Ein heisser Wind, der plötzlich mit Kraft über die Ebene schnob, lüftete seinen Schafpelz und warf die weissen Haare, die ihm langsträhnig unterm Hut vorhingen, wild durcheinander.
Als Helene nach einer Weile zurückblickte, stand Kuba Dudek wieder auf dem Grenzstein; unbeweglich, wie der Weiser an der Wegscheide, reckte sich sein Arm. —
In der Kolonie war nicht die muntere Geschäftigkeit, die man in der Ferne zu sehen vermeint. Nur die Bräuers waren beim Hausbau; von den andern Ansiedlern liess sich niemand blicken. Helene war einigermassen enttäuscht, hatte sie doch geglaubt, die Frauen auf den Türschwellen sitzend zu finden, schwatzend beim Kartoffelschälen, wie sie die Frauen vielhundertmal gesehen hatte im deutschen Dorf beim elterlichen Gut.
Aber Doleschal war sehr befriedigt: noch war nicht Feierabend gemacht. Drüben in Pociecha-Dorf stiegen schon Rauchsäulen aus den zusammengesunkenen Schlöten der grün vermoosten Strohdächer, hier schafften noch alle fleissig auf dem Felde.
„Soll ich dich mal über die Äcker fahren?“ fragte er seine Frau. „Viel zu sehen wird freilich noch nicht sein. Aber sie haben ja die Freijahre, die sind eine riesig kulante Einrichtung.“
Wohlgefällig schaute er sich um: „Sieh mal, wie nett, wie sauber! Wie aus der Spielschachtel! Unsre Ansiedlung ist von allen die vielversprechendste. Erinnerst du dich noch, vor fünf Jahren, als sie hier das Gut parzellierten? Wie heruntergewirtschaftet das war?! Und wie sieht es jetzt aus! Freilich, es wird noch eine Weile dauern, bis der ausgesogene Boden sich wieder erholt hat. Aber unter tüchtigen Arbeitshänden — da, sieh mal!“ Sich unterbrechend, zeigte er auf eine kreisrunde mächtige Scheune: „Wie ein Zirkus! Ein bisschen gross, aber, na — die hat sich ein Amerikaner gebaut. Famoses Ding, was? Links das niedliche Gehöft gehört einem Schwaben. Ach, sieh mal an, hat sich der Mann neben den Obstbäumen auch Rebstöcke gepflanzt — ist das nicht rührend? Da hinten sitzen die Kolonisten aus der hiesigen Provinz alle zusammen. Und hier sind wir bei den Rheinländern.“
Sie waren die ungepflasterte Strasse, an der die Häuschen und Scheunen sich rechts und links verteilten, ein paarmal auf und nieder gefahren. Nun hielten sie bei dem Neubau an.
Peter Bräuer und sein Sohn sägten gerade an einem Balken. Die Säge war stumpf geworden, widrig klang ihr Gequietsch, und widerwillig nur gab der Balken nach. Mit einer gewissen Verdrossenheit arbeiteten beide Männer; sie blickten auch kaum auf, als Doleschal vom Wagen absprang und seiner Frau die Zügel übergab.
Er trat zu den Arbeitenden und sagte: „Nun, wie steht’s mit dem Bau?“
„Tag!“ Vater Bräuer fasste nur an die Mütze, während der Sohn die seine wohl heruntertat, aber sogleich wieder aufsetzte. „Könnt besser sein. Mer kömmt nit voran. Hätt ich dat gewusst!“
„Wieso — hätten Sie was gewusst?“ fragte Doleschal lebhaft. „Über was haben Sie sich zu beklagen?!“
„Der Herr ist wohl auch einer von der Kommission?“ sagte Peter misstrauisch und wechselte einen Blick mit seinem Sohne.
„Nein.“ Doleschal hatte den Blick aufgefangen. „Aber Sie können mir ruhig sagen, was Ihnen nicht behagt. Ich interessiere mich für die Kolonisation. Ich bin auch Deutscher. Hier in der Nachbarschaft ansässig — Doleschal auf Deutschau!“
„Ah, Sie sind der Doleschal?! So, no dann“ — Peter Bräuer streckte treuherzig die Hand hin — „dann is dat wat andres. Ich hab als von Ihnen gehört. Un dat is Ihr Frau?“ Er grüsste mit einer ungelenken Verbeugung nach dem Wagen hin. „Ja, wissen Se, Herr von Doleschal, Se müssen mir dat nit übelnehmen, aber man wird ganz misstrauisch. Sie haben einem dat doch alles ganz anders vorgestellt — oder ob ich mir nur dat so anders gedacht hab!? Ich weiss et nit. Jedenfalls hätt ich, wenn ich früher gewusst hätt, dat mer hier so schlecht Arbeitskräft kriegt — ich weiss nit, sind ihrer wirklich kein da oder wollen se nur nit —, mir dat Haus vom Bauamt baue lassen. Sie hatten mir dat angeboten, aber ich dacht, et käm so billiger. Ja, un wenn ich dal all ganz genau gewusst hätt, wär ich gar nit hier hingekommen, da hätt ich doch ebensogut nach Amerika auswandern können.“
„Das dürfen Sie nicht sagen!“ Doleschal warf einen wohlgefälligen Blick auf den jungen Mann, der zu den Worten des Vaters beistimmend nickte. „Sie müssen doch Ihre Kinder, Ihren Sohn da, dem Vaterland erhalten!“
„Och, wat dat anbelangt, de kann in Amerika ebensogut deutsch bleiben wie hier! Un hier muss mer sich plagen, genauso wie woanders — ne, noch viel mehr!“
Es tat dem Mann augenscheinlich gut, sein Herz zu entlasten. Da hatte ihm wohl die Kommission fast alles, was zum Hausbauen gehörig, prompt und nicht zu teuer zur Stelle geliefert: Mauer-, Ziegel-, Firststeine, Feldsteine zum Fundament und auch Bauholz. Auch hatte er für sich und seine Familie derweilen drüben in der Holzbaracke die erste Unterkunft gefunden. Aber nun würde der Bau doch doppelt solange dauern als vorausgesehen, denn aus Miasteczko der Zimmermann mit seinen Gesellen war nur zwei Tage erschienen, dann nicht mehr; und der Maurer drüben aus dem Dorf, der sich, gegen hohen Tagelohn, für die ganze Zeit verpflichtet hatte, war nach einer halben Woche auch nicht mehr gekommen. Als der Valentin hingegangen, ihn zur Rede zu stellen, hatten sie sich durchaus nicht verständigen können; ein wüstes Gezänke war’s geworden. Aber wer konnte es dem Jungen verdenken, dass er mit der Faust auf den Tisch geschlagen? War er denn nicht in seinem guten Recht?! Doch das Gesindel war in lautes Hallo ausgebrochen, und die Frau hatte drohend nach dem Wasserkessel gegriffen, der auf dem Herd sprudelnd kochte. Und niemand, niemand anders war zur Hilfe aufzutreiben gewesen! Ganz allein waren sie sitzengeblieben mit aller Arbeit! Ein Glück noch, dass sie etwas davon verstanden — aber freilich, ’s war nur ein Stall gewesen, den sie dazumal allein gebaut hatten, und noch dazu war’s zu Hause gewesen, am Rhein!
Der Gutsverwalter auf dem Restgut, an den man sich doch mit allen Anliegen wenden sollte, hatte die Achseln gezuckt bei seinen Klagen: ja, warum musste denn durchaus selber gebaut sein?! Mit den Leuten hierzulande müsste man eben in Frieden auskommen, er könnte auch gar nichts dabei machen.
Unwirsch fuhr sich der Ansiedler durch die Haare:
„Et geht so langsam, viel zu langsam! Un dat Kettchen jammert in der Barack — kein Ordnung, kein Reinlichkeit is mögelich — un da sind gestern ihrer noch welche zugekommen — se sagen, se wären deutsch, de Mann spricht auch deutsch, aber die Weibsleut schnattern polacksch. Un mit den Weibsmenschern soll nun mein Frau in einem Raum schlafen?! Denken Se an! — Un wie lang dauert et noch, un et is hier schon Herbst! Die Tag sind so heiss, aber die Nächt sind als kühl. Bei uns zu Haus is dat ganz anders, da blühen Allerheiligen die Rosen noch. Och, hätt ich dat gewusst! Ne, ich sag schon — wie krieg ich dat Haus trocken?!“
Eine tief-innere Angst lag unter diesen Worten, Doleschal fühlte sie heraus.
„Ich werde Ihnen meinen Stellmacher zu Hilfe schicken“, sagte er. „Der Mann hat zwar noch kein Haus gebaut, aber er wird Ihnen doch jedenfalls von Nutzen sein. Und er ist deutsch.“
„Dat — dat wollen Sie tun?“ Ein Ausdruck freudigster Erleichterung erhellte des Ansiedlers bekümmertes Gesicht. „Den Stellmacher — Donnerschlag! Valentin, Jung, hörste, wir kriegen Hilf!“
Der Sohn hatte die Mütze vom Kopf gerissen, sein ganzes hübsches Gesicht lachte. Unverfrorene Herzlichkeit lag in der Bewegung, mit der er nun rasch auf den Herrn zutrat; man sah’s, er hätte dem gern die Hand geschüttelt, aber der beim Militär anerzogene Drill hielt ihn zurück.
Er nahm die Hacken zusammen: „Besten Dank, Herr Baron!“
Wohlgefällig musterte Doleschal den stattlichen Menschen. „Garde, was?“
„Nein, Herr Baron, Deutzer Kürassier!“
„So, so. Ich bin Rittmeister bei den Gardekürassieren!“
Valentin schlug wieder die Hacken zusammen. Er murmelte etwas von ‚grosser Ehre‘, und eine helle Röte stieg ihm dabei ins Gesicht; man hörte seiner Stimme die Freude an. Eine Verbindung war plötzlich vorhanden, zwischen ihm und jenem vornehmen Herrn da.
Auch Doleschal sagte: „Wir