Hannes Lindemann

Maritime E-Bibliothek: Sammelband Abenteuer und Segeln


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das weitere Brutgeschäft. In seiner Bauchtasche werden die Eier befruchtet, und nach etwa zehn Tagen schlüpfen unter krampfartigen Wehen des Männchens kleine Seepferdchen aus.

      Berühmt ist die hoheitsvolle Haltung des Seepferdchens, die es selbst im Schlafe beibehält – im Gegensatz zu anderen Hoheiten. Ihren Schwanz benützen die Tiere wie südamerikanische Affen zum Festhalten an Tang oder Gras. Dennoch ist das Seepferdchen ein Fisch; wenn man es gewaltsam in die Länge zieht, sieht es aus wie sein nächster Verwandter, die Seenadel, deren Männchen ebenfalls die Nachkommenschaft ausbrütet; das Seepferdchen ist also eine buckelige Seenadel.

      Getrocknete Seepferdchen sind zuweilen sogar von „medizinischem“ Interesse; sie werden gemahlen und in den Chinesenvierteln großer Städte verkauft – als Aphrodisiakum. Natürlich nur an Leute, die auch daran glauben, sonst bleibt der Erfolg aus.

      Von Flaschen und Flaschenpost

      In der schwach bewegten See entdeckten wir eine Flasche, die wir nach kurzem Manövrieren hoffnungsvoll an Bord holten. Aber es war eine „blinde“ Flasche, es steckte keine Nachricht darin. Auf meiner Faltbootfahrt über den Ozean habe ich vier Flaschen gefunden – in keiner war irgendeine Nachricht verborgen.

      Das französische Forschungsinstitut für Seefahrt und Meereskunde besitzt ein eigenes Flaschenpost-Museum. Einzigartige Schicksale verzeichnen diese Zettel. Die Papierfetzen, Leder- und Holzstücke, die dort zur Schau gestellt sind, geben meist tragische Nachricht vom Kampf und von den Hoffnungen verunglückter Seeleute.

      Ausgerechnet aus dem Magen eines vor den Azoren gefangenen Hais holte man die letzte Nachricht der bei den französischen Flieger Coli und Nungesser, die auf ihrem Ost-West-Flug über den Atlantik verunglückten und ihr letztes Lebenszeichen einer Flasche anvertrauten.

      Von den seltsamen Wegen der Flaschenpost berichtet auch ein Vorfall aus Japan: 1784 fuhr ein japanisches Schiff auf Schatz- und Perlensuche in den Pazifik. Bevor es sein Ziel, eine kleine Insel, erreichen konnte, geriet es in einen Taifun, der es leck schlug. Die 45 Mann der Besatzung retteten sich auf ein ödes und kahles Koralleneiland, doch einer nach dem anderen starb den Dursttod. Ehe das Schicksal aber nach Matsuyama aus Honshui griff, hatte er das tragische Los seines Bootes auf ein Stück Holz geritzt, das er in eine Flasche steckte, sie wasserdicht verschloß und unter Aufbietung seiner letzten Kraft ins Meer beförderte. 150 Jahre später wurde eine verschlossene Flasche am Strande von Honshui aufgelesen und geöffnet; sie enthielt die unversehrt gebliebene Nachricht Matsuyamas …

      Nicht immer haben Flaschenpostschicksale ein schlimmes Ende. 1950 fand ein russischer Fischer in der Arktis eine Flaschenpost, deren Botschaft in Murmansk entziffert wurde: „Fünf Ponys und 150 Hunde leben noch. Erbitte Heu, Fische und 30 Schlitten. Muß frühzeitig im August Heimweg antreten. Baldwin.“

      Der Polarforscher Evelyn Baldwin hatte 1902 für verschollen gegolten, er konnte sich jedoch mit seinen Männern durchschlagen. Als der Fischer 48 Jahre später seinen Hilferuf fand, war Baldwin längst gestorben – im Bett.

      Noch heute werden Flaschenpostnachrichten dem Meer übergeben, und zwar systematisch vom Hydrographischen Institut in Washington. Obschon man modernere Meßmethoden für Strömungen kennt, will man auf die Flaschenpost nicht ganz verzichten. Die Flaschen werden an bestimmten Stellen ins Meer geworfen; sie enthalten in mehreren Sprachen die Bitte, der Finder möge den in ihnen steckenden Zettel mit genauer Angabe des Fundortes und Datums an eine angegebene Adresse zurücksenden.

      Flaschenpostbriefe haben riesige Strecken zurückgelegt, nicht selten von einem Kontinent zum andern. Eine Flaschenpost hat sogar in südlichen Breiten die Welt umsegelt, in knapp sieben Jahren. Doch immer seltener werden Segler, Fischer und Strandbummler eine Flaschenpost finden, denn im Zeitalter der Technik verläßt man sich mehr auf Funk, Radio und Radar als auf eine Flasche, die vielleicht einmal von den Enkelkindern des Absenders gefunden wird.

      Auf Bäumen wachsen Vögel

      An der Flasche, die wir aus dem Meer zogen, klebten vier kleine, zarte Entenmuscheln, die bestgehaßten blinden Passagiere der Segler. Im Jugendstadium heften sie sich an Treibholz und Schiffe, zuweilen auch an Schildkröten, Wale und sogar Fische, um sich auf diese Weise eine kostenlose Passage in alle Winkel der Weltmeere zu sichern. Manchmal wachsen sie zu richtigen „Wäldern“ heran, zu Wäldern, die auf dem Kopf stehen und ihre gefiederten Füße wie belaubte Zweige in die Tiefen des Meeres strecken.

      Auch unter meinem Einbaum und unter dem Faltboot hatten sich diese unerwünschten Mieter eingemietet und die Geschwindigkeit der Boote herabgesetzt. Zum Ausgleich jedoch bildeten sie im Verein mit anderem pflanzlichen und zoologischen Getier einen kleinen privaten Unterwassergarten, der mir meinen knappen Lebensmittelvorrat strecken half. Hatte ich Appetit auf Entenmuscheln, „pflückte“ ich sie mir aus diesem Garten und verzehrte sie roh, die jüngeren Tiere sogar mitsamt der dünnen Kalkschaie, die sich leicht zerkauen läßt.

      In einigen Gegenden der Welt ißt man Entenmuscheln mit Genuß, und das nicht nur in mageren, sondern auch in guten Zeiten. In Südchile, zum Beispiel, wird eine Riesenart dieser Muscheln zu einer Suppe verwendet, deren Wohlgeschmack dem der französischen Bouillabaisse nicht nachsteht.

      Die Entenmuscheln durchlaufen eine Reihe eigenartiger Entwicklungsstadien. Daher hat es sehr lange gedauert, bis sie von der Wissenschaft klassifiziert werden konnten. Im Mittelalter glaubten die Gelehrten, sie wären Baumfrüchte, die sich zu Vögeln entwickelten, gelegentlich tot zur Erde fielen und gegessen werden könnten. Dann wieder vertrat man die Meinung, diese seltsamen Lebewesen entstünden aus Fichtenholz, das vom Meer auf den Strand getrieben wird; sie wären echte, kleine Sumpfgänse, suchten ihre Nahrung jedoch aus dem Holz.

      Das klingt absurd, doch warum sollte man nicht an diese Baumgänse glauben, wo man doch sogar davon überzeugt war, daß sich Vögel in Frösche verwandeln können?

      Entenmuscheln sehen in den einzelnen Stadien ihrer Entwicklung sehr verschieden aus. Zuweilen könnte man sie für Muschelkrebse halten, dann wieder für Schnecken. Als Larven haben sie das Aussehen von Garnelen; in diesem Stadium suchen sie sich ein „Grundstück“ und kleben darauf ihr Fundament. Sie besitzen zu diesem Zweck in ihren Fühlern besondere Drüsen, die einen Zement absondern, mit denen sie sich kopf-zsuerst an die gewünschte Baufläche – beispielsweise eine Schiffswand – anmauern. Versucht man sie später von der Schiffs wand abzureißen, löst man zugleich die Farbe mit ab, an der sie sich festgeschweißt haben. Im Magen von Hornfischen, den speziellen Feinden der Entenmuscheln, fand ich so viele giftige Farbreste, daß ich mich fragte, wie die Fische noch am Leben sein konnten.

      Doch zurück zu den Larven. Haben sie sich an dem gewünschten Bauplatz festgemauert, bauen sie sich ein Haus in Form zweier kalkhaltiger Schalen, in das sie sich bei Gefahr zurückziehen können. Ihr Hals beginnt nun in die Länge zu wachsen, ihre Augen bilden sich zurück, und ihre Füße werden zu gefiederten Fächern, mit deren Hilfe sie sich Wasser herbeifächeln, aus dem sie sich ihre Nahrung holen. Mit der Freiheit und Ungebundenheit ist es dann für immer vorbei; aus dem frei umherschwirrenden Planktontier ist ein seßhaftes Schalentier geworden, aus dem Meernomaden ein festgemauerter kopfstehender Rankenfüßler.

      „Que Puerto Rico!“

      Am frühen Nachmittag liefen wir in die Hafeneinfahrt von San Juan ein, an deren östlicher Seite sich das stärkste Fort, das die Spanier in Amerika gebaut haben, malerisch emporwuchtet.

      Als Kolumbus Puerto Rico auf seiner zweiten Fahrt entdeckte, nannte er es San Juan Bautista; jedoch später, als Ponce de Leon hier die erste Siedlung gründete, soll er beim Anblick dieser Bucht ausgerufen haben: „Que Puerto Rico!“ (welch vortrefflicher Hafen!). So wurden die Namen vertauscht. Seit dem Spanisch-amerikanischen Krieg 1899 ist Puerto Rico amerikanisch; seit 1953 erkennen die Vereinten Nationen das Commonwealth Puerto Rico als selbständig an; es regiert sich selbst, seine Bürger besitzen jedoch einen Paß der USA.

      Heute wohnen in New York viel mehr Portorikaner als in San Juan; es hat eine Massenabwanderung stattgefunden, die nicht nur den Amerikanern viel Kopfzerbrechen