Susanne Kabatnik

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text


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Im Anschluss an die Ergebnisse von v. Polenz (1963), Heringer (1968) und Klein (1968) werden Funktionsverbgefüge nach verschiedenen Aktionsarten systematisiert. Gefüge mit dem Ausdruck einer andauernden Handlung, also durativen Aktionsart, sind z.B. zur Verfügung stehen oder in Kontakt bleiben. Der Beginn einer Handlung, d.h. in inchoativer Aktionsart, kann durch Gefüge, wie in Gang kommen und in Kontakt treten, markiert werden (vgl. z.B. Klein 1968, Fabricius-Hansen 1975, Fink 1976, Bahr 1977, von Polenz 1994, Kang 2010; s. Kap. 1.1).

      Ein weiterer Forschungszweig innerhalb der Forschungsliteratur zu Funktionsverbgefügen setzt sich mit der Problematik einer Definition des Untersuchungsgegenstandes Nomen-Verb-Verbindung auseinander (u.a. Dobrovol´skij 1979, Helbig 1979, Dyhr 1980, Lehmann 1983, von Polenz 1987, Elsayed 2000, van Pottelberge 2001, Wotjak/Heine 2005, Helbig 2006). Die Forschungsarbeiten thematisieren Funktionsverbgefüge in Bezug auf die Kriterien zur Eingrenzung des Gegenstandes und zur Abgrenzung von anderen angrenzenden linguistischen Disziplinen, wie der Phraseologie- und der Kollokationsforschung. Die Schwierigkeit der Definition von Funktionsverbgefügen liegt v.a. an der Vielzahl unterschiedlicher Konstruktionen, die sich sowohl funktional als auch formal voneinander unterscheiden (vgl. Tao 1997: 7ff./12ff.; Helbig/Buscha 2011: 83ff.; s. dazu auch Kap. 1.1). Ob eine Konstruktion zum Gegenstandsbereich der Funktionsverbgefüge gerechnet werden kann oder nicht, entscheidet sich mit der Wahl einer engeren oder weiteren Definition des Untersuchungsgegenstandes. Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit wird die weite Definition nach Kamber (2008) angewendet, in der unterschiedliche Typen von Nomen-Verb-Verbindungen zum Untersuchungsgegenstand gezählt werden (vgl. Kamber 2008: 22ff.; s. Kap. 1.1).

      In Bezug auf die Bedeutung Funktionsverbgefügen, wie Frage stellen, Antwort geben oder Entscheidung treffen, in Gegenüberstellung mit ihren Basisverben, also fragen, antworten und entscheiden, finden sich in der Forschungsliteratur die folgenden Auffassungen:

      Der Terminus „Streckformen“ ist stilistisch wertend gedacht. [Streckformen] […] sind Verbalphrasen, die nicht nur verbale Teile enthalten, aber an Stelle von einfachen Verben stehen. Zwar ist ihr Kern ein Verb, aber daneben enthalten sie noch verbale Teile in nominaler Form:

Wer kann [Hilfe leisten]? Wer soll [Auskunft geben]?
(Heringer 2014: 115; Hervorhebung S.K.)

      „Funktionsverbgefüge“ (Streckformen), d.h. Konstruktionen aus Funktionsverb und (präpositional regiertem) Substantiv, die formal i.d.R. durch ein einfaches Verb ersetzbar sind, aber dann ihren amtlichen Charakter verlieren: […] ein Geständnis ablegen[…]. (Hoffmann 2017: 225; Hervorhebung S.K.)

      Nominalisierungsverbgefüge unterscheiden sich semantisch von entsprechenden einfachen Prädikatsausdrücken in der Regel nicht hinsichtlich der Verifikationsregeln für die damit gebildeten Prädikate, sondern hinsichtlich ihrer pragmatisch-stilistischen Wirkungen: Für Nominalisierungsverbgefüge ist typisch der Gebrauch in akademischer, technischer, amtssprachlicher oder formal-öffentlicher Rede, wie schon v. Polenz 1987 festgestellt hat. Sie sind also im Wesentlichen pragmatisch bedingte Varianten der einfachen Ausdrücke. (grammis online 20192: Nominalisierungsverbgefüge; Hervorhebung S.K.)

      Heringer (2014), Hoffmann (2017) und grammis (2019) zufolge werden Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen, anstelle von einfachen Verben verwendet; sie können ersetzt werden, weil sie sich semantisch nicht von Basisverben, wie fragen und entscheiden, unterscheiden und lediglich Varianten der Verben darstellen.3 Die Unterschiede zwischen diesen Nomen-Verb-Verbindungen und Basisverb-Konstruktionen, wie z.B. in Sie stellt ihm eine Frage. vs. Sie fragt ihn etwas, seien v.a. auf stilistischer Ebene angesiedelt und eine Substitution des Gefüges mit dem Basisverb hätte lediglich den Verlust des „amtlichen Charakters“ zur Folge (vgl. Heringer 2014: 115; Hoffmann 2017: 22; grammis online 20184: Nominalisierungsverbgefüge). Dies spiegelt sich in den Auffassungen der Stil- und Schreibratgeber, die Gefüge, wie Frage stellen und Entscheidung treffen, seit Wustmann (1891: 416f.) stilistisch als schwülstiges Behördendeutsch und Behördenjargon abtun, denn „[n]amentlich Menschen, die von Natur Langweiler und Kanzleiräte sind, neigen zu dieser Form der Hauptwörterei“ (Reiners 2009: 72) und „[w]er so etwas schreibt, hat einen Stock verschluckt“ (Textwende: Besser schreiben mit Verben5).

      Als Hinweis auf die angesprochenen stilistischen Unterschiede werden Studien zur Textsortenspezifik6 – ein weiterer Forschungszweig in der Forschung zu Nomen-Verb-Verbindungen – herangezogen, die zeigen, dass die Gefüge häufig in Textsorten mit offiziellem Sprachduktus und amtlichen Charakter vorkommen, wie z.B. in politischer Berichterstattung (Panzer 1986), technischer Fachsprache (Vigašová 1968), wissenschaftlichen Texten (Richter 1988), Texten aus Wirtschaft und Handel (Schaarschuh 1990, Marušić 2012) und in Gesetzestexten (Seifert 2004, Crestani 2013, Storrer 2013). Die Hypothese, dass Funktionsverbgefüge häufiger in Gesetzestexten vorkommen, konnte allerdings nicht bestätigt werden, denn

      [d]er empirische Befund hat […] ergeben, daß die Gebrauchsfrequenz der FVG in Gesetzestexten a) nicht höher als in anderen fachsprachlich geprägten Textsorten und b) zumindest in der Gegenwart kein konstantes Merkmal ist. Offensichtlich handelt es sich bei der Auffassung, FVG seien besonders typisch für die Gesetzessprache, um ein Vorurteil. (Seifert 2004: 201f.)

      Außerdem weist Pottelberge (2001) darauf hin, dass es unter Funktionsverbgefügen im weiteren Sinn sowohl Konstruktionen gibt, die einen elaborierten Sprachgebrauch kennzeichnen, wie z.B. eine Kalkulation vornehmen, als auch Gefüge, die stilistischer näher am Standard anzusiedeln sind (vgl. Pottelberge 2001: 249). Deswegen kommen Funktionsverbgefüge nicht nur in amtlichen und offiziellen Textsorten vor, sondern finden auch in einer Vielzahl anderer kommunikativer Gattungen7 Anwendung, wie z.B. Zeitungstexten (Schmidt 1968, Popadić 1971), literarischer Prosa (Storrer 2013), Wikipedia-Artikeln (Storrer 2013), in gesprochenen Texten (1) (vgl. Deppermann 2006: 45) oder in Rap-Texten (2)(3), vgl. folgende Beispiele:

      1 was (.) äh äh herr kretschmann (.) ich würde gerne ihnen nachher auch noch ne frage stellen (.) hh ähm(ID: FOLK_E_00064_SE_01_T_05; Hervorhebung S.K.)

      2 „Vermiss die Fam, die Gang, die StraßenRichter legen uns in Ketten, aus StacheldrahtKinder schlafen in Zellen wegen TatverdachtImmer Fragen stellen – LKA, zu abgefuckt, der verkackte Staat“(187 Straßenbande: Lieblingszahl, Album: Der Sampler 3; Hervorhebung S.K.)

      3 „Du denkst du und deine Spinner-Clique kickt Raps und kommt gegen mich an? […]Ich rap weltklasse auch wenn ich dafür kein Geld fasseIch kick Rhymes die Chicks aufblühen und verwelken lassen“(Morlockk Dilemma, Leipzig steht in Flammen, Album: Egoshooter; Hervorhebung S.K.)

      Weil Beispiel (1) aus den Stuttgart 21 Schlichtungsgesprächen (Folk-Korpus, IDS) – einem politischen und öffentlichen Diskurs zum Neubauprojekt des Stuttgarter Bahnhofs – stammt, könnte argumentiert werden, dass derartige Gespräche zwar mündlich vermittelt sind, sich aber durch den offiziellen und öffentlichen Rahmen der Veranstaltung durch als konzeptionell schriftlich klassifizieren lassen (vgl. Koch/Oesterreicher 1985: 17). Den nachstehenden Beispielen (2) und (3) aus den Musiktexten der Rapper der 187 Straßenbande und Morlock Dilemma kann jedoch durch Ausdrücke und Wendungen wie Fam (Familie), Gang, Chicks, abgefuckt und verkackter Staat kein amtlicher Sprachduktus attestiert werden. Wären Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, also stilistisch markiert, dann würden sie vermutlich nicht in Rap-Texten vorkommen, die sich durch einen provokativen und vulgären Sprachstil auszeichnen (vgl. Androutsopoulos 2003, Kabatnik 2014). Funktionsverbgefüge werden aber nicht nur im Rap verwendet, es können sich darüber hinaus auch neue und textsortenspezifische Gefüge,