in leidenschaftlichster Liebesglut für einen anderen. Was war aber aller Purpur der Welt, gegen eine einzige Stunde in Aurels Arm! Sie gab ihn nicht auf, sie klammerte sich mit der wütenden Energie einer Verzweifelnden an die Hoffnung auf seine Liebe. Plötzlich diese ernsthafte Wandlung in dem Entschluss des Grossherzogs. Sie hielt in diesem Moment eine Wage in der Hand, darauf lag hier eine Krone und dort ein Herz. Was wählen? Nur jetzt keinen unbesonnenen Streich. Zeit gewonnen, alles gewonnen. „Ein wenig Wehren spornt das Begehren“ sagt ein altes Wahrwort. Wehren ist nicht abweisen, und Judith Vare will noch freie Hand behalten in diesem Spiel. Sie muss Zeit gewinnen, um zu überlegen, wie diese Situation am besten auszunutzen sei. Lässt sich beides vereinen, Herz und Krone? Die moderne Zeit ist ja so leichtsinnig, und das Blümlein der Treue wächst nur sehr selten noch neben der Myrte! Aber Aurel! wird er, der nüchterne, pflichtgetreue Pedant, sich jemals entwürdigen der Page einer jungen Königin zu sein? Lächerlich! Was weiss er, der Tugendspiegel, von Strickleiter und heimlicher Minne? Und doch ... sein geheimnisvolles Verschwenden ... seine eigenen Worte, „ich bin ein wüster Gesell“, sollte er doch vielleicht ...? Mit Blitzesschnelle wirbeln diese Gedanken durch ihr Hirn. Zeit gewinnen! erst ihrer Sache sicher sein und dann handeln!
Der Grossherzog neigt sich und hebt ihr tief herabgesunkenes Köpfchen. „Judith ...“ flüsterte er mit halb erstickter Stimme, „warum keine Antwort?!“
Da gleitet sie leis, leis wie ein Mondstrahl aus seinem Arm, an ihm nieder vor seine Füsse. Ihre Hände umschliessen bebend die seinen, sie presst die heissen, zuckenden Lippen darauf nieder.
„Der Himmel segne meinen allergnädigsten Herrn für diese Worte unaussprechlicher und unbegreiflicher Gnade! Sie waren Balsam auf mein wundes Herz und haben mich in stolzem Ehrgefühl wieder stark werden lassen in mir selber, diese Stunde war der Lohn für all die wankellose Liebe und Treue, welche ich stets im Herzen für Max Christoph gehegt!“ Ihre Stimme klang weich und zitternd, jetzt hob sie energisch das Haupt und lehnte es in den Nacken zurück. Ihre Augen brannten in den seinen. „Aber ich will mich dieser hohen Weihestunde auch wert zeigen! Wehe mir, wollte ich egoistisch und selbstsüchtig genug sein, mich als ewige Bürde an eine Hand zu ketten, welche mir in einer Aufwallung tiefsten Mitleids geboten wurde! Hat ein Vorwurf in meiner Stimme gelegen, Königliche Hoheit, so geschah es unbewusst, meine Seele glänzt in schattenloser Liebe und Dankbarkeit! Ich weiss, wie gross das Opfer ist, welches mir mein allergnädigster Herr in dieser Stunde bringen will, es ist gross, unfasslich und wunderbar gross! aber es ist nicht grösser und höher als mein Empfinden! Meine Ehre soll nicht erkauft werden mit einem Kronreif, die Welt soll nicht sagen können: Judith Vare hat nach Rang und Stellung gestrebt! sie soll meinen Egoismus nicht für grösser halten als meine Liebe! Nichts hat mir im Leben ferner gelegen als die Sucht nach fürstlichem Glanz, und darum bin ich auch jetzt bescheiden und demütig genug, eine Anwandlung der Grossmut nicht zu meinem Vorteil auszubeuten —“
„Judith, herrliches, selbstloses Weib! keine Grossmut, keine Aufopferung ...“
Sie sprang empor. Voll leidenschaftlicher Erregung hob sie wehrend die Hände. „Nun so ist’s eine momentane Selbsttäuschung, ein Gnadengeschenk, welches mit geblendeten Augen gereicht wird! Ich darf es nicht annehmen, will ich meines Herrn getreue Dienerin sein, denn ich weiss, es ist viel zu reich, viel zu verschwenderisch gegeben!“ Sie trat dicht vor ihn, sank abermals vor ihm ins Knie und faltete die Hände vor der Brust: „Nicht im Nehmen, sondern im Entsagen zeigt sich die volle und ganze Grösse der Liebe“, flüsterte sie mit fascinierendem Blick, „und ich liebe Sie viel zu innig und leidenschaftlich, als dass ich dieser treuen Hand zur Fessel werden möchte! Die Welt verurteilt mich als habgieriges Weib, das seine Hände nach dem Diadem ausstreckt, mag sie es! Ich danke Gott auf den Knien, dass er mir Gelegenheit gab, Ihnen, Königliche Hoheit, beweisen zu können, dass sie mir unrecht thut! Ich will nichts weiter sein als eine bescheidene kleine Blüte, die im Sonnenglanz der Gnade und Huld blühen darf, ein Edelweiss, rein und fleckenlos, und getreu bis in den Tod!“
Sie küsste abermals hastig seine Hände, mit heissen leidenschaftlichen Lippen. Die Worte, welche sie sprach, atmeten die vollste Entsagung, ihre Augen aber lockten und glühten und hielten nur um so fester, was der Mund von sich wies. Und ehe der hohe Herr entgegnen oder sie halten konnte, war sie empor gesprungen und entfloh lautlos und schnell wie ein Lichtstrahl dem Gemach des Grossherzogs.
Max Christoph folgte ihr ungestüm, das belebte Vorzimmer aber hielt ihn zurück. Und Gräfin Judith hatte sich nicht verrechnet. Glühte zuvor nur ein Funken der liebenden Sympathie in seinem Herzen, so loderten jetzt die hohen Flammen der Begeisterung und Leidenschaft darin.
Warum enteilte sie ihm? Gerade jetzt, wo seine Sehnsucht sie mit tausendfachen Rosenketten an sich fesseln möchte? Ein seltsames Gemisch von Entzücken, Unwillen und jauchzender Ungeduld erfüllte ihn. Aber es machte ihn auch nervös, und als der Name Heusch von Buchfelds vor seinem Ohr erklang, hob die Eifersucht doch wieder ihr schillernd Natterhaupt. Die Gräfin hatte gesagt, sie sei entschlossen den Hauptmann zu heiraten, wie nun, wenn sie in übertriebenem Edelmut einen unbesonnenen Schritt thäte?! Wehe ihr und ihm!
Noch nie zuvor ward ein Flügeladjutant so misstrauisch und ungnädig von seinem Fürsten empfangen, als Heusch von Buchfeld, welcher in dem nämlichen Augenblick sein Haupt in dem bekannt kurzen, militärischen Gruss vor Max Christoph neigte.
Gräfin Judith aber sauste mit flinken Rossen davon, direkten Wegs zu dem Bankhaus von Scheuner & Co. Dort wurde bei verschlossenen Thüren ein gar seltsames Geheimnis geschaffen; die Legationsrätin bezahlte im Auftrag einer hohen Persönlichkeit die Schulden des Hauptmann von Buchfeld. Diskretion Ehrensache! Selbst der Flügeladjutant in eigner Person darf nie erfahren, wer die Vermittlerin dieser aussergewöhnlichen Mission gewesen. Der alte Herr mit dem elegant gekräuselten weissen Henriquatre und den vielen Brillantringen ist berauscht von der silberglänzenden Feengestalt der Legationsrätin, welche ihm wie eine höhere Erscheinung durch die düsteren Geschäftsräume voranschwebt. Er verspricht und gelobt alles, was sie von ihm verlangt, geleitet sie unter zahllosen Komplimenten an den Wagen zurück und sitzt noch eine lange Zeit nachdenklich vor seinem Pult, „die Welt hat recht, Gräfin Vare ist ein eigenartiges Wesen, und Max Christoph, falls Frau Fama wahr erzählt, ein beneidenswerter Mann!“ ...
XVI.
Schnell ist, was man erworben hat, zerronnen,
Die Ehre selbst! misslingt ein kühner Plan!
Tasso.
Ein einz’ger Augenblick kann alles umgestalten!
Wieland.
Der Flügeladjutant stand vor seinem Fürsten.
Max Christoph hatte ihn mit wenig freundlichem Blick kaum gestreist, als er durch kurze Geste seinen Gruss erwiderte. Er trat, seine innere Erregung und Missstimmung gegen Aurel zu bekämpfen, an eine der hohen Spiegelscheiben, schob den Store mit den darin eingestickten bunt seidenen Bouquets ungeduldig zur Seite und starrte in den Schneesturm hinaus. Seine schlanken Finger trommelten ein hastiges Tempo gegen das geschliffene Glas.
„Da wir heute weder dringliche, noch wichtige Angelegenheiten zu verhandeln haben, Hauptmann von Buchfeld, beurlaube ich Sie einstweilen, bis auf weiteres.“
Seine Stimme klang schroff und kurz, völlig anders wie sonst. Die Nerven des leidenden alten Herrn hatten öfters schon eine vorübergehend üble Laune veranlasst, darum legte Aurel kein sonderliches Gewicht auf diese Stimmung. Er trat einen Schritt näher, neigte abermals mit formellem Gruss das Haupt und wagte es, in dem Ton dienstlicher Meldung zu erwidern: „Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit. Eine Angelegenheit von ausserordentlicher Bedeutung ermutigt mich, um Erlaubnis zu bitten, dieselbe vortragen zu dürfen!“
„Ausserordentliche Bedeutung?“ Max Christoph zuckte, ohne sich umzuwenden, etwas ironisch die Schultern.
„Unter diesem Passepartout reist so manche Bagatelle. Ich bin heute nicht zu längeren Auseinandersetzungen aufgelegt. Deuten Sie mir kurz an, um welch eine Affaire es sich handelt.“
„Mein Bericht bezieht sich auf die ominösen und skandalösen Zeitungsartikel, welche eine Zeitlang die hiesigen Hof- und Staatsverhältnisse an den Pranger stellten,