Clara Viebig

Das schlafende Heer


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wie ein dichtes Dach über den Wallgang diesseits des Grabens wölbten, fuhr ein halb erschrockener, halb jauchzender Mädchenschrei. Aha, da badeten wieder die Hofmägde im Wallgraben! Und die Knechte kamen ihnen dabei über den Hals.

      Wenn die Nächte so schwül sind und der Erntestaub so brennend, dann heben sich die Leiber, die behend Rock und Hemd abgestreift, wie weisse Statuen jenseits vom dunklen Grabenrain; leuchtend glänzen sie herüber zu der einsamen Bank, die ganz verborgen steht unter den tiefhängenden Buchenästen.

      Das Baden im Wallgraben war dem Gesinde verboten — ob man es anzeigte? Lieber nicht. Der Inspektor war gleich grob, schlug darauflos mit der Ledergeschwänzten oder zog Strafgeld vom Lohn ab. Und wusch das etwa die Seele rein, die eine Verfehlung auf sich geladen?!

      Ein feines Lächeln überhuschte für einen Augenblick des Geistlichen ernstes Gesicht. Langsam streckte er die Hand aus, hielt sie hinaus in die Dunkelheit und zog sie dann langsam und fest, zur Faust geschlossen, wieder an sich. Diese Hand, so dünn, dass die Adern blau durchschimmerten, diese Hand, zart wie eine schöne Frauenhand, diese Hand hielt viel.

      Ein Atemzug hob die schmalschultrige Gestalt; sie schien sich höher zu recken. Die trockenen Lippen mit der unruhigen Zungenspitze befeuchtend, lächelte der Vikar überlegen. Und diese Vikarzeit bei dem bäuerischen, stumpfsinnigen alten Propst von Pociecha, war sie nicht nur ein Übergang? Was sollte wohl ein Górka bei den Bauern?! Den Zögling, dem man beim Abschied vom Seminar von ‚besonderen Hoffnungen‘ gesprochen, die man auf ihn setzte, den Erben eines uralten Namens — freilich nur eines Namens — den Verwandten eines Kardinals, liess man hier nicht verkommen. Und war nicht die Freundschaft mit den Garczyńskis schon ein Tritt auf die erste Sprosse der Leiter? Garczyński würde keinen andern simplen Dorfvikar den ‚hochverehrten Lehrer‘ seines Sohnes nennen — da hatten sich schon Einflüsse von oben her geltend gemacht. Es war kein Genuss, den jungen Boleslaw zu unterrichten, der Junge war sündhaft faul — faul wie alle, die einen reichen Vater hinter sich wissen — aber diese Zubereitung des kommenden Geschlechts, das Polens neuen Glanz wieder begründen sollte, war eine Vertrauenssache. Polens neuen Glanz begründen — die?!

      Hastig wendete sich der Einsame um: hatte jemand gelacht? Niemand war da, nur die Nacht auf verfallender Treppe und im verwilderten Park. Nein, diese Jungen, die französisch plapperten bei der Bonne, dann am Wissen herumnippten und dann im preussischen Drill ihr Vaterland öfter verleugneten, als Petrus Jesum Christum, den Herrn, die gründeten kein neues Polenreich, wenn nicht diese, diese — die Hand wieder ausstreckend, sie erhebend in der Dunkelheit, atmete der Priester tief auf — diese hier sie stützte!

      Vom Dom in der Stadt auf den sieben Hügeln hallen die Glocken weit ins Land. Der Bauer im langschössigen Rock, die Ehefrau im sonntäglichen Spenzer, das Mädchen mit den vielfarbenen Bändern an der Halsperlenschnur — Männer, Weiber, Burschen, Dirnen, Greise, Kinder, Abgeschiedene und noch Ungeborene — alle liegen vor dem Altar im Staub, gehorsam der einen grossen, heiligen, unergründlichen Macht — alle, auch diese da drinnen!

      Der Vikar drehte sich um nach den Fenstern des Gartenzimmers; sie waren nicht mehr erleuchtet, das Spiel hatte aufgehört. Da ging er.

      Die Grillen im Gras und Gemäuer zirpten immer ungestümer, wie bebend vor Liebesungeduld. Er hörte sie nicht mehr.

      Als er über den dunklen Hof stieg, vorsichtig auf den Zehen, und seinen langen Rock raffte, dass die Jauche, die floss, den nicht bespritzte und auch nicht die blanken Schäfte seiner Kniestiefel, hörte er weder das Muhen einer Kuh im dunstigen Stall, das, halb im Schlaf, begehrend durch die nächtliche Stille rief, noch das heisre Schnaufen des Bullen an der ihn fesselnden Kette.

      Beim Futterspeicher begegnete ihm der Stróž, der Nachtwächter. Den Spiess vorgestreckt, die trübselige Laterne hochhaltend, dass sie doch wenigstens ein bisschen leuchte, schrie der grob den heimlichen Wandrer an: „Wer geht da? Hundeblut, verfluchter Dieb!“

      Aber als der alte Mann den jugendlichen Vikar erkannte, sank er zusammen wie niedergeschmettert. Seine von Nachtwachen und Schnapstrinken rotplierigen Augen verdrehten sich vor Ehrfurcht; demütig küsste er das Kleid des geweihten Herrn. —

      An den Hütten der Gutshörigen vorbei führt der Weg nach Pociecha. Wie dunkle Haufen liegen die Häuser niedrig an der Strasse; selten, dass ein plattes Dach sich viel höher erhebt als der aus Feldsteinen unsymmetrisch zusammengetragene Wall, der zu schützen hat gegen Sturm und Schnee, gegen Kälte und Sonne. Vorn an der Strasse ein paar halb abgestorbene Pappeln; hinter den Hütten, als einzig Ragendes, die Stange eines Ziehbrunnens, der mit seinem gen Himmel gerichteten hohen Arm, daran der Eimer hängt, einem Galgen nicht unähnlich sieht.

      Alle Häuser waren dunkel; nur aus einer Stube, in der man fremde Schnitter untergebracht hatte, flinzelte Lichtschein. Die Männer hatten sich schon aufs Stroh gestreckt; mit dem roten Hemd, wie sie’s am Tag getragen, angetan, die Fusssohlen gegen das Fenster gekehrt, schnarchten sie alle in einer Reihe. Die Weiber hatten sich noch nicht hingelegt. Sie kauerten bei der Alten um den Kartoffelhaufen, der inmitten des Raumes auf den Estrich geschüttet war, und halfen ihr die Kartoffeln abkeimen zur morgenden Mahlzeit. Eine junge Dirne sass noch und flickte eine Männerhose; ungeschickt hielten die müde gearbeiteten Finger die Nadel. Sie flickte den Riss zusammen, wie man einen Sack flickt, und doch gab ihr das Lämpchen auch hierzu kaum Licht genug. Trüb nur schwelte es durch die Stube, deren Luft dick war vom Dampf der Feuerstelle, vom kellerigen Dunst der keimenden Kartoffeln, vom Schweiss und Staub und Atem der zusammengepferchten Männer und Weiber.

      Aber der durchs Fenster lugende Vikar sah’s befriedigt: das Lämpchen brannte unterm Muttergottesbild.

      Doch gleich darauf fuhr er vom niedrigen Fenster zurück. Ihm war, als sei durchs trennende Glas der geschlossenen Scheibe doch etwas zu ihm gedrungen von der verpesteten Luft da drinnen. Verletzt rümpfte sich seine Nase. Eilig lief er, bis ihn die reine Luft der freien Felder ganz umfing.

      Durch die Einsamkeit tönte der zitternde Schrei eines Brachhuhns. Wie, schon Herbst? Unwillkürlich verlangsamte Górka jetzt wieder seinen Schritt, nahm den runden, glatthaarigen Filzhut ab und liess den Tau, der in der grossen Stille hörbar tropfte, seine Stirn kühlen.

      War’s möglich, schrie der Brachvogel schon auf der Stoppel? Der Sommer war vorbei, und er hatte ihn nicht gesehen, trotz Erntefeldern und Sonnenglut?

      Ein flüchtiges Bedauern huschte über das ernste Gesicht und machte dessen Züge für Augenblicke jugendlich weich. Der Mund öffnete sich und sog durstig die von Grün und Tau vollsatte Luft ein.

      Ach, jetzt sich hinlegen, dort an den Rain unter die Feldblumen, die, wenn der Nachttau ihnen den Staub abgewaschen, so süss duften! Horch! Die Grillen schrillten noch immer herüber aus dem fernen Park.

      Sich umwendend blickte Górka noch einmal zurück nach Chwaliborczyce. Das dunkle Herrenhaus hob sich nicht mehr ab von der dunklen Fläche; auch der Park, die Hainbuchen und die Pappeln waren zerflossen in der Nacht. Doch jetzt blinkten zwei gelbe Pünktchen auf, sie schienen heller und heller — das waren die Lichter im oberen Stock, im Zimmer der gnädigen Frau. Auf einem Nebelstrahl zitterte der Glanz, flimmernd umwoben, hinaus bis in die Felder.

      Mit grossen Augen starrte der junge Mann — — jetzt sitzt die Garczyńska im Sessel, bereit, sich von der Zofe das lange Haar auskämmen zu lassen. Die runden Arme des dienenden Mädchens bewegen sich zierlich — ah, und jetzt! — die zitternden Strahlen verschwanden — jetzt hat Stasia die Laden vorgelegt, ihr blonder Kopf neigt sich hinaus mit einem leisen ‚Pst‘ für den sie unten erwartenden Inspektor. — — — —

      Ganz dunkel ward’s. Wie aus einem Traum auffahrend strich sich Górka über die taubenässte Stirn und setzte sich den Hut auf. Nun aber rasch! Piotr Stachowiak, der Propst, würde heut schon vergeblich auf ihn gewartet und noch ein Glas Ungar mehr getrunken haben zur Tröstung in seiner Vereinsamung.

      Wie war es doch geisttötend, alle Abend bis Mitternacht mit dem Alten Karten zu spielen! Aber es half nichts, es war ja nur ein Übergang.

      Raschen Schrittes eilte nun der Vikar, unbeirrt vom Spuk der Nachtebene, der den Bauern ängstigt, auf Pociecha zu.

      Das