Nataly von Eschstruth

In Ungnade - Band II


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in schärfsten Worten den Plan der Gräfin entwickelte und sie schonungslos der raffiniertesten aller Intriguen beschuldigte, da flammten Zorn und Empörung abermals in ihm auf, Partei nehmend für die verfolgte und allseits angefeindete Frau, welche seinem Herzen so teuer war, und deren vollster, verführerischer Zauber ihn noch so frisch und lebendig umfangen hielt.

      Eine masslose Heftigkeit überkam ihn. „Weil sie meine Gattin werden wollte, weil sie nach Krone und Thron strebte?“ keuchte er mit loderndem Blick. „Schon hierin kann ich Ihre infamen Anschuldigungen widerlegen, mein Herr von Buchfeld. Jetzt gilt es die Ehrenrettung einer Unglücklichen, an welcher Sie in blindem Fanatismus den Tod Ihres leichtsinnigen, schamlosen Bruders rächen wollen, und darum treten meine eignen Interessen in diesem Augenblick zurück. So erfahren Sie es aus meinem eignen Munde, dass Judith Vare weder einst noch jetzt danach strebte, meine Gemahlin zu werden, denn Sie wies meine Hand zurück, welche ihr Krone und Purpur bot, sie verzichtete freiwillig darauf, mir je mehr zu sein, als meine treue, opfermutige Ratgeberin und Vertraute. Und diese Aussage verbürge ich mit meinem königlichen Ehrenwort! Was sagen Sie jetzt, Herr Hauptmann?“

      Aurel griff wie schwindelnd nach seinem Kopf. „Ich muss gestehen, Königliche Hoheit, dass ich eine solche Eröffnung nicht erwartete“, stammelte er, „aber gleichviel, so wird sich ein anderes Motiv finden.“

      Abermals ein zorniges, spottendes Auflachen. „Gewiss, mit etwas Phantasie lässt sich vielleicht ein neuer Strick zusammendrehen! Aber vorerst, mein Herr von Buchfeld, gestatten Sie mir wohl, dass ich mich überhaupt erst überzeuge, ob diese Schriftzüge, die vermeintlichen Korrekturen der Gräfin, auch echt sind! Wie leicht lässt sich von boshaft geschickter Hand solch ein kleiner Schnörkel ziehen ... also, Sie gestatten wohl, dass ich das Urteil eines Sachverständigen befrage. Selbstverständlich werden Sie auch einen solchen stellen, damit von keiner Parteilichkeit die Rede sein kann. Und somit wären wir am Ende unserer Unterredung. Sie werden in Ihrer Wohnung weitere Verfügungen erwarten.“

      Eine kurze Geste — Max Christoph setzte die silberne Klingel auf seinem Schreibtisch in stürmische Bewegung. Aurel war entlassen.

      Er wollte noch sprechen — er konnte nicht. Die Zunge klebte ihm am Gaumen, die Kehle war wie zugeschnürt. Bleich wie ein Mondsüchtiger schwankte er über die Schwelle.

      Er sah nicht die Herren und Damen, welchen er in den Gemächern begegnete, er hörte nicht Gruss noch erstaunte Anrede — er starrte mit verglasten Augen vor sich hin ins Leere und stieg mit schweren Schritten, wie ein alter Mann, die Treppe zu seiner Wohnung empor.

      Vom Turm schlug die Uhr — sie schlug seine Stunde. Eine kurze Stunde später durcheilte ein Gerücht wie auf Sturmesschwingen die Residenz: Heusch von Buchfeld war mit kolossalem Eklat in Ungnade gefallen! In Ungnade! War’s möglich? Manche schüttelten ungläubig die Köpfe, viele nickten schadenfroh: „Natürlich! Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht!“ Einzelne fühlten heimliches Mitleid, keiner aber sprach ein Wort zu seiner Verteidigung. In Ungnade! Kein Pestkranker ist so einsam und verlassen, so bar aller Hilfe und allen Zuspruchs, als ein Mann, der in Ungnade fällt.

      Wer so hoch herabstürzt, der fällt mit Centnerlast, und was sich in seine Nähe wagt, wird mitgerissen; einsam, — wie vom Sturmwind gefegt ist die Bahn, welche von den Stufen eines Thrones herab in die Verbannung führt.

      Gräfin Vare hatte sich noch im letzten Moment bei dem Minister entschuldigen lassen; plötzlich eingetretener Migräne halber konnte sie leider nicht von seiner so gütigen Einladung zum Gabelfrühstück Gebrauch machen! Sie lag daheim auf der Chaiselongue, die Arme unter dem Haupt verschränkt, und starrte nachdenklich zu dem Plafond empor. Sie ersann Pläne und verwarf sie wieder, sie glaubte oft das richtige gefunden zu haben und war im nächsten Moment unschlüssiger wie je. Ein Sturm von Gefühlen durchtobte sie, und das war nicht gut. Ruhe, — volle, kaltblütige Ruhe, eher lässt sich kein Gedanke fassen, darum still, du ungestümes, wildes Herz! Gräfin Judith hat einen Käufer für ihre Hand gefunden, der bietet hohen Preis, nun gilt es mit nüchternem Verstand überlegen, was aller Liebe Seligkeit und was aller Welt fürstliche Pracht wert ist, und was sich eventuell thun liesse, um beides zu eigen zu gewinnen!

      Die Kammerfrau stand nach zaghaftem Klopfen auf der Schwelle. Die Legationsrätin hatte jede Störung streng untersagt, dennoch ward sie nicht zornig, sondern strich nur langsam mit der Hand über die Stirn und blickte apathisch nach dem silbernen Teller, auf welchem Frau Lorenz einen Brief präsentierte.

      „Von wem?“

      „Königliche Hoheit der Grossherzog lassen um alsbaldige Antwort bitten!“

      „Gut, — ich werde klingeln.“ Mit hastigem Griff nahm Judith das Schreiben entgegen. Heisse Glut flammte in ihre Wangen empor, und ihr Auge blitzte voll Genugthuung, als sie auf das länglich weisse, durch roten Wappenstempel verschlossene Billet niedersah. Wie eilig! — Brennt die Glut denn plötzlich gar so hoch?! Noch ist die Adressatin nicht ins reine gekommen mit ihrer Rechnung. Also Geduld, Sir, Judith Vare hat auch lange Geduld haben müssen!!

      Sie las. Plötzlich schrak sie empor, Leichenblässe bedeckte ihr Antlitz. Buchfeld im Besitz eines Stückes Manuskript, Buchfeld als ihr Ankläger vor dem Grossherzog.

      Sie richtete sich auf, mit weitgeöffneten Augen starrte sie einen Augenblick wie eine Sterbende auf das Blatt nieder, — — und Buchfeld in Ungnade! Max Christoph nimmt voll fanatischem Eifer für das Weib seines Herzens Partei. —

      Was nun! — Judiths Pulsschlag stockt, sie ringt verzweifelt nach Fassung. Eine tödliche, zitternde Angst erfasst sie, jetzt hat sich die Situation auf das äusserste zugespitzt, nun würfelt das Schicksal um Sein oder Nichtsein. Hat sie für sich selber zu fürchen? Ihr vertrauter Freund Sellkow hatte ihr damals guten Rat gegeben, sie war wohl sicher, aber — was ist noch Sicherheit? Sie steht auf einem Vulkan! Und fällt sie nicht zum Opfer, so ist Buchfeld gerichtet, für ewige Zeiten in der Umgebung des Grossherzogs unmöglich geworden! In Ungnade! der Donnerkeil schwebte drohend in der Luft; er muss jetzt herniederwuchten und einen zerschmettern, ihn oder sie. Muss?! — Nein! — Die Denkerin sprang leidenschaftlich empor, noch wagt sie den Kampf gegen die verderbenden Mächte, noch wird sie einen Ausweg finden, das Unheil abzuwenden! Hat sie nicht aus jeder Situation bislang Vorteil gezogen? Auch diese muss sich biegen, kneten und verarbeiten lassen, eine Form anzunehmen, wie Gräfin Vare sie just braucht. Aber vorerst eine Antwort. Samiel hilf! sie ist nicht leicht. Max Christoph drängt auf ihre Entscheidung, er verlangt voll stürmischer Leidenschaft nach ihrem Kommen.

      Einen Augenblick schloss die Legationsrätin sinnend die Augen und presste die eiskalten Hände gegen die Schläfen. Dann schnellte sie wie mit gewaltsamem Ruck empor und ergriff die Feder auf dem Schreibtisch. Ein paar hastige unsichere Schriftzüge: „Königlicher Gebieter, unendlich teurer Herr über mein Leben und meinen Tod! — Aufs neue angeklagt stehe ich vor Eurer Königlichen Hoheit. Der allbarmherzige Gott segne Sie für Ihren Glauben an meine Unschuld und stärke mein schwaches, liebekrankes Herz, noch kurze Zeit stark zu sein, bis ich gerechtfertigt vor Euere Königliche Hoheit treten kann. — All meine Gedanken, mein ganzes Sein und Wesen ist bei dem Mann meiner heissen, so inbrünstigen und doch so reinen Liebe! Aber ich flehe meinen Allergnädigsten Herrn an, auf mein Kommen zu verzichten, bis die Entscheidung der Sachverständigen über meine vermeintliche Schrift eingetroffen! Ich kann nicht unter dem Schein der Schuld und der furchtbaren Wucht solcher Anklage vor Sie treten, — beim ewigen Himmel — ich kann es nicht! — Ich leide unsäglich. — Darf ich aber nach erwiesener Unschuld erhobenen Hauptes wieder meinem geliebten Herrn ins Auge schauen, — dann rufen Sie mich, — und ich werde mich jauchzend vor Ihre Füsse niederstürzen, in demütiger Liebe hoffend, an das edelste und herrlichste aller Herzen emporgehoben zu werden! — Dazu helfe mir Gott. Unwandelbar in ehrfurchtvollster Ergebenheit stets und immer meines Königlichen Herrn treueigenste Judith Vare.“

      Hochatmend schloss sie den Brief, zog nach kurzem Besinnen eine rote Rose aus dem Krystallkelch und fügte sie den Zeilen bei. Dann ein Siegel auf den Umschlag, und die Legationsrätin rührte die Schelle.

      „Hier die Antwort. — Jean soll augenblicklich zu dem Herrn Kammerherrn von Sellkow gehen und bestellen, ich liesse unverzüglich um seinen Besuch bitten. — Bis dahin unterbleibt