Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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gesehen haben soll. Jedoch der Nebel verhinderte jede Fernsicht.

      Die drei anderen Inseln in der Bucht von Biafra, der äußersten Ostecke des Golfes von Guinea, sind Principe, São Tomé und AnnobÖn. Sie erstrecken sich wie Fernando P60 mit den Festlandsgebirgen, den Kamerunbergen und den Baluebergen, in einer Richtung: von Nordosten nach Südwesten. In prähistorischen Zeiten waren alle Vulkane dieser Gebirgskette aktiv. Heute rumort es nur noch in Kamerun, die anderen Vulkane sind kalt, ihre Krater haben sich mit Wasser gefüllt und bilden paradiesische Seen, die nur den einen Nachteil haben: sie liegen so abseits von aller Welt, daß kaum jemand den Weg zu ihnen findet.

      Alle Inseln waren früher einmal in portugiesischem Besitz. Später sind Fernando P60 und das Inselchen Annobon im Austausch für südamerikanische Gebiete an Spanien gefallen. England wollte den Spaniern Fernando Pbo streitig machen und bot ihnen als Entschädigung eine karibische Insel an, die – ebenfalls zu Spanien gehörte! Kenner historischer Begebenheiten werden sich eines ähnlichen Falles erinnern: Helgoland und St. Croix …

      Die Urbevölkerung von Fernando P60 stammt V01.1 Festland, das sie wahrscheinlich auf der Flucht vor kriegerischen Stämmen verlassen hat. Man unterscheidet mehrere Stämme, die unter dem Sammelnamen „Bubi“ zusammengefaßt werden. Und diesen Bubis sagt man in allen Büchern nach, sie seien degeneriert. Mir schienen sie genauso intelligent zu sein wie die Spanier; es gibt unter ihnen sogar Akademiker, die „emanzipiert“ sind, die also die gleichen Rechte wie die Spanier besitzen.

      Fernando Pbo ist zum größten Teil für die Plantagenwirtschaft erschlossen. Fincas reihen sich an Fincas, Kakaobäume an Kaffeesträucher, Bananenstauden an Manilahanf – so daß der Laie das eine kaum vom anderen unterscheiden kann. Infolge dieser intensiven Plantagenwirtschaft braucht die Insel stets dringend Arbeitskräfte, koste es sie, was es wolle.

      Von den liberianischen Arbeitssklaven hört und sieht man nichts mehr. Nur von einem erzählte man mir: er hatte sich eine Farm gekauft und war inzwischen so reich geworden, daß er seine Kinder in Madrid zur Schule schicken konnte. Das Los der Afrikaner ist im Vergleich zu dem der Landarbeiter auf der Iberischen Halbinsel nicht schlecht.

      Im Süden der Insel, an der schönen Bucht von San Carlos, traf ich eine deutsche Dame, die sich seit dem letzten Kriege auf Fernando Pöo eine größere Faktorei aufgebaut hat. Als ich mich vorstellen wollte, fiel sie mir ins Wort: „Halt! Ich kenne Sie! Keinen Namen sagen!“

      Ich war rasiert und trug unauffällige Kleidung und fühlte mich somit völlig „inkognito“. In jedem Hafen war ich auf Leute gestoßen, die zumindest von dem Arzt gehört hatten, der mit Hilfe der Hypnose in einem Faltboot den Atlantik überquert hatte. Aber diese Dame argumentierte anders: „Sie riechen nach Meer … Sie kommen aus Hamburg und haben La Corufia passiert!“

      Des Rätsels Lösung: ein halbes Jahr zuvor, in La Corufia, hatte ein Herr aus Fernando P60 meine Eintragung in das Gastbuch des Yachtclubs – darunter meine geplante Reiseroute – gelesen und flugs seine Inselfreunde benachrichtigt. So war ich schon lange vorangemeldet. Kein Mensch kann heutzutage mehr inkognito reisen …

      In Santa Isabel kam ich gerade zu einem Ereignis zurecht, das man seit Monaten mit Sehnsucht erwartet hatte: zum ersten Mal in der Geschichte der Insel fand ein Stierkampf statt.

      Die Toreros waren eigens zu diesem Zwecke aus Spanien angereist. Schwarz und Weiß begrüßen sie voller Jubel. Die Begeisterung der Zuschauer war so groß, daß sie auf die Mangobäume kletterten, um besser sehen zu können. Sie krachten dann auch mitten in der Corrida mit Geschrei zu Boden, und einige von ihnen mußten mit gebrochenen Knochen ins Krankenhaus abtransportiert werden.

      Kampf der Tsetsefliege

      Im tiefsten und dicksten Harmattan mußte ich Abschied nehmen von Fernando P60, dieser sauberen, betriebsamen und rührigen Vulkaninsel. Zentimeter um Zentimeter bolzte sich die LIBERIA IV gegen Wind und Strömung nach Südsüdosten vor, und erst am vierten Tag einer überaus mühseligen Fahrt lief sie spät abends in die Bucht von Santo Antonio auf Principe ein. Da ich mich noch relativ frisch fühlte und wie bei allen Landungen auf unbekannten Inseln voller Erwartung, Freude und Neugier war, pullte ich den Lichtern am Ufer zu.

      An der kleinen Mole machte man nicht schlecht Augen, als ich plötzlich aus der Dunkelheit des Meeres auftauchte. Ich erklärte den Afrikanern, die dort angelten, daß ich mich viel mehr nach einem kalten Bier als nach einem Hafenkommandanten sehnte, der mich durch die Knetmühle der Bürokratie drehen wollte. Aber die Fischer wußten, was sich in einem ordentlichen Gemeinwesen gehörte. Sie nahmen mich in Schlepptau und ruhten nicht eher, bis wir nach langem Suchen endlich den Hafenkommandanten trafen: er ging im Mondschein zu zweit spazieren. Natürlich behagte ihm die Störung wenig, und er meinte brummend, ich sei wohl bei der Polizei besser aufgehoben.

      So landete ich denn um Mitternacht bei der Polizei von Santo Antonio, die jedoch im Gegensatz zum Kommandanten hocherfreut über die Abwechslung war und mir sogleich brühwarm den ganzen Inselklatsch auftischte. Aber mir war immer noch nach einem kalten Bier zumute, und in den frühen Morgenstunden durfte ich es dann endlich unter den Augen der halben Insel in die ausgedörrte Kehle gießen.

      Am nächsten Morgen verholte ich mein Boot näher an die Mole. Über mir kreischten und pfiffen Scharen von afrikanischen Graupapageien mit roten Schwänzen, lustige Brüder, die ihre Fröhlichkeit und ihren Optimismus erst in der Gefangenschaft verlieren. Dann aber werden sie zuweilen so melancholisch, daß sie sogar zum Eierlegen keine Lust mehr haben und sich total nackt rupfen.

      Principe mit der Santo Antonio-Bucht gleicht einer Südseeinsel. Afrikanisch sind allein das Regenwaldklima und die Krankheiten: Malaria, Filariasis, der übliche „Tropenwurmcocktail“ etc. Eine typisch afrikanische Krankheit versuchte man gerade auszurotten: die Schlafkrankheit. An Wegesrändern, in der Nähe von Hütten und unter Kokospalmen sah ich dunkle Kästen – Fallen, in denen die Tsetsefliege, die Oberträgerin dieser Krankheit, gefangen werden sollte.

      Über 5000 dieser Fliegenfallen waren auf der 120 qkm großen Insel aufgestellt und lockten seltsamerweise durch ihre schwarze Farbe die Tsetsefliege tatsächlich an. Ferner wurden alle Hunde, die besonders anfällig für Trypanosomiasis sind, getötet, und Schweine und andere Tiere sorgfältig auf Trypanosomen, die Erreger der Schlafkrankheit, untersucht.

      Wie wichtig diese für die einfache Bevölkerung unverständlichen Maßnahmen sind – die Hunde sind auf der Insel ebenso heilig wie in Indien die Kühe –, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: mehrfach hat die Schlafkrankheit die Inselbevölkerung dezimiert; einmal sind ihr von 1500 Einwohnern alle bis auf 300 Menschen zum Opfer gefallen.

      Heute hat man schon seit vielen Monaten keine Tsetsefliege mehr auf der Insel gesehen.

      Lukull auf Principe

      Mit meinem Inselkollegen besuchte ich zwei Plantagen, in denen wie auf Fernando Pbo zu Füßen gewaltiger Urwaldriesen Kakao und Kaffee wachsen. Jede Pflanzung besitzt ihr eigenes Krankenhaus, das von dem Inseldoktor wöchentlich einmal besucht wird.

      Diese großen Spitäler für kleine Farmen stammen aus einer Zeit, da Malaria und Schlafkrankheit noch ungestraft im Lande wüten konnten. Heute sind die Krankensäle fast leer, aber die alten Gesetze, denen sie ihre Existenz verdanken, sind noch immer gültig.

      Am Abend war ich auf der größten Plantage der Insel zu Gast. Ihr Verwalter, ein begeisterter Wassersportler, war bald mit mir in Fachsimpeleien über die besten Fangmethoden für Goldmakrelen und Thunfische vertieft, als ein wahrhaft lukullisches Festessen mit etwa 40 verschiedenen Speisen aufgetischt wurde. Auf jeder Seite der Tafel stand ein Braten: ein Truthahn, ein Spanferkel, eine Gans und eine junge Ziege, in der Mitte lockten Fischspeisen, darunter das portugiesische Nationalgericht, der Stockfisch, und den Rest des Tisches nahmen Salate aller Art, von Palmspitzen bis zu Bambussprößlingen, Kuchen, Plätzchen und die berühmten portugiesischen Süßigkeiten „Engelsbrüste“ und „Nonnenbäuche“ ein. Man ließ sich wirklich nicht lumpen, und nach der mageren Seemannskost, die ich gewohnt war, stiegen diese Genüsse natürlich für mich noch beträchtlich in ihrem Wert.