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wichtigen Besprechung in das Schloss herüber zu kommen.

      Alle anderen Meldungen und Vorträge schob er voll nervöser Ungeduld um Stunden hinaus, und ignorierte vor allen Dingen die Zeit, zu welcher er Buchfeld zu sich befohlen.

      Die Legationsrätin liess diesmal ganz gegen ihre Gewohnheit auf sich warten, aber es hatte einen wohl entschuldbaren Grund. Der Lakai meldete, dass gnädigste Gräfin zu einem Gabelfrühstück bei dem Herrn Minister des Auswärtigen geladen, und infolgedessen schon bei der Toilette gewesen sei.

      Das Wetter verdunkelte sich mehr und mehr unter den Schneemassen, welche ohne Aufhören vom Himmel herab wirbelten, und da die tiefgebauten Gemächer des Schlosses kaum noch an die Tageshelle erinnerten, so entzündeten geschäftige Dienerhände die elektrischen Flammen, welche aus den buntfarbigen Blütengewinden der Kronleuchter ihr zauberhaft abgetöntes Licht ergossen.

      Max Christoph hatte die elegante und reich dekorierte Uniform seines Leib-Kavallerieregimentes angelegt, sein sonst kurz geschnittenes Haar, welches in letzter Zeit etwas nachgewachsen war, lag zierlich gewellt an und über den schmalen Schläfen, und da die Erregung sein bleiches Antlitz höher färbte, so warf der Spiegel das Bild eines schlanken, jugendlich strammen Mannes zurück, so wie er vor zwanzig Jahren als Reiteroberst für die Gemäldegalerie des Landes gemalt war. Und der hohe Herr stand und sah lächelnd auf dieses Bild und gedachte eines alten Liedes, welches die Liebe als machtvolle Verjüngerin des Alters preist. Auch er war jung geworden, jung an Leib, Herz und Seele, und als er die duftenden Purpurrosen aus der Vase emporhob, erschienen sie vollauf berechtigt, an der Brust dieser stattlichen Rittergestalt zu blühen. Mit fiebernden Pulsen erwartete er sein Glück, und je länger es auf sich warten liess, desto erregter verlangte er nach seinem Besitz.

      Endlich rauschte die atlasgefütterte Gobelinportiere an ihren schweren Bronzeringen zurück und, unangemeldet wie stets, schwebte die Lichtgestalt der anmutigsten aller Frauen über die Schwelle. Judith Vare hatte bereits Toilette gemacht, in der eigenartig, geschmackvollen Weise wie sie sich stets kleidete. Ein ganz zarter, schleierartig schmiegsamer, weisser Spitzenstoff wehte wie ein Hauch glatt und wenig faltenreich um ihre schlanke Figur. Von der etwas hochgelegten Taille fiel er schlicht herab, die Körperform völlig hüllend und sie dennoch bei jedem Schritt durch leichte Spannung markierend; eine breite Bordüre von erhabener Silberstickerei hielt am Saum des Kleides den florhasten Stoff nieder und lief in schwerer, mässig langer und etwas spitz fallender Schleppe aus. Eine Silberborde, von einer einzelnen, niedersinkenden Theerose geziert, bildete den breiten Gürtel. Die Ärmel, spannend eng und halblang, waren oben auf dem Arm mit Silberband geschnürt, eine Perlenschnur legte sich eng um den Hals und eine gleiche hielt die graziös toupierten, sehr hoch frisierten Haare zusammen.

      Die ganze Erscheinung der Gräfin Vare war farblos, selbst ihr Antlitz war von müder Blässe überhaucht, und als sie mit den tiefumschatteten Augen einen Moment in regungslosem und erstauntem Anschauen vor ihrem hohen Gebieter zwischen den Portierenfalten stand, glich sie einem wunderholden, zeitverblichenen Gemälde, welches, jäh belebt, aus dunklem Rahmen tritt.

      Max Christoph schritt ihr hastig entgegen, seine Hand bot sich ihr in erregtem Gruss, und sein Blick weilte mit einem Ausdruck leidenschaftlichen Entzückens auf ihr.

      „Willkommen, liebe Freundin! Das Warten ist mir heute lang geworden, — — ich ... ich ... aber ... Sie sind doch nicht eilig?“ — und der Grossherzog rieb sich die Hände, was er stets that, wenn er verlegen oder unschlüssig war.

      Judith schob ihm, der Gewohnheit gemäss, den nächststehenden Sessel herzu: „Nicht im mindesten, Königliche Hoheit, es gibt keine andere Dringlichkeit für mich, als die, meinem allergnädigsten Herrn zu dienen!“ sagte sie in leisem, etwas verschleiertem Ton und wollte sich neigen, das Fusskissen zurecht zu rücken. Max Christoph hielt sie zurück. Er hielt sekundenlang ihren weichen, warmen Arm. Sein Antlitz färbte sich noch höher.

      „Mon Dieu, beste Gräfin. Sie beschämen mich! ich küsse Ihre Hand! ... haha ... so als alten Mann behandeln Sie mich, der geschützt werden muss, wie ein hinfälliges Schilf! Nicht doch! jene Zeiten sind Gottlob vorüber, die mich vor den Jahren zum Greis machen wollten, ich bin wieder gesund, ganz gesund, liebe Vare!“ und gleichsam, als wolle er seine Worte bethätigen, schritt er hochaufgerichtet und spornklirrend an ihr vorüber, nach einem entfernt stehenden Diwan. Ohne Stock und Stütze, ganz jugendlich und lebensfrisch. Erstaunt folgte ihm der Blick der Legationsrätin.

      „Königliche Hoheit — ich sehe mit stolzer Freude, dass die Massagekur wahrhaft Wunder gewirkt hat — —“

      „Die Massagekur?“ Max Christoph lachte, — noch immer etwas nervös, verlegen, „o nein, meine kleine Freundin, es war wohl ein ganz anderes Zaubermittel, welches aus einem Mann, der gewissermassen mit dem Leben abgeschlossen hatte, wieder einen feuerblütigen und begeisterten Jüngling gemacht! Setzen Sie sich an meine Seite ... ich ... ich möchte etwas mit Ihnen bereden ... oder besser ... ich möchte Sie um eine Antwort bitten“ — und dabei nahm er ihre Hand zwischen die seinen und machte tiefatmend eine kurze Pause.

      Die Gräfin sah ihn frappiert an, und da just ihr Fächer zum Teppich niederglitt, hatte sie Gelegenheit, ihre Hand zu befreien. Noch war sie völlig ahnungslos, wenngleich ihr das Benehmen des hohen Herrn ganz aussergewöhnlich erschien. Sie gedachte jenes Abends, wo sie in diesem selben Zimmer eine so empfindliche Niederlage erlitten. Ein Gefühl von Trotz und Bitterkeit wallte in ihr auf.

      „Ich verstehe, Königliche Hoheit, und ahne diese erbetene Antwort bereits!“ entgegnete sie hastig, „und ich will sie geben, trotz meiner Eigenschaft als lady patroness, welche ich dem Delinquenten gegenüber bisher stets bewiesen habe! Mein allerdnädigster Herr deuten den neuesten Skandal an, welcher momentan die müssigen Zungen der Residenz beschäftigt?“

      Max Christoph horchte interessiert auf. „Ah! — Sie überraschen mich! Schon wieder ein neues Kapitel in der Chronique scandaleuse erschienen?“ Seine Brauen zogen sich zusammen. „Hat man etwa gewagt, Sie, liebe Gräfin, abermals in einem neuen Zeitungsartikel anzugreifen? Es war so lange Zeit Ruhe, dass ich schon die angenehme Hoffnung hegte, der Gallapfel sei jetzt bis zum letzten Tropfen ausgepresst!“

      Judith schüttelte langsam, mit einem müden, resignierten Lächeln das Haupt. „O nein, Königliche Hoheit!“ sagte sie leichthin. „Die öffentliche Meinung hat mich gerichtet und unter die Füsse getreten, und damit ist der Zweck meines Verleumders erreicht, er schweigt wohl jetzt. Statt meiner hat man sich ein anderes Opfer ausgesucht.“

      „Thatsächlich? — bitte vollenden Sie — wer soll —“

      „Zur Zeit ist Heusch von Buchfeld la bête noire, von welchem man sich die grausigsten Märchen erzählt.“

      „Soso! ach ... ich weiss bereits! Sie deuten die Gerüchte über seine mysteriösen Schulden an! Warum rechnen Sie dieselben so überzeugt unter die Märchen?!“

      Auf das Höchste überrascht blickte die Legationsrätin in das Antlitz des Sprechers. Flammende Eifersucht sprühte in seinem Auge, Eifersucht durchklang seine Stimme, Eifersucht liess seine Hand sich zusammen krampfen. Eifersucht! Wie ein Blitzstrahl triumphierenden Frohlockens durchzuckte es die Gräfin, und binnen einer Sekunde war ihr Schlachtplan gänzlich verändert. Wunderbar kam ihr das Schicksal zu Hilfe! Sie war hierher gekommen, um Buchfeld zu verleumden und dadurch an seiner Stellung zu rütteln, jetzt gab ihr der Zufall eine noch viel bessere, eine zweischneidige Waffe in die Hand! Max Christoph war eifersüchtig! Die Stunde war gekommen, wo sie sich für die bittere Enttäuschung seiner herben Zurückweisung an ihm rächen und damit gleicher Zeit Buchfelds sichere Position ganz nach Gefallen erschüttern konnte, so lang erschüttern und unterminieren, bis sie es später im eignen Interesse wieder gut befinden würde, dieselbe zu festigen. Also vollständiges Wechseln der Dekoration! Die Eifersucht des Grossherzogs machte die vorsätzliche Angreiferin jählings wieder zur begeisterten, raffiniert koketten Fürsprecherin des Adjutanten. Jetzt auf dem Posten sein und alle Vorteile gewahrt!

      Judiths Auge flimmerte, sie neigte ihr Haupt: „Warum ich sie zu den Märchen rechne, mein hoher Herr? Weil sie Märchen sind! Buchfeld hat wohl ganz unbedeutende Schulden gehabt, ich bin genau unterrichtet, er hat bei Scheuner & Co. einen