fünf zusammengehörigen Sternen besteht und das mich bis zum Entsetzen ergreift, und unter den fünfen ist es wieder besonders der höchststehende, der eine Jahrmillion von uns entfernt sein soll und von dem ich nicht lassen kann. Was soll die Furcht? Furcht ist sinnlos. Vor nichts braucht ein kleines, namenloses, zu höchstens sechzig bis siebzig Jahren Lebensdauer bestimmtes, aber selbst in dieser kurzen Frist immer zwischen Leben und T. schwankendes Wesen so wenig Angst zu haben als vor diesen Weltenkörpern, die uns nie erkennen, sich nie um uns kümmern, uns ewig fremd sind. Was sind wir ihnen? Weniger als Hekuba, nichts. Wir bestehen vor ihnen nicht. Was sind sie uns? Doch nur ein schöner Anblick, etwas, das edlere Gefühle anregt, wie die blauen Fahnen unseres adeligen Stiftes, Sinnbilder ohne Wesen und Wirklichkeit. So spricht der Verstand. Aber er überzeugt nie. Vergebens lasse ich, um dem Grauen zu entgehen, die zwilchleinenen Fenstervorhänge niederfallen, wobei die eiserne Stange, an der sie aufgerollt sind, mit dumpfem Klang wie ein abgeschlagenes Haupt auf das Fensterbrett niedersaust. Die Sterne brechen dennoch mit ihrem fürchterlichen Glänze durch. Sie stechen, und der eine bestimmte Stern von den fünfen funkelt ganz besonders grell durch die feinen Lücken des schlissigen Gewebes. Vergebens hülle ich mich in mich selbst wie in eine Decke, ich erinnere mich meiner sonderbaren rothaarigen Existenz, ich denke an meine Leistungen, an meine »Rechnungen und Aufgaben«, an meine Lebensziele, an Geographie und Geschichte, Sport und Pferde, ich versuche vergebens, einen Brief an meinen Vater aufzusetzen, an ihn, der mir so sehr fehlt, gerade jetzt! Nur eine Zeile von ihm, ein Brief, wie ich deren schon so viele ohne großen Dank und sogar ohne tiefe Erregung bekommen hatte und alles wäre anders. Der Gedanke an das Unendliche faßt immer stärker in mich hinein. Es krampft sich etwas in mir fühlbar zusammen, und plötzlich höre ich mich so seufzen und stöhnen, wie das Pferd Cyrus, besiegt durch inneren Zug, gestöhnt hat. Muß es nicht schrecklich anzuhören gewesen sein, dieses mein Seufzen oder Stöhnen, wenn die Jungen im Schlafsaal nebenan aufmerksam werden? Ihre Roulettuhr hört auf, sich schnurrend zu drehen, einige stehen auf und kommen zur Tür, um nach mir zu fragen und trotz meinem Schweigen mich durch wiederholtes Pochen und sogar Pfeifen zu sich einzuladen. Bei aller Anteilnahme ist auch Hohn dabei, ich weiß es. Stolzer ist es, allein zu bleiben.
Noch kämpfe ich mit aller Energie gegen das Furchtbare an sich, gegen das Zerschmettertwerden. Ein kleines Kind, das man in wärmeren Landstrichen nackt unter die dort noch viel schärfer blitzenden Nachtgestirne legt, erträgt diesen Anblick ohne weiteres, es lächelt, leckt sich mit der Zunge die letzten Milchreste von den wulstigen Piggylippen und schläft ein. Aber ich, ein Orlamünde? Ich soll davor fliehen? Ich muß? Mit den andern Roulett spielen, wenn es hier Ernst ist? Wem kann ich dann ohne Furcht begegnen? Wovor kann ich bestehen? Was soll aus mir werden? Aber ich fühle es, wenn ich den Kopf absichtlich wende und mir trotzdem das giftige Strahlen des fünften Sternes in die Augen fällt durch die Lücken des alten Vorhanges – nur widerspenstig bin ich wie das Pferd Cyrus, nicht mehr mutig. Einst träumte mir von einem Tod unter diesem Pferd, jetzt sehe ich einen Tod, wie er dieses Pferd erwartet, vor mir.
Die Zeit muß, nach dem Stande der Sterne zu urteilen, nahe an Mitternacht sein. Die Hitze ist kaum noch zu ertragen. Ich ertrage mich selbst nicht mehr. So gehe ich zu meinen Kameraden, die mich empfangen, als wäre ich eben aus ihrem Kreise fortgegangen. Sie sind noch fast alle wach, sitzen aufrecht, manche halbbekleidet, manche nackt wegen der Hitze. Titurel trägt einen ausgewachsenen Schlafanzug, den ich schon kannte, als er ihm noch zu weit war. Er läßt die Roulettuhr in seiner abgebrannten großen gelben Hand kreisen, wobei ihm Piggy mit seinen marmeladefarbenen Augen zusieht und doch auch seine Augen nicht von den Einsätzen läßt, welche die Zöglinge machen. Da ich kein Geld habe und ohne Einsatz nicht spielen will, bekomme ich das Amt, die Uhr zu handhaben. Sie hat eine Feder, die man bis ans Ende aufzieht und dann losschnurren läßt. Der Zeiger bleibt dann auf einer wechselnden Stelle stehen, zeigt die Zahl und die Farbe an. So geht es durch Stunden. Einige Schüler haben bares Geld, Goldstücke und Silber, andere schreiben Ziffern auf Zettel aus ihren Notizbüchern, auch gibt es einige, die Wertgegenstände an Stelle des Geldes annehmen und abgeben. Alles Derartige überwacht Piggy, während Titurel sich ganz dem Spiel als solchem hingibt. Inzwischen wird es Morgen. Es hat sich am Rande des Horizontes eine rauchige Trübung des ultramarinfarbenen klaren Himmels eingestellt. Einige unter uns sind bereits von der Müdigkeit überwunden; sie sind eingeschlummert, liegen mit ihren nackten Oberkörpern, an denen man die Rippen sich ausweiten sieht, auf der Seite, einer hält mit seinen blassen vollen Lippen, welche von dem ersten Flaum eines Schnurrbartes beschattet werden, den Rest einer allmählich verkohlenden Zigarette umklammert, bis sie ihm ein anderer, jüngerer, lachend fortnimmt, andere haben sich, in den Händen noch die Zettel mit Einsätzen und Gewinnen tragend, wie Igel zusammengerollt und schnarchen ächzend. Einer trägt die Likörflaschen an den Hälsen zusammen und verbirgt sie in einem Fach des großen Institutsschrankes. Vor den Fenstern hört man die Hähne krähen. In den Gebüschen flattert es, und die Singvögel beginnen die ersten, fast unhörbaren, sehr süßen Flötentöne, die sie absichtlich recht lang ziehen, als wenn es Fragen wären. In der bereits taubengrauen Dämmerung durchschwirren sie die feuchte Luft, noch unsicher erheben sie sich im Morgennebel und senken sich, während sie sich wie kleine Gewichte schnell niederfallen lassen. Die rauchige Stelle am Horizonte hat sich wie ein weißlicher Flaus mit Blut gefüllt. Langgestreckte Wolken beginnen mit ihrer der Erde zugewandten Seite wie Apfelsinen zu glänzen. Mit einem Male ist es ganz hell, und das Rot ist glühend geworden, in Wellen bewegt und kaum mit bloßem Auge zu ertragen. Die Jungen sind alle verstummt, niemand schenkt der Roulettuhr Aufmerksamkeit außer Piggy, der unermüdlich wacht und dem alle übrigen Einsätze bleiben. Er nimmt nachher die Roulettuhr als sein Eigentum in Empfang.
Ich kehre in mein Zimmer zurück, das im Gegensatz zu der verbrauchten und nach Zigaretten riechenden Atmosphäre des Schlafsaales von einem würzigen Salbeiduft erfüllt ist, wie er jetzt durch den kühleren Morgenwind von den frisch gemähten Wiesen herübergeweht wird. Die Gutsarbeiter verlassen jetzt in kleinen Gruppen ihre Häuser. Der Meister tritt fröstelnd und blaß vor das Haus und sieht sich um. Dann begibt er sich schnell in das Hauptgebäude, wohl um vor seinem ersten Inspektionsgang die blauen Fahnen abzustauben. – Ein Bäcker kommt mit einem großen Korb voll Brot. Das Zimmer füllt sich mit dem Lichte der grandios aufsteigenden Sonne, man hört das Getümmel der Pferde in den Stallungen, das Brüllen der hungrigen Kühe und leise und vertraut das Scharren und fragende Miauen meiner Feuerkatze, die sich während der Nacht auf den Wiesen und Getreidefeldern umhergetrieben hat, wo sie auf die Mäusejagd gegangen ist. Jetzt schmeichelt sie sich hinein, will mich mit ihrem noch mit Blut befleckten Maule liebkosen, wobei sie schnurrend den feuerroten Rücken hochwölbt. Jetzt möchte sie sich zu meinen Füßen auf der Anstaltsdecke zusammenrollen und schlafen. Lange sucht sie nach der für sie bequemsten Stellung, wobei sich ihr Schnurren verstärkt. Das ganze schlecht gezimmerte Institutsbett zittert mit – unter diesem Geräusch schlafe ich endlich ein.
Kapitel Neunzehn
In dem Traum dieser Nacht muß etwas von dem Brande Onderkuhles gewesen sein. Zwar ist es mir nicht klar, wie es möglich sein sollte, daß Onderkuhle zweimal gebrannt habe, und zwar das erstemal während meines kurzen, durch Windstöße gestörten Schlafes zwischen vier und acht Uhr morgens und dann in Wirklichkeit an dem Abend dieses Tages. Ich weiß nur, daß ich dadurch geweckt werde, daß zu ungewohnter Stunde die Zöglinge in den Schlafsaal zurückkehren, um sich dort die Galauniform anzuziehen. Der Herzog hat eben aus der nächst Onderkuhle gelegenen großen Bahnstation dem Obersten telegrafiert, daß er mit seinem Sekretär lieber mit dem Wagen abgeholt sein will, statt die Reise mit der Kleinbahn fortzusetzen. Ich höre dies aus den Gesprächen der Knaben und richte mich für meine Person danach. Zufällig blicke ich hinaus und sehe den Meister neben dem »unverwüstlichen Beamten« mitten in der sausenden Morgenglut stehen, sie sprechen aber nicht miteinander, sondern bloß ihre Hände bewegen sich unruhig, schließlich rafft sich der Meister auf und geht seiner Behausung zu; der Rendant folgt ihm wie hypnotisiert, so in Gedanken versunken, daß er fast von dem eben in schnellem Tempo losfahrenden Wagen, der mit unseren besten Pferden bespannt worden ist, überfahren wird. Der dritte in Träume Versunkene bin ich, der weiß, daß er etwas Bedeutsames geträumt hat, aber noch nicht richtig auf den Geschmack dieses Traumbildes gekommen ist.
In sehr kurzer Zeit erscheint der Wagen wieder. Im Fond sitzt ein