Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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waren mit Bananen, Pferdebananen und in Bananenblätter gewickelten, gekochtem Cassava auf dem Wege zum Markt in Port Gentil. Drei Tage hatten sie sich schon um Hilfe bemüht, 23 Boote waren an ihnen vorbeigefahren, ohne gehalten zu haben, berichteten sie. Seit 72 Stunden hockte dieses Quartett im Boot oder auf den knorrigen Mangrovenwurzeln am sumpfigen Uferrand – ohne zu klagen, ohne zu verzweifeln!

      Am Abend hielten wir vor einer Hütte, deren Bewohner damit beschäftigt waren, Bastmatten zu flechten und Fische zu rösten, die sie am Tage gefangen hatten. Ich fragte den Ältesten, ob er Dr. Schweitzer kenne.

      „Chézère, le grand docteur, natürlich kenne ich den! Ein feiner Mensch, nur bezahlt er meine Fische so schlecht!“

      „C’est vrai-o“, bestätigte Benoir im Eingeborenentonfall. Er kaufte ein paar Filets für seine Freunde in Lambarene, dann hängten wir eine Laterne an den Bug und tuckerten weiter.

      Der Mond verschwand hinter einer drohenden, geballten Wolkenmasse, aus der es donnerte und blitzte. Vor uns tauchten zwei Lichter auf. Während die ersten Windstöße über das Wasser jagten und das Unwetter sich jeden Augenblick entladen konnte, landeten wir bei zwei Hütten und verankerten das Boot. Kaum hatten wir unsere Sachen in einer der Hütten verstaut, als auch schon der westafrikanische Tornado über uns losbrach. Wassergeschosse prasselten herab, der Sturm zerrte an der Palmenhütte, als wolle er sie ihrer Blätterbekleidung berauben. Bei jedem Blitz zuckten die Schwarzen angstvoll zusammen, und zwischen den Donnerschlägen versuchten sie, sich gegenseitig Mut zu machen; jedoch das Zittern und Flackern in ihren Augen verriet, wie kümmerlich ihr Galgenhumor war.

      Nach fünfzehn Minuten höllischen Tobens, bei dem man glaubte, die Welt ginge unter, erinnerte nichts mehr an das Unwetter als schwere Regentropfen, die von der Decke auf uns herabfielen. Ich verkroch mich unter meinen Regenmantel und versuchte zu schlafen. Da aber kamen die Herrscher Gabons: die Insekten. Erst summten sie noch mit gebührendem Abstand, dann jedoch umbrausten sie mit „Stuka“-Geräusch unsere Ohren, und das bringt selbst todmüde Schwarze in wütenden Zorn. Alle Augenblicke klatschte es um mich herum, jemand kratzte sich geräuschvoll, und in der Ecke stieß einer Verwünschungen aus.

      „Das ist zu viel, M’sieur. Laß uns gehen!“ sagte verzweifelt der Lotse. Wenig später sausten wir davon, ohne geschlafen zu haben. Der Mond glitzerte auf dem trägen Fluß und ließ ihn wie einen Spiegel aufleuchten. Zu beiden Seiten erkannte ich dunkel und verschwommen die Konturen des Ufers.

      Plötzlich war ich hellwach: „Stop!“ schrie ich. Aber da waren wir schon im Schilf; der Lotse hatte geschlafen. Bei einem Einbaum ist das jedoch kein großes Unglück, und so stakten wir uns mühsam aber erfolgreich aus dem flachen Wasser heraus und fuhren weiter.

      Am nächsten Morgen brausten wir an drei Krokodilen vorbei, die wie Treibholz träge und unbeweglich auf einer Sandbank lagen und bei dem Geknatter keine Miene verzogen. Am frühen Nachmittag endlich kamen die ersten Gebäude von Lambarene in Sicht; Häuser und Faktoreien, wie sie überall in Westafrika zu finden sind. Am Steilufer reihten sich Einbäume und Boote aller Art so dicht aneinander wie bei uns die Autos auf den Parkplätzen. In der Ferne leuchteten rote Dächer aus einem Meer von Palmen. „Voila, M’sieur, das Albert-Schweitzer-Hospital!“ rief Benoir.

      Wallfahrtsort Lambarene

      Das berühmte Hospital liegt zwei Kilometer von Lambarene-Ort entfernt an einem kleinen Arm des Ogowe. Etwa 20 Einbäume ankerten am Ufer; sie waren an den Kokospalmen vertäut oder mit einem Stein als Anker mit dem lehmigen Uferboden verbunden. Die Reste eines alten Landungssteges ließen sich noch erkennen.

      Ich ging die 200 Meter vom Ufer zu den alten Gebäuden, in denen Schweitzer praktiziert, und dann kam der Augenblick, in dem ich den großen alten Mann von Lambarene persönlich kennenlernen durfte.

      „Ah, grüß Gott, wir hatten Sie schon längst aufgegeben“, freute sich Schweitzer, als ich mich vorstellte, „wie sind Sie denn nur hergekommen?“ Ich schilderte ihm meine Fahrt im Einbaum, und Schweitzer war erstaunt – vor allem darüber, daß ich mein Boot mutterseelenallein in Port Gentil gelassen hatte. „Wenn es gestohlen wird, stelle ich Ihnen zur Weiterfahrt eine meiner Pirogen zur Verfügung“, lämelte er. „Aber zunämst bleiben Sie hoffentlich eine Weile da.“

      Ick überbramte Smweitzer Grüße von Bekannten. Andre Lantz hatte mir auch etwas für das Spital mitgegeben: eine 100-Liter-Tonne voll reinen Alkohols, den er Schweitzer vor kurzem bei seinem Besum in Lambarene versprochen hatte. Schweitzer war freudig überrascht, konnte sich aber an das Versprechen nicht mehr erinnern und erkundigte sich mehrmals eingehend nach Einzelheiten. Später nahm er mich in sein Allerheiligstes, sein Arbeitszimmer, um sich peinlim genau Adresse und Geschenk zu notieren.

      Schwester Maria, eine Holländerin, führte mich zur Europäerbaracke, die angenehm kühl im Schatten von ölpalmen liegt. Drinnen gibt es kein elektrisches Licht, kein fließendes Wasser, kein verschwiegenes örtchen. Aber Moskitonetze sind vor den Fenstern, und sauber ist es auch. Eine kleine ältliche Holländerin brachte mir Bettwäsme und Handtücher, ein Boy bezog das Bett. Aus der Küche bekam ich einen Nachmittagsimbiß.

      Alle Gebäude des Spitals sind etwa drei Jahrzehnte alt; das bedeutet bei der raschen Entwicklung in den Tropen: sie sind altmodisch, sie sind unbequem und spartanisch einfach. Dem Behandlungsraum gegenüber liegt eine Baracke mit männlichen Patienten; alle Türen waren weit geöffnet, Angehörige der Kranken kamen und gingen, Frauen unterhielten ein Feuer und bereiteten Essen vor. Der Rauch stieg träge in die Höhe und verbreitete afrikanischen Geruch. Hühner gackerten herum, Enten watschelten einher, Ziegen liefen in alle Richtungen, manchmal sprangen sie in Kisten, in denen Futter für sie bereitgestellt war.

      Es herrscht afrikanisches Leben dort, afrikanische Hygiene, Umständlichkeit, Lässigkeit. Keiner der Afrikaner hatte es eilig, nur Schweitzer und seine europäischen Mitarbeiter arbeiteten unaufhörlich.

      Albert Schweitzer hat – soviel ich weiß – als einziger europäischer Arzt in Afrika versucht, die Tore seines Hospitals vor der afrikanischen Lebensweise nicht zu verschließen. Als wir anderntags durch das Gelände seines Spitals streiften, als wir an Hunden, Rehen, Papageien und Wildschweinen vorbeikamen, hielt er plötzlich inne: „Sehen Sie, ist das nicht alles völlig natürlich hier? Ist das nicht echtes Afrika?“

      Ja, das war das alte Afrika, das Schweitzer an diesem Ort bewußt konservierte, das Afrika, das er hier bei seiner Rückkehr nach dem Ersten Weltkrieg vorfand und behüten wollte vor dem Fluch einer unverstandenen modernen Zivilisation und Technik.

      Schweitzer hat aus diesem Grunde jede Modernisierung seines Hospitals abgelehnt, obwohl ihm von verschiedenen Seiten die modernsten und besten Hilfsmittel angeboten wurden. Ganz leicht ist ihm diese Ablehnung manchmal sicher nicht gefallen, und häufig ist sie scharf kritisiert worden, vor allem von den Afrikanern selbst.

      Le grand docteur

      Schweitzers Bücher und Appelle sind in viele, viele Sprachen übersetzt worden. Seinen Ruf vernahm man überall, nur die intellektuellen Afrikaner hörten ihn nicht. überraschend wenige Afrikaner außerhalb von Gabon kennen sein Werk. Die wenigen, mit denen man darüber sprechen kann, bemängeln, daß Albert Schweitzer den Schwarzen „nur“ hilft, anstatt sie zu erziehen, zu belehren oder zu schulen.

      Aber der einsamen Pioniertat dieses großen Mannes kann Afrika nur gerecht werden, wenn es nicht vergißt, daß Schweitzer als Arzt zu ihm kam, nicht als Missionar. Im Gegensatz zu den Missionen hatte er sich nicht die Erziehung und Ausbildung der Afrikaner zur Aufgabe gesetzt, sondern lediglich die Heilung ihrer Kranken.

      Lediglich? Man darf heute nicht verkennen, wie groß und schwer allein diese Aufgabe in den Anfängen war, in einer Zeit, da Afrika noch der unerforschte, von Krankheiten verseuchte Kontinent war, der dringend medizinischer Hilfe bedurfte und opferbereiter, selbstloser Menschen.

      Am nächsten Morgen machte ich eine staunenswerte Beobachtung. Albert Schweitzer beaufsichtigte eine Arbeit, die kaum in den medizinischen Bereich gehört: er ließ einen seiner Einbäume aus dem Wasser ziehen und an Land schleppen. Auf Holzrollen