Ambrosius von Mailand

Von den Pflichten der Kirchendiener


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Noch sieht das Volk zu, noch stehen die Wettkämpfer auf dem Kampfplatz: und du verlangst bereits nach Muße?

      60. Doch vielleicht möchtest du einwenden: Warum geben sich die Gottlosen dem Vergnügen, warum der Ausgelassenheit hin? Warum teilen nicht auch sie die Mühe und Arbeit mit mir? Weil die, welche sich nicht um die Siegeskrone bewerben, auch nicht zur Kampfesmühe sich angehalten fühlen. Wer nicht in die Rennbahn tritt, salbt sich nicht mit Öl, beschmutzt sich nicht mit Staub. Kämpfer, deren Ruhm harren soll, erwartet Ungemach. Salbenduftende Weichlinge pflegen zuzuschauen, nicht zu kämpfen, nicht Sonne, Hitze, Staub und Regen zu ertragen. Wohl mag auch an sie die Aufforderung der Kämpfenden ergehen: Kommt, teilt die Kampfesmühe mit uns! Doch als Zuschauer werden sie antworten: Wir spielen hier inzwischen eure Richter; ihr aber werdet euch auch ohne uns, wenn ihr siegt, den Ruhm sichern.

      61. Solche Leute nun, die ihr Sinnen und Trachten auf Genuß, auf Völlerei, Erpressung, Erwerb und Ehren richten, sind mehr Zuschauer denn Streiter. Sie ziehen Vorteil aus der Arbeit, keine Frucht aus der Tugend. Sie pflegen des Müßigganges, scharren in List und Ungerechtigkeit Haufen von Reichtümern zusammen. Doch wenn auch spät: sie werden für ihre Schlechtigkeit Strafe erleiden. Ihre Ruhe ist in der Hölle, die deinige aber im Himmel; ihre Behausung ist im Grabe, die deinige im Paradiese. Darum der schöne Ausspruch Jobs: sie wachen im Grabe96, weil sie des Schlafes der Ruhe nicht genießen können, den jener schlief, der auferstanden ist.

      62. Sei also nicht unverständig wie ein Kind, rede nicht wie ein Kind, denke nicht wie ein Kind, maße dir nicht wie ein Kind etwas an, was einer späteren Zeit vorbehalten ist! Die Krone gebührt den Vollendeten. Mache dich gefaßt, daß die Vollendung kommt! Dann magst du nicht im rätselhaften Bilde, sondern von Angesicht zu Angesicht die Gestalt der enthüllten Wahrheit selbst erkennen97. Dann wird offenbar werden, warum der Ungerechte und Erpresser fremden Gutes reich, warum ein anderer mächtig, warum ein dritter mit zahlreichen Kindern gesegnet, wieder ein anderer mit Ehren bedacht war.

      63. Vielleicht soll zum Erpresser einmal gesprochen werden: Du warst reich, warum raubtest du fremdes Gut? Nicht Not trieb dich, nicht Armut zwang dich hierzu. Habe ich dich nicht deshalb reich werden lassen, um dir keine Ausrede zu ermöglichen? Ebenso soll zum Mächtigen gesprochen werden: Warum standst du den Witwen, ferner den Waisen nicht bei, da sie Unrecht litten? Warst du zu schwach hierzu? Warst du außerstande, Hilfe zu leisten? Darum habe ich dich mächtig gemacht, nicht daß du Gewalttat übest, sondern verhütest. Galt dir nicht das Schriftwort: „Rette den, dem Unrecht widerfährt“?98 Galt dir nicht das Schriftwort: „Befreiet den Armen und Notleidenden aus der Hand des Sünders“?99 Desgleichen soll zum Reichen gesprochen werden: Mit Kindern und Ehren habe ich dich reich bedacht, leibliche Gesundheit dir geschenkt: warum befolgtest du meine Gebote nicht? Mein Diener, was habe ich dir getan oder womit dich betrübt? Habe nicht ich dir die Kinder gegeben, die Ehren verliehen, die Gesundheit geschenkt? Warum hast du mich verleugnet? Warum glaubtest du, dein Tun dringe nicht zu meinem Wissen? Warum behieltest du meine Gaben, hieltest du nicht meine Gebote?

      64. Am Verräter Judas mag man denn dies erschließen. Er war zum Apostel unter den Zwölfen erkoren und erhielt die Geldmünzen anvertraut, die er an die Armen verteilen sollte. Es sollte nicht scheinen, als habe er den Herrn verraten, weil er nicht genugsam geehrt, oder weil er in Not war. Gerade deshalb gab sie ihm der Herr, daß er an ihm gerechtfertigt würde. Nicht aus Erbitterung über ein Unrecht, sondern aus Mißbrauch seines Gnadenamtes machte er sich der um so größeren Beleidigung schuldig.

      XVII. Kapitel

      

       Von den Pflichten der heranwachsenden Jugend (65). Biblische Vorbilder (66).

      65. Da nun hinlänglich klar ist, daß einerseits der Ungerechtigkeit Strafe, andrerseits der Tugend Lohn harrt, wollen wir an die Besprechung jener Pflichten herantreten, auf die wir von Jugend auf unser Augenmerk richten sollen100, damit sie zugleich mit den fortschreitenden Jahren an Wachstum zunehmen. Braven Jünglingen nun geziemt Gottesfurcht, Ehrerbietung gegen die Eltern, Ehrfurcht vor dem Alter, Wahrung der Keuschheit, unverdrossene Übung der Demut, Liebe zur Sanftmut und zur Sittsamkeit, welche das jüngere Alter zieren. Wie nämlich für das Alter der Ernst und für die erwachsene Jugend der Frohsinn, so bildet für die heranwachsende Jugend die Sittsamkeit gleichsam die natürliche Mitgift, die sie empfiehlt.

      66. Isaak war schon als Sprößling Abrahams gottesfürchtig und von solcher Ehrerbietung gegen den Vater, daß er sich wider des Vaters Willen nicht einmal dem Tod widersetzte101. Auch Joseph war, obgleich es ihm geträumt hatte, daß die Sonne und der Mond und die Sterne ihm huldigten, voll Dienstbeflissenheit gegen den Vater, ferner keusch, so daß er nur ehrbare Rede hören wollte, demütig bis zum Sklavendienst, sittsam bis zur Flucht, geduldig bis zur Kerkerhaft, zur Verzeihung des Unrechts bereit bis zur Belohnung desselben. So groß war seine Schamhaftigkeit, daß er, von einem Weibe ergriffen, lieber fliehend sein Kleid in deren Händen zurücklassen als seine Schamhaftigkeit preisgeben wollte102. Auch Moses und Jeremias, vom Herrn zur Verkündigung der göttlichen Aussprüche an das Volk erwählt, entschuldigten sich in heiliger Scheu über das Unterfangen, zu dem sie kraft der Gnade ermächtigt waren103.

      XVIII. Kapitel

      

       Von der Sittsamkeit: Sie bekundet sich im Reden (67), noch mehr im Schweigen (68). Sie ist die Genossin der Keuschheit (69), macht das Gebet Gott wohlgefällig (70), offenbart sich in Haltung und Gang (71—75). Von ihrer Verletzung in Wort (76) und Blick (77). Die Schamhaftigkeit gegen sich selbst ein Gebot der Natur, der Sitte, der Hl. Schrift (78—80).

      67. Schön ist die Tugend der Sittsamkeit und hold ihr Reiz. Nicht nur im Handeln, sondern selbst im Reden tritt sie zutage: man überschreite nicht das Maß beim Sprechen; die Rede lasse nichts Unziemliches verlauten! Im Worte spiegelt sich ja so häufig das Bild des Geistes. Sogar den Ton der Stimme wägt die Eingezogenheit ab, daß nicht eine zu kräftige Stimme das Ohr des Hörers verletze. So besteht schon beim Singen und überhaupt bei jedem Gebrauch der Sprache die erste Schulung in bescheidener Zurückhaltung. Erst nach und nach soll einer zu psallieren oder zu singen oder endlich zu sprechen anfangen, damit die bescheidenen Anfänge vielversprechend für den Fortschritt werden.

      68. Gerade das Stillschweigen, die Mußezeit der übrigen Tugenden, ist das Wichtigste in der Sittsamkeit. Dasselbe gilt denn auch, wenn kindisches Unvermögen oder aber Stolz dahinter vermutet wird, für eine Schande, wenn Sittsamkeit, für etwas Lobenswertes. Susanna schwieg in der Gefahr104; sie erachtete den Verlust der Schamhaftigkeit für schlimmer als den des Lebens und glaubte nicht ihre Reinheit auf das Spiel setzen zu sollen, um so ihr Leben zu wahren. Nur mit Gott sprach sie105, mit dem sie sich in keuscher Sittsamkeit aussprechen konnte. Sie vermied es, den Männern ins Gesicht zu sehen; denn auch in den Augen verrät sich die Schamhaftigkeit, so daß eine Frau weder Männer anblicken noch davon sich anblicken lassen will.

      69. Niemand aber glaube, dieses Lob gebühre allein nur der Keuschheit. Denn die Keuschheit hat zur Gefährtin die Sittsamkeit, in deren Gefolge die Keuschheit selbst sicherer ist. Eine gute Gefährtin und Führerin der Keuschheit ist die Schamhaftigkeit. Indem sie ihren Schild wehrend gegen die ersten Regungen der Gefahr hält, läßt sie keine Verletzung der Keuschheit zu. Sie vor allem nimmt die Schriftleser schon auf den ersten Blick für die Mutter des Herrn ein und läßt als vollgültige Zeugin dieselbe als würdig für die Erwählung zu einem solchen Berufe erscheinen. Sie weilt im Gemache, weilt allein, sie schweigt auf des Engels Gruß und ist bestürzt bei dessen Eintritt, weil der Blick der Jungfrau auf die ungewohnte Erscheinung einer Mannesperson in Verwirrung gerät. Obschon demütig, erwiderte sie doch aus Sittsamkeit den Gruß nicht und antwortete erst dann, als sie von ihrer Berufung zur Mutter des Herrn vernahm, um die Art des Vollzuges kennen zu lernen, nicht um die Anrede zu erwidern106.

      70. Auch bei unserem Gebete zieht die Eingezogenheit viel Wohlgefallen nach sich und erwirbt uns viel Gnade bei unserem Gott. Gereichte nicht sie dem Zöllner, der nicht einmal seine Augen zum Himmel aufzuschlagen wagte,