Susanne Kabatnik

Leistungen von Funktionsverbgefügen im Text


Скачать книгу

von Funktionsverbgefügen (im weiteren Sinn) im Vergleich mit Basisverben begründen (vgl. Pottelberge 2001: 249f.).

      Zudem sind Funktionsverbgefüge kein allein deutsches Phänomen und kommen in einer Vielzahl verschiedener Sprachen vor, z.B. im Englischen (z.B. Stevenson et al. 2004), Französischen (z.B. Cortès 1999), Japanischen (z.B. Ahn 1990), Niederländischen (z.B. Klimaszewska 1983) sowie in vielen slawischen Sprachen, wie dem Russischen (z.B. Abramov 1989) und Polnischen (z.B. Żmigrodzki 2000; Taborek 2018).8 Das Funktionsverbgefüge Frage stellen existiert beispielsweise in den folgenden Sprachen (Tabelle 1):

Sprache Funktionsverbgefüge Basisverb
Englisch to ask [sb.] a question to ask
Niederländisch de [o. een] vraag stellen Vragen
Französisch poser une question à qn questionner qn sur qc
Portugiesisch fazer uma pergunta (a alguém) Perguntar
Spanisch hacer [o plantear]una pregunta a alguien preguntar por
Italienisch porre una domanda domandare [oder chiedere] (qc) a qu
Latein proponere quaestionem Quaerere
Polnisch zadawać [perf. zadać] komuś pytanie pytać [perf. s oder za pytać]
Russisch зада́ть кому́-ли́бо вопро́с спроси́ть св.
Slowenisch postaviti komu vprašanje spraševati [perf. vprašati]
Bulgarisch задавам въпрос питам [o. попитвам]
Türkisch soru sormak sormak -e -i
Arabisch طرح سؤالاً سأل / يسأل
Chinesisch 对某人提个问题 向某人打听某事
Griechisch κάνω μια ερώτηση σε κάποιον Ρωτώ

      Tabelle 1:

      Frage stellen und fragen in 15 Sprachen (Pons-Online 2019)

      Den Wörterbucheinträgen in Tabelle 1 ist zu entnehmen, dass das Funktionsverbgefüge Frage stellen in allen Sprachen jeweils ein eigenständiges Lemma bildet und es ist – zumindest für die Sprachen mit lateinischem Alphabet – abzulesen, dass die meisten Gefüge in einem Ableitungsverhältnis mit den Basisverben stehen, vgl. z.B. das Polnische zadawać/zadać pytanie vs. pytać oder das Türkische soru sormak vs. sormak -e -i. Eine Ausnahme bildet das Englische mit to ask a question vs. to ask. Zudem weisen diese 15 Sprachen durch ihre unterschiedliche Entstehung und Entwicklung auch starke typologische Varianz auf: das Türkische als agglutinierende, das Chinesische als isolierende Sprache und die flektierenden Sprachen, wie das Deutsche und das Polnische (vgl. Haarmann 1976, Moravcsik 2013). Trotz der sprachsystematischen Unterschiede haben die aufgeführten Sprachen gemeinsam, dass das Funktionsverbgefüge Frage stellen in ihrem Wortschatz vorkommt, sogar im Lateinischen.

      Im Polnischen, der Vergleichssprache dieser Arbeit, existieren Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn, wie z.B. Frage stellen zadać/zadawać pytanie, aber auch Funktionsverbgefüge im engeren Sinn, wie in Gang bringen – auf Polnisch puścić coś w ruch ‚etwas in Gang bringen‘, was überraschend ist, weil es für in Gang bringen ja das Verb uruchomić ‚in Gang bringen‘ gibt, d.h. trotz des Ausdrucks von Kausativität durch das Verb uruchomić ‚in Gang bringen‘ existiert im Polnischen ein kausatives Funktionsverbgefüge, das mit dem Basisverb in Ableitungsrelation steht und ebenfalls Kausativität ausdrückt (vgl. Korytkowska 2004; Skibicki 2016: 288ff.). Würden die Funktionen von Funktionsverbgefügen also allein im Ausdruck von Aspekt und Aktionsart liegen, dann dürfte es im Polnischen dem Ökonomieprinzip der Sprache nach (Sivula 1989, Barz 1997) keine Funktionsverbgefüge geben. Und würden sich Funktionsverbgefüge, wie Frage stellen, nicht von Basisverben unterscheiden, würde dies bedeuten, dass sich typologisch unterschiedliche Sprachen semantische Dubletten leisten würden (vgl. s. Kap. 1.2.3). Warum existieren derartige Mehrwortlexeme in so vielen typologisch unterschiedlichen Sprachen, wenn es entsprechende Basisverben gibt?

      In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Forschungszweig wesentlich, der sich mit den Arbeiten von Daniels (1963), Schmidt (1968) und Popadić (1971) entwickelte. Diese Arbeiten konzentrieren sich v.a. auf die semantischen und syntaktischen Leistungen von Funktionsverbgefügen in Gegenüberstellung mit Basisverben, d.h. sie untersuchen die Konstruktionen auf ihren pragmatischen Mehrwert. Die Autoren und Autorinnen werten in ihren Analysen authentische Sprachdaten in Form von literarischer Prosa (Daniels 1963) und Zeitungsartikeln aus (Schmidt 1968, Popadić 1971) und stellen damit die ersten Arbeiten mit korpuslinguistischem Ansatz dar. Häufig finden sich in diesen Arbeiten Funktionsverbgefüge im weiteren Sinn, wie z.B. eine Feststellung machen (Daniels 1963: 230), einen Befehl geben (Schmidt 1968: 50) oder Arbeit/Beitrag leisten (Popadić 1971: 43f.), d.h. weniger lexikalisierte und syntaktisch restringierte Gefüge (Daniels 1963; Schmidt 1968: 56; Popadić 1971, Eroms 2000; Hinderdael 1985; Storrer 2006a, 2006b, 2007, 2013). Derartige Leistungen von Funktionsverbgefügen werden in der Forschungsliteratur zu Nomen-Verb-Verbindungen unter stilistischen, syntaktischen oder kommunikativen Leistungen zusammengefasst (vgl. Daniels 1963, Schmidt 1968: 56; Hinderdael 1985), vgl. die folgende Auflistung:

       Modifikation und Spezifizierung der Funktionsnomen durch Attribute (vgl. Daniels 1963: 230; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256; Heine 2005: 163f.; Helbig/Buscha 2011: 90)

       „Zusammenballung und Konzentration von Aussagen auf engem Raum“ (Daniels 1963: 227, s. dazu auch Schmidt 1968: 70f.; Popadić 1971: 56; Hinderdael 1985: 256ff.; Seifert 2004: 106, 195)

       Verteilung der Komponenten des Gefüges auf mehrere Sätze (vgl. Daniels 1963: 230; Storrer 2006a: 173; Schmidt 1968: 49f.; Popadić 1971: 51)

       Valenzreduzierung und Vereinheitlichung der Valenz (Heringer 1968; Popadić 1971: 40; Hinderdael 1985: 214; Seifert 2004: 192; Helbig/Buscha 2011: 93; Heidolph et al. 1984: 439)

       Präzision der Aussage (Schmidt 1968: 97; Popadić 1971: 25), Aussagenverallgemeinerung (vgl. Hinderdael 1985: 213f.; Popadić 1971; Helbig/Buscha 2011: 93)

       Perspektivierung der Handlung (vgl. Daniels 1963: 226/229; Schmidt 1968: 68)

       Betonung und Gewichtung unterschiedlicher Positionen der Glieder im Satz (Popadić 1971: 25; Hinderdael 1985: 159; Helbig/Buscha