Nataly von Eschstruth

In Ungnade - Band II


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gnädigste Gräfin. — Darf nicht das Frühstück aufgetragen werden?“

      „Lassen Sie eine Tasse Bouillon im Speisesaal bereit stellen.“

      Frau Lorenz knixte mit etwas beruhigterer Miene und verschwand, — hinter ihr schnappte der Riegel vor die Salonthür.

      Es kursierten die seltsamsten und alarmierendsten Gerüchte in der Residenz. Irgend ein Eklat bereitete sich am Hofe vor. Der Grossherzog sollte in einer unglaublich gereizten, hochnervösen Stimmung seiner Umgebung geradezu rätselhaft erscheinen. Er war ersichtlich krank, aber er hielt sich voll zäher Energie gewaltsam empor. Fast kein Mensch hatte bei ihm Zutritt, als unerklärlicherweise nur der junge Kammerherr von Sellkow, welchem, wie es schien in wichtigen Missionen, selbst zu den ungewohntesten Stunden in den Gemächern des hohen Herrn Eintritt gewährt wurde.

      Gräfin Vare war ebenso urplötzlich wie Heusch von Buchfeld von der grossen Schaubühne abgetreten. Man sagte, sie sei an heftiger Erkältung ganz urplötzlich erkrankt und müsse auf etliche Tage das Bett hüten. Keinerlei Besuch, selbst nicht die befreundetsten Damen wurden angenommen, ja man munkelte, dass sogar der Grossherzog, welcher gegen Abend im grauen Palais vorgesprochen, sehr erregt und unverrichteter Sache zurückgefahren sei. — Die Krankheit der Gräfin war selbstverständlich fingiert, denn da es nicht an unermüdlichen Beobachtern fehlte, hatte man erforscht, dass auch hier der Kammerherr von Sellkow „im nächtlich schwarzen Mantel“ durch die kleine Gartenpforte seine Visiten abstattete. Als dritte Person in diesem so plötzlich bewölkten Dreigestirn musste Heusch von Buchfeld eine gewichtige Rolle spielen.

      Der Grossherzog hatte ihn an jenem ominiösen Vormittag mit allen Zeichen höchster Ungnade entlassen, Buchfeld selber war wie ein geisteskranker Mann nach seinem Zimmer geschritten, hatte sich eingeschlossen und war den ganzen Tag über nicht sichtbar gewesen. Gegen Abend musste sein Bursche einen Stoss Briefe zum „Einschreiben“ auf die Post besorgen. Für die Herren der Gesellschast war Buchfeld nicht zu sprechen, aber er empfing geheimnisvolle Besuche, mit welchen er sehr laut und heftig debattierte, zumeist in französischer Sprache. Zur Tafel erschien er nicht und war doch nicht krank. — Stubenarrest? Sein Bursche hatte sich voll Sorge geäussert: der Herr Hauptmann sähe erschrecklich aus, — wie einer, der schon acht Tage im Grabe gelegen. Von Schlaf sei keine Rede mehr, — ruhelos wandere er die ganze, lange Nacht durch sein Zimmer, oft auch sitze er stundenlang und starre finster vor sich nieder, — immer auf einen Fleck. — Was war da geschehen?

      Sicherlich ein häuslicher kleiner Zwist zwischen dem Grossherzog und seiner „heimlichen“ Gemahlin, und Buchfeld war die unschuldige oder schuldige Ursache daran. War es doch allgemein aufgefallen, in welch unbegreiflicher Weise die Legationsrätin den widerhaarigen Gesellen verwöhnte und auszeichnete, welch einen schier unfasslich kühnen Ton der junge Offizier in seinem Verkehr mit ihr anschlug.

      Sollte da doch noch ein kompromittierendes Geheimnis stecken, welches auf den Tod des jungen Dahlen Bezug hatte? Sollte die Gräfin zu weit gegangen sein? Sollte der junge, blondlockige Page eine zu grosse Rolle neben dem „armen, alten König“ gespielt haben?! — Vielleicht waren jetzt dem Grossherzog Enthüllungen gemacht, und sein zorniger Hass der Eifersucht überträgt sich auf den Bruder! Wieviel gab es da zu mutmassen, zu kombinieren und zu zischeln!! Die ganze Gesellschaft befand sich in fieberhafter Aufregung, und jedes, selbst das kleinste Gerücht vom Hofe wurde mit brennendem Interesse aufgegriffen. Die Neugierde flammte lichterloh, und das Publikum konnte es kaum noch erwarten, bis sich der Vorhang heben würde, um was zur Kritik zu bringen? Ein Lustspiel oder eine Tragödie?!

      Es war schon zu vorgerückter Abendstunde, als Max Christoph regungslos, wie aus Stein gemeisselt, in seinem Schreibsessel sass und auf die Thüre starrte, als könne er kraft seines Blickes diejenigen citieren, deren Erscheinen er erwartete. Er sah leichenhaft blass aus; die Augen lagen tief im Kopf, rotumrändert und etwas angeschwollen, wie bei einem Menschen, der matt und übernächtigt dem neuen Tag entgegen schaut.

      Kammerherr von Sellkow stand seitwärts an dem Fenster. Auch seine Züge zeigten eine ersichtliche Spannung, und bei jedem Geräusch hob er jählings das Haupt, als könne er seine Ungeduld kaum noch meistern.

      Kein Wort wird gewechselt.

      Endlich schlug die erlösende Stunde; die beiden sachverständigen Herren, welche ihr Gutachten über die Schriftprobe abgeben sollten, standen vor ihrem Fürsten.

      Max Christoph hatte sich erhoben; er stützte sich schwer auf den Diplomatentisch, die Füsse versagten ihm beinahe den Dienst. Sein Blick lag gross und brennend, wie in angstvollem Forschen auf den Mienen der Herren. Dieselben kündeten Gutes; er atmete tief auf.

      Und ebenso hob sich die Brust des Kammerherrn von Sellkow, als auch diese beiden Sachverständigen aus vollster Überzeugung und nach bestem Wissen bestätigten, dass die Schrift der Gräfin Vare — gefälscht sei, falls hier überhaupt angenommen werden solle, dass dieselbe aus der Feder der Legationsrätin stammen solle. Eine Ähnlichkeit der Schriftzüge sei vorhanden, aber die Abweichungen so plump und ins Auge fallend, dass man es ohne jeden Zweifel mit dem gröbsten Falsifikat zu thun habe.

      Diese beiden Herren waren durch Herrn Hauptmann Heusch von Buchseld veranlasst, ihr Gutachten abzugeben, und da dieselben Studiengenossen und zuverlässige Freunde des jungen Offiziers waren, so fiel ihr Urteil doppelt schwer in die Wagschale.

      Max Christoph dankte voll warmer und herzlichster Freude, und als die Überbringer dieser erlösenden Botschaft sich verabschiedet, stand er noch einen Augenblick wie in regungslosem! Nachschauen. Er atmete ein paarmal tief und stossweisse auf. „Sellkow!“ und dann tastete er schwindelnd nach einer Stütze. Der Kammerherr sprang zu und fing den Sinkenden in den Armen auf. — — —

      Der Grossherzog war an nervösem Fieber erkrankt. Als man ihn zu Bett gebracht, fühlte er sich etwas wohler und verlangte voll beinahe eigensinniger Energie noch eine dienstliche Angelegenheit zu erledigen. Man musste ihm nachgeben. Er befahl die augenblickliche Versetzung seines Adjutanten Heusch von Buchfeld nach einer der entferntesten kleinen Garnisonen. — In Ungnade! für immer und ewig rettungslos in Ungnade.

      Tags darauf war der Zustand des hohen Herrn Besorgnis erregend, die Krankheit schien sich schon längere Zeit vorbereitet zu haben und kam mit voller Heftigkeit zum Ausbruch. Es war eine Zeit voll hoher Aufregung für die Residenz.

      Als Aurel das Gutachten der beiden ihm völlig zuverlässigen Herren erhielt, rang es sich wie ein halberstickter, heiserer Schrei aus seiner Kehle. „Ihr lügt!“ schrie er auf, „Ihr müsst lügen, wenn es noch einen gerechten Gott im Himmel gibt! Wohlan denn — mögt ihr mich alle verlassen, mag die ganze Welt gegen mich sein, — ich glaube noch an eine Vergeltung, und ich werde mit Gottes Hilfe der Wahrheit dennoch zum Sieg verhelfen!“

      Die Nachricht von seiner Versetzung nahm er völlig gelassen, hocherhobenen Hauptes entgegen, die Wucht der Ungnade traf sein Haupt, — wird sie ihn zerschmettern?!

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