Susanne Kabatnik

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text


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gute Fragen stellen die richtigen Antworten geben wichtige Entscheidungen treffen

       b) Artikelwahl

Gruppe 1 Gruppe 2
?in einen/den/keinen Gang bringen *in einen/den/keinen Wegfall kommen ?in einer/der/keiner Bewegung bleiben eine/die/keine Frage stellen eine/die/keine Antwort geben eine/die/keine Entscheidung treffen

       c) Pluralbildung

Gruppe 1 Gruppe 2
*in (die/viele) Gänge bringen *in (die/einige) Wegfälle kommen *in (den/zahlreiche) Bewegungen bleiben (viele) Fragen stellen (einige) Antwort(en) geben (zahlreiche) Entscheidungen treffen

       d) Referenzfähigkeit

Gruppe 1 Gruppe 2
*Das Auto wurde in Gang gebracht. Er/Der Gang… *Vergünstigungen kommen in Wegfall. Er/Der Wegfall… ?Man sollte immer in Bewegung bleiben. Sie/Die Bewegung… Die Fragen wurden erneut gestellt. Sie/Die Fragen… Er hat ihm Antworten gegeben. Sie/Die Antworten… Die Entscheidungen wurden getroffen. Sie…

      Die Gefüge der Gruppe 1 (in Gang bringen) drücken eine Aktionsart aus und verhalten sich syntaktisch wie Phraseologismen im engeren Sinn (vgl. Burger 2015: 57/161; Helbig/Buscha 2011: 69f.), d.h. die Gestalt der Konstruktionen ist in Bezug auf die Möglichkeit zur Attribuierung, Artikelwahl und Pluralbildung festgelegt und die Konstruktionen sind nicht referenzfähig.6 Die Verbindungen aus Gruppe 2 weisen eine starke Bedeutungsähnlichkeit zum Basisverb auf (vgl. grammis online 2018:7 Nominalisierungsverbgefüge; Hoffmann 2017: 225; Heringer 2014: 115) und verhalten sich im Satz wie freie Wortverbindungen aus Nomen und Verben (vgl. Helbig/Buscha 2011: 88ff.; Storrer 2006b: 286), d.h. sie sind attribuierbar, der Artikel ist frei wählbar, Pluralbildung ist möglich und die Nomen der Gefüge sind referenzfähig – sie können also je nach kontextuellen Gegebenheiten und Erfordernissen verändert und angepasst werden.

      Durch die obigen Beispiele zu in Bewegung bleiben und der Bedeutungsveränderung in in einer/der Bewegung bleiben von unspezifischer zu spezifischer Lesart und der dadurch möglichen Referenzfähigkeit wird deutlich, dass auch Konstruktionen der Gruppe 1 einen geringeren Grad an Festigkeit und Lexikalisierung aufweisen können, d.h. auch Gefüge der Gruppe 1 – Funktionsverbgefüge im engeren Sinn – , können mehr oder weniger fest und lexikalisiert sein. Ich schlage deswegen eine skalare Betrachtungsweise der verschiedenen Konstruktionstypen nach ihrem Festigkeits- und Lexikalisierungsgrad vor, von links nach rechts mit absteigendem Grad:

      Abbildung 4:

      Mehrworteinheiten nach Grad der Festigkeit und Lexikalisierung

      Den linken Endpunkt der Skala in Abbildung 4 bilden Phraseologismen, die sich durch ihre übertragene Bedeutung von Funktionsverbgefügen unterscheiden (vgl. Tao 1997: 26f.; Helbig/Buscha 2011: 69f./85), sie teilen aber mit einigen Gefügen Eigenschaften: In grün hinter den Ohren sein und in Gang bringen ist beispielsweise die Artikelwahl und die Möglichkeit zur Pluralbildung festgelegt und die Nomen sind nicht referentiell zu verstehen (vgl. Burger 2015: 17f.;/19ff.; Basarić/Petrič 2015: 183), vgl. ?in die Gänge bringen. Die Gänge… und ?grün hinter dem Ohr sein. Das Ohr… .8

      Abstufungen finden sich z.B. in der Attribuierung von in schnelle Vergessenheit geraten oder große Anstrengungen unternehmen. Rechts in der Skala stehen Konstruktionen mit einem niedrigen Grad an Festigkeit und Lexikalisierung. Den rechten Endpunkt bilden Kollokationen (vgl. Burger 2015: 38), wie Zähne putzen, die sich von Funktionsverbgefügen dadurch unterscheiden, dass es sich bei den Lexemen Zähne und putzen im Saussure’schen Zeichenbegriff um mehrere Signifikate und Signifikanten handelt (vgl. Saussure 1967), die nicht mit einem bedeutungsverwandten Lexem in Relation stehen, wie z.B. *zähnen im Sinne von ‚Zähne putzen‘. Dagegen korrespondieren Frage stellen, Anstrengungen unternehmen und in Vergessenheit geraten beispielsweise mit fragen, sich anstrengen und vergessen (vgl. Helbig/Buscha 2011: 69; Tao 1997: 12ff.).

      Wie ich im Ergebnisteil der vorliegenden Arbeit zeigen werde, können weniger lexikalisierte und feste Gefüge, wie Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen verschiedene Verknüpfungsrelationen im Text herstellen, wie z.B. die Wiederaufnahme von oder den Verweis auf vorerwähnte oder nachstehende Informationen im Text: Sie haben die Frage gestellt, sie wurde aber nicht beantwortet (s. Burger 2015: 161; Gautier 1998). Es wäre jedoch denkbar, dass auch die linkspositionierten und festeren Gefüge, bestimmte Leistungen im Textzusammenhang entfalten können, wie z.B. in:

      1 Die Maschine wurde in Gang gebracht – das In-Gang-bringen hat lange gedauert;

      2 Die Opfer sind in Vergessenheit geraten – das Vergessen schreitet schnell voran;

      3 Sie sind miteinander in Kontakt getreten – Der Kontakt hielt lange an.

      In (1) bezieht sich das In-Gang-bringen rückwärtsgewandt auf in Gang bringen, das Vergessen auf Vergessenheit in (2) und Kontakt auf das Nomen des Gefüges in Kontakt kommen in (3). Da sich die Gefüge durch eine starke Heterogenität auszeichnen, ist die in Abbildung 4 präsentierte skalare Betrachtungsweise von unterschiedlichen Typen von Funktionsverbgefügen in Bezug auf ihren Grad der Lexikalisierung und Festigkeit nicht in regelmäßigen Abstufungen aufzufassen, sondern vielmehr mit sich kreuzenden Merkmalen, wie z.B. der Möglichkeit zur Attribuierung von bspw. große Anstrengungen unternehmen oder in lange Vergessenheit geraten trotz ungrammatischer Singular- bzw. Pluralform bspw. in *eine Anstrengung unternehmen oder *in Vergessenheiten geraten. Und weil sich textuelle Leistungen womöglich gar nicht nur auf einen spezifischen Typus von Nomen-Verb-Verbindungen beziehen können, sondern auch auf andere Arten von Gefügen, wähle ich für die Zwecke der Untersuchung von Nomen-Verb-Verbindungen auf ihre Leistungen im Textzusammenhang die weite Definition nach Kamber (2008: 22ff.; s. Abbildung 1).

      Im Folgenden bezeichne ich die Gefüge Frage stellen, Antwort geben und Entscheidung treffen als Funktionsverbgefüge, die sich aus den Funktionsverben stellen, geben und treffen und den nominalen Komponenten Frage, Antwort und Entscheidung zusammensetzen. Analog zu ‚Funktionsverb‘ verwende ich den Terminus ‚Funktionsnomen‘ (Wotjak/Heine 2007, Basarić/Petrič 2015). Der semantisch-funktionale Vergleich von Funktionsverbgefügen und ihren Basisverben bildet die Basis für verschiedene Forschungsarbeiten und Positionierungen sowohl von Laien als auch Expert*innen, die im folgenden Abschnitt vorgestellt werden.

      1.2. Positionierungen zu Funktionsverbgefügen

      Zu Funktionsverbgefügen existieren verschiedene Positionen, die in diesem Kapitel vorgestellt werden. Da die vorliegende Arbeit textuelle Leistungen von Funktionsverbgefügen fokussiert, sind für diesen Beitrag v.a. die Auffassungen in Schreibratgebern, in Lehrwerken für den DaF-Unterricht sowie in der linguistischen Forschungsliteratur zu Leistungen von Funktionsverbgefügen relevant. Seit über einem Jahrhundert stehen Funktionsverbgefüge in Schreibratgebern in negativer Kritik: Die Gefüge würden den Text unnötig verlängern, sie klingen unschön und sollen vermieden werden. Trotz entsprechender Antworten auf die Kritik der Ratgeber seitens der Linguistik, finden derartige Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen mit der Digitalisierung Einzug ins WWW, z.B. in Form von Schreibblogs und modernen Textanalysetools, die in Abschnitt 1.2.1 gezeigt werden. Da im DaF-Unterricht auch Fertigkeiten der Textproduktion eingeübt werden, wird Abschnitt 1.2.2 von der Frage geleitet, ob bzw. inwiefern Funktionsverbgefüge im Unterricht für Deutsch als