen Augen suchend und prüfend über die Vorbeiwandelnden dahinglitt.

      Aber auch auf seinen einsamen Wanderungen traf er sie. Sie sass dann auf irgendeiner verborgenen Stelle in der Düne oder am Strande und hatte ein längliches Heft auf dem Schoss, in das sie mit einem grossen Stift Einzeichnungen machte. Einmal überraschte er sie, indem er unbemerkt von hinten an sie herantrat. Da schloss sie schnell das Heft.

      „Sind Sie Dichterin oder Malerin?“ fragte er.

      „Keins von beiden, dazu bin ich viel zu prosaisch. Aber dann und wann schreibe ich einen Gedanken auf, der mir gerade kommt. Oder ich mache mir eine kleine Skizze von der Umgebung. Man lernt es bald, wenn man so viel reist.“

      „Darf ich nicht einmal sehen? Oder lesen Sie mir vielleicht etwas vor?“

      „Es würde vor Ihrer Kritik nicht bestehen,“ gab sie kurz zurück und legte das Heft in die schwarze Aktenmappe, die sie auf ihren Vormittagswanderungen mit sich führte.

      Sie gingen zusammen heimwärts. Es war wieder heiss, beinah bis zur Unerträglichkeit; mit unbarmherziger Glut prallte die Sonne auf den Strand. Sie hatten den schattigen Weg an der grossen Strasse gewählt. Nuscha plauderte in ihrer alten Art, aber nicht mehr so persönlich wie früher, von sich selber sprach sie fast gar nicht, überhaupt war sie seit jenem Abend oben auf der Klippe von Adlerhorst zurückhaltender ihm gegenüber geworden.

      Hinter ihnen ertönte ein schmetterndes Signal, die Hupe eines Autos, aber anders, als sie sonst die Kraftwagen führen. Nuscha brach mitten im Worte ab, stürzte hart an die Strasse und blieb dort stehen.

      In verhältnismässig langsamer Fahrt kam der Kraftwagen, der halb geschlossen war, vorbei. Hans erkannte die Umrisse einer schlanken Frauengestalt, die mit mehreren andern Damen im Inneren sass.

      „Die Kronprinzessin! Endlich habe ich sie gesehen! Und wie freundlich sie mich wiedergrüsste und mich ansah!“ rief Nuscha zurückkehrend, und ihr ganzes Gesicht strahlte.

      Die Sportwoche war eröffnet. Nun begann ein unausgesetztes Wettringen vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf allen Gebieten der körperlichen Betätigung. Pferderennen auf mustergültigem Felde im Anblick des Meeres, Luftgondeln darüber herstreichend, Rasensport, Fussball, Lauf- und Sprung- und Wurfspiele auf dem Manzenplatze, jagdgemässes Schiessen nach Tontauben, Kipp- und Waldhasen in den Ständen des städtischen Gutsforstes, Wettschwimmen und -segeln und Blumenfahrten auf der See.

      Eine grössere Anziehungskraft als alles andre aber übte das grosse Tennisturnier, an dem sich, mit den bekanntesten Spielern der Welt, der Kronprinz beteiligte, der am Abend vor dem Eröffnungstage in Zoppot eingetroffen war.

      Für Hans boten alle diese Veranstaltungen wenig Reiz, und doch waren sie ihm nicht unwillkommen, sie machten seine liebsten Spaziergänge am Strande und durch den herrlichen Wald von der Menge der Menschen frei, die sie ihm so manches Mal verleidet hatten; nie hatte er sich in so wundervoller Einsamkeit ergehen können wie in diesen Tagen.

      Eines Nachmittags aber entschloss er sich doch auf Nuschas Bitte, mit ihr als Zuschauer einem Tennisturnier beizuwohnen. Und es tat ihm nicht leid, denn, obwohl er von dem Spiel nicht das geringste verstand, freute er sich der ungetrübten Jugend und Unbefangenheit, mit der der deutsche Kronprinz sich unmittelbar vor ihm unter den Spielern bewegte, der sicheren Geschmeidigkeit, mit der er seine Bälle gab und nahm und von Herzen lachte, wenn ihm einer oder der andre misslang.

      Am meisten aber fesselte Nuscha sein Auge. Sie sass ihm gegenüber, ihr Blick war abwechselnd bald auf den spielenden Kronprinzen, bald auf seine liebreizende Gattin gerichtet, die, ohne sich am Turnier zu beteiligen, in der Mitte des Platzes mit ihrem Gefolge weilte. Und in diesem Blick war ein solches Leben, ein so brennendes Verlangen: „Könntest du doch ein einziges Mal mitten unter denen da sein, solche Bälle geben und nehmen!“, dass etwas wie ein Bedauern mit diesem wunderlichen Kinde in ihm wach wurde.

      Und nun geschah etwas andres, das dieser Woche einen besonderen Reiz verlieh: die deutsche Flotte erschien mit Kreuzern und Torpedobooten vor Zoppot. Stolz und majestätisch lag sie, umspielt von den Strahlen der Sonne, im glänzenden Silbergrau des Meerspiegels, scheinbar der Küste ganz nahe, in Wirklichkeit aber in beträchtlicher Entfernung. Die Pinassen flogen hin und her, sie brachten die Besatzung an Land, sie fuhren, fast über ihre Kraft gefüllt, das Zoppoter Badepublikum an Bord, denn man war gastfrei auf den Schiffen und gestattete jedem den Besuch. Offiziere, Seekadetten, Matrosen bevölkerten den Seesteg, die Wege, das Kurhaus und gaben mit ihrer schmucken Tracht und mit den kräftigen sonnverbrannten Gesichtern dem bunten Bilde neue Farben.

      „Wo denn so