deren Kunstgegenstände aus Bronze und Terrakotta von einem Kunstsinn zeugen, den man Afrikanern früher nie zugetraut hätte.
Vor den Toren von Ibadan erstreckt sich das großzügig angelegte Universitätsgebäude mit modernsten Lehrgebäuden und Studentenheimen, vor denen selbst wir Europäer staunend stehenbleiben und uns fragen müssen: ist dies alles noch Afrika? Welch ein Gegensatz zwischen Ibadan, der afrikanischsten Stadt, die ich je gesehen habe, und dieser amerikanisch anmutenden Universität!
Gewiß, eine Universität für die 36 Millionen Einwohner von Nigeria reicht nicht hin und nicht her, aber der Anfang ist gemacht, und ist nicht allein das schon lobenswert?
In der Dunkelheit fuhren wir wieder wie der Blitz in Richtung Süden nach Lagos. Hatte mein Begleiter auf der Hinfahrt vor jeder Kurve einige Male gehupt, so blinkte er jetzt warnend mit den Scheinwerfern. Die meisten Wagen, die uns begegneten, blendeten nicht ab – weil sie es gar nicht können. Aber wir erreichten trotz allem Lagos mit heiler Haut.
Abschied vom „Lagos Yacht Club“
Im Yachtclub fragte mich eines der Mitglieder: „Nun, was halten Sie von Lagos?“
„Well, viele freundliche Menschen und viele bissige Moskitos in einer sehr kontrastreichen Stadt.“
Der Brite lachte, ohne auf meine nichtssagende Antwort einzugehen: „Wir Briten verstehen uns nur auf drei Dinge: den Afrikanern reines Wasser zu geben, religiös tolerant zu sein und gute Schulen zu bauen.“
Von den Franzosen bin ich mehrfach gefragt worden, wer denn nun die bessere Kolonialpolitik treibe, sie oder die Engländer?
Beide Länder haben viel zu viele Kolonien besessen, als daß sie allen die notwendige Fürsorge hätten angedeihen lassen können. Vereinzelt haben beide Hervorragendes geleistet; Westafrika ist im allgemeinen von beiden vernachlässigt worden, wenn sie auch sein Gold und seine Diamanten geschätzt haben. Von einer „besseren“ Kolonialpolitik kann man kaum reden, höchstens von einer andersartigen.
Nachdem ich noch den Kompaß im Hafen kompensiert2 hatte, rüstete sich die LIBERIA IV, deren Umsteueranlage inzwischen wieder lief, zur Abfahrt. Es ließ sich nicht vermeiden, daß ich ein großes Geleit von Booten des Yachtclubs erhielt, als ich durch die Lagune und den Kanal dem Meer entgegenkreuzte. Das letzte Boot, das mich in der Dämmerung und im Nebel verließ, gehörte dem Clubsekretär Roy Fluellen, bei dem ich so häufig an der „Marina“, der Hauptstraße von Lagos, zu Gast war.
Immer noch herrschte nebliges Harmattanwetter. Nicht einen einzigen klaren Tag hatte ich in Lagos erlebt; die Sonne hatte stets einen ausgeprägten Ring um sich herum gehabt. So schlimm sei der Harmattan bisher noch nie gewesen, war mir von Seeleuten und Landratten versichert worden. Tags zuvor war gerade ein Dampfer gegen die Mole der EIder Dempster Lines gerannt. Die Einheimischen sehen diesen Guineaharmattan gern, denn er bringt kühlere oder trockenere Luft aus dem Norden, vor allem nachts. Dafür nehmen sie die feine Staubschicht aus der Sahara, die in ihre Häuser dringt, schon in Kauf.
Auf dem Meer war die Sicht zuweilen bis auf eine halbe Seemeile beschränkt. Weil sich hier außerdem die Strömung völlig unberechenbar verhält, kommt es häufiger zu Schiffsunglücken, als sich bei dem sonst so ruhigen Wetter vermuten läßt. Der Kapitän der „Atlantik“ hatte mir erzählt, er sei mit der Strömung nach Kamerun gefahren und 14 Tage später wiederum mit der Strömung zurück nach Lagos gekommen!
In dieser Ecke, dem Golf von Biafra, treffen der Guineastrom und der kalte Benguelastrom aufeinander. Ihr Zusammentreffen ist heute so, aber morgen bestimmt anders. Es gibt keine Strömungsgesetze in diesem Winkel. es sei denn, das Gesetz des Zufalls. Um so mehr mußte ich mich auf eine genaue Navigation konzentrieren, um mein neues Ziel, den Hafen Santa Isabel auf Fernando Póo, zu erreichen.
1 Schiff mit zwei Bootskörpern.
2 Ausgleichen von ablenkenden magnetischen Kräften, die vom Schiffskörper ausgehen, durch Anbringen von kleinen Magneten in der Nähe des Kompasses.
SIEBENTES KAPITEL
IM EINBAUM ZU ALBERT SCHWEITZER
Vor dem Nigerdelta, weit draußen im Meer, schaukelte eine Schar von Eingeborenenbooten, die auf Fischfang ausgezogen waren. In einem dieser Boote glaubte ich plötzlich einen Weißen zu sehen. Das überraschte mich so, daß ich auf den Einbaum zuhielt.
Erst als ich unmittelbar neben ihm lag, merkte ich, daß der Fischer kein Weißer war, sondern ein afrikanischer „Weißer“, ein Albino, der sich die Haare schwarz gefärbt hatte. Albinos sind besonders sonnenempfindlich; auch dieser hatte sich im Gegensatz zu seinen Kollegen sorgfältig gegen Strahlen geschützt.
Es ist wenig bekannt, daß es auch „rote Neger“ gibt, in deren Stammbaum sich jedom kein weißer Seemann verewigt hat. Haut und Haare sind bei ihnen so rot wie bei den Albinos weiß. Beide bekommen wieder smwarzc Kinder, doch trifft man in der Familie des roten Negers auch rote Verwandte an.
Neben diesen beiden Gruppen gibt es noch Afrikaner, die zwar eine schwarze Haut, aber rote oder auch ebenso glatte und feine Haare besitzen wie Europäer. Bei ihnen spielen jedoch meist Blutbeimischungen aus hamitischen Stämmen eine Rolle.
Blutrausch im Regenwald
Tagelang segelte ich an dem riesigen Nigerdelta mit seinem Fluß- und Inselgewirr entlang, das einst Sklavenhändlern wie Sklaven ideale Verstecke bot. Noch vor 80 Jahren nahmen in dieser Gegend spanische und portugiesische Sklavenschiffe ihre schwarze Fracht auf und machten sich dann so schnell wie möglich aus dem Staube, weil englische, amerikanische und französische Fregatten und Korvetten hinter ihnen her waren.
Gewiß, die Sklavenjäger haben dem Lande entsetzlich geschadet – aber wurden ihre Grausamkeiten nicht noch übertroffen durch die Massenschlachtungen, die der Herrscher von Benin ungefähr zur gleichen Zeit im Hinterland des Nigerdeltas an seinen eigenen Untertanen vornehmen ließ? Oder durch die Mordgier des Königs von Dahomey und seiner blutrünstigen Amazonentruppe? Dieser Unmensch ließ noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts Tausende und Abertausende von Menschen schlachten oder einem Fetisch opfern und fand persönliches Vergnügen daran, immer neue, raffiniert ausgetüftelte Varianten des Mordens zu ersinnen.
Nach zwei Tagen Fahrt kam das Leuchtfeuer auf Kap Formoso in Sicht. Es liegt etwa in der Mitte der 450 Seemeilen langen Strecke zwischen Lagos und Santa Isabel, der Hauptstadt der spanischen Insel Fernando Póo. Obwohl ich in der belebten Dampferstraße segelte, konnte ich weder tags noch nachts ein Schiff ausmachen – der Harmattan umgab mich wie eine ditke Watteschicht und raubte mir jegliche Sicht. So hieß es doppelt aufpassen.
Nach weiteren zwei Tagen schretkten mich um vier Uhr morgens laute Brandungsgeräusche auf, ich suchte verzweifelt, die Dunkelheit mit meinen Blitken zu durchdringen, doch es war nichts zu erkennen, gar nichts. Erst im Morgengrauen machte ich im Harmattan und Dunst den dunklen Schatten des Kap Europa an der Nordwestetke von Fernando Póo aus; laut Handbuch wirft dort ein Leuchtturm sein Feuer über 20 Seemeilen weit in die Nacht. Aber bei diesem mörderischen Guinea-Nebel hatte ich nachts kaum meine Hand vor den Augen sehen können, geschweige denn den Lichtfinger des Leuchtturms!
Im Meer hatte ich inzwischen zahlreiche Kokosnüsse entdetkt, die vom Steilufer ins Wasser gefallen waren. Mit dem Ketscher fischte ich mir ein paar davon aus dem Wasser; sie waren alle noch frisch! Kokosnüsse können sich im Meer bis zu einem Jahr keimfähig halten – bis sie auf ein einsames, ödes Inselchen getrieben und zu Ahnherren eines neuen Kokosnußhaines werden.
Einige Stunden später rasselte der Anker in dem halbkreisfönnigen Krater, der den Hafen von Santa Isabel bildet, in die Tiefe. Neben mir lag ein Thunfischfischer aus Bilbao, weiter im Osten dümpelten sampaähnliche Schmugglereinbäume, die aus dem Nigerdelta kamen, um auf Fernando P60 billig Tabak und Alkohol einzuhandeln, den sie im britischen Gebiet weiterverkaufen.
Fernando P60 ist nur 17 Seemeilen vom Festland entfernt.