Susanne Kabatnik

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text


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alt=""/>Abbildung 10:

      Wustmann (1891: 417)

      Auf Wustmann (1891) basierende Ratschläge zur Vermeidung von Nomen-Verb-Verbindungen finden sich aber nicht nur in der Ratgeberliteratur zum Verfassen von guten (wissenschaftlichen) Texten, sondern auch in modernen Online-Anwendungen zur automatischen Textprüfung, in die Ratschläge zur Vermeidung von Funktionsverbgefügen eingespeist werden. Der Benutzer oder die Benutzerin gibt einen beliebigen Text in ein Textfenster des Analysetools im Internet ein und wird ggf. durch eine Warnung auf einen Fehler oder ein Problem im Text aufmerksam gemacht. Der Text soll anschließend entsprechend überarbeitet werden. Um dies zu demonstrieren, habe ich die konstruierten Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar in die Online-Anwendungen „Textanalysetool“ und „Wortliga“ zur Überprüfung eingegeben.

      Abbildung 11:

      Entscheidung treffen im „Textanalysetool"8

      Abbildung 12:

      Frage stellen im Textanalysetool "Wortliga"9 (Hervorhebung S.K.)

      Die eingegebenen Sätze Dass ich heute eine Entscheidung treffen muss, steht fest und Dass sie heute eine Frage stellt, war klar werden von beiden Programmen als einfach eingestuft (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12). Interessant sind dabei die Fehlermeldungen der Softwaresysteme, denn beide Programme stufen die Funktionsnomen Entscheidung und Frage als problematisch ein und fordern die Benutzer*innen zur Vermeidung des Nominalstils bzw. zur Suche nach Synonymen auf (s. rechte Seite in Abbildung 11 und Abbildung 12), obwohl die Nomen Entscheidung und Frage als Grundwortschatz des Deutschen eingestuft werden können (vgl. Klein 2013: 41). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Wustmanns Sprachkritik aus dem Jahre 1891 auch in Online-Softwaresystemen zur automatischen Textprüfung im Internet des 21. Jahrhunderts Anwendung findet.

      Die abwertenden Kommentare zu Funktionsverbgefügen in Stilkunden des 19. und 20. Jahrhunderts finden sich in gegenwärtigen Schreibratgebern on- und offline wieder. Betroffen sind im Internet verschiedene Schreibblogs, Websites von Universitäten sowie automatische Korrekturhilfen im Internet: Die Konstruktionen seien hässlich, zu lang; sie würden den Text aufblähen und ihn weniger verständlich machen. Zusätzlich fordern die Ratgeber*innen dazu auf, Funktionsverbgefüge durch entsprechende Basisverben zu ersetzen, d.h. die Ratschläge beziehen sich auf die Ebene des Textes in Bezug auf Produktion und Rezeption. Weil das Produzieren und Rezipieren von Texten zu den Zielkompetenzen im Fremdsprachenunterricht gehören, werden im Folgenden Lehrwerke für den DaF-Unterricht auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen überprüft.

      2.2. 1. Wie Funktionsverbgefüge in DaF-Lehrwerken behandelt werden

      Im DaF-Unterricht sollen Lerner und Lernerinnen rezeptive wie produktive Fertigkeiten der Zielsprache Deutsch erlernen. Dazu gehören das Hör- und Leseverstehen sowie die Sprech- und Schreibkompetenz (vgl. Rössler 2012: 57; Funk et al. 2014: 84/108), d.h. sowohl die Textrezeption als auch -produktion sind als Zielkompetenzen der Lerner und Lernerinnen für den DaF-Unterricht zentral (Funk et al. 2014). Funktionsverbgefüge kommen in verschiedenen, auch alltagssprachlichen Textsorten mündlich wie schriftlich vor, z.B. in Zeitungstexten (Popadić 1973, Kamber 2008), Wikipedia-Artikeln (Storrer 2013), literarischer Prosa (Daniels 1963, Storrer 2013), aber auch in Musik-Texten und gesprochener Sprache (s. Kap. 1.2.3). Zudem sind Funktionsverbgefüge frequent (vgl. z.B. Kamber 2008, Storrer 2013; s. Kap. 2.1) – Frage stellen ist eines der häufigsten Gefüge (vgl. Kamber 2008, s. Kap. 2.1; 4.1) – und sie kommen, wie ich in Abschnitt 1.2.3 zeigen werde, in einer Vielzahl typologisch unterschiedlicher Sprachen vor. Frage stellen findet sich beispielsweise in romanischen, slawischen und germanischen Sprachen sowie im Türkischen (s. Kap. 1.2.3). Es könnte also hinsichtlich der Erstsprachen der Lerner*innen sinnvoll sein, besonders frequente Konstruktionen in Lehrwerke mit aufzunehmen und sie in Bezug auf ihre Form und Funktion zu thematisieren. Untersuchungen zu Mehrworteinheiten, wie Kollokationen, Phraseologismen und Funktionsverbgefüge, zeigen jedoch, dass sie in DaF-Lehrwerken nicht oder nur selten behandelt werden (Targońska 2018: 75; Ďurčo/Vajičková 2016: 125; Flinz i. Dr.: 12; Kamber 2008, Giacoma 2017). Giacoma (2017) bezeichnet Funktionsverbgefüge als „Schwarzfahrer der Didaktik“ und schreibt: „Wenn man Fremdsprachenlernen als eine Reise betrachtet, könnte man demzufolge denken, dass FVG heimlich und ohne gültige Fahrkarte mit den Lernenden mitfahren“ (Giacoma 20171). Dies muss zwar nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Konstruktionen dadurch überhaupt nicht erworben werden könnten (vgl. Pagonis/ Salomo 2014). Es scheint aber zumindest so, als würde kein besonderer Fokus auf Funktionsverbgefügen liegen, was sich mit der Analyse der folgenden DaF-Lehrwerke in Bezug auf die Thematisierung von Funktionsverbgefügen deckt: Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012), studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016). In nur zwei von fünf Lehrwerken werden Funktionsverbgefügen thematisiert, nämlich studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016).

      Im Unterschied zu Radio D (2005), Berliner Platz 1 (2009), studio d (A1, Band 1 und 2, 2012) handelt es sich bei studio d – Die Mittelstufe (B1, 2013) und klipp und klar (B1, 2016) um Lehrwerke der Niveaustufe B1, d.h. Lehrwerke, die Funktionsverbgefüge nicht explizit thematisieren sind A1-Lehrwerke. Zur Niveaustufe A1 schreibt das Goethe-Institut:

      Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen – z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben – und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben. Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen. (Goethe-Institut 2019: Niveaustufen2;Hervorhebung S.K.)

      Die Thematisierung von Funktionsverbgefügen und anderen polylexikalischen Einheiten könnte demnach erst ab einer höheren Niveaustufe angesetzt sein. Wohl gemerkt, verwendet jedoch auch das Goethe-Institut bei der Beschreibung der Niveaustufe A1 die Funktionsverbgefüge Frage stellen und Antwort geben, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Zu vertraute[n], alltägliche[n] Ausdrücke[n] könnten also auch Gefüge wie Frage stellen und Antwort geben gehören (vgl. Klein 2013: 41), sodass eine Thematisierung von Funktionsverbgefügen bereits ab einer früheren Niveaustufe sinnvoll sein könnte (Ďurčo/Vajičková 2016: 125). Wie werden Funktionsverbgefüge also in den anderen beiden Lehrwerken behandelt?

      In klipp und klar (B1, Fandrych et al. 2016) wird erklärt, was Funktionsverbgefüge sind, aus welchen Komponenten sie bestehen und welche semantischen Funktionen sie in Gegenüberstellung mit dem Basisverb übernehmen, wie z.B. die Markierung einer beginnenden Handlung durch in Gang bringen oder den Ausdruck von Ernsthaftigkeit durch Gespräch führen anstelle von sprechen (vgl. Fandrych et al. 2016: 130f.). Zudem werden die folgenden Aufgabentypen aufgeführt:

       ein Lückentext, in dem die passenden Funktionsverben ergänzt werden sollen,

       eine Zuordnungsübung, in der die Komponenten des Gefüges einander zugeordnet werden sollen,

       eine Ergänzungsaufgabe, in der eine Liste von Funktionsverbgefügen erstellt werden soll,

       und eine Interpretationsaufgabe, in der erklärt werden soll, was im präsentierten Satz betont wird (Abbildung 13).

      Die verschiedenen Aufgabentypen sowie die theoretische Thematisierung von Funktionsverbgefügen im Grammatikteil von klipp und klar (B1, 2016: 130/131) lassen darauf schließen, dass Funktionsverbgefügen in diesem Lehrwerk ein höherer Stellenwert zugeschrieben wird als beispielsweise in studio d (B1, 2013), in dem – wie ich unten zeigen werde