Warum? Keiner hat je ein Kielboot unter Segel in Miami anlegen sehen. Für uns war’s ein stolzer Abschluß.
Meine dritte Fahrt war beendet. 14119 Seemeilen hatte die LIBERIA IV hinter sich gebracht, nahezu 10.000 Seemeilen davon waren Küstenfahrt mit all dem Arger, den eine solche Fahrt nun einmal mit sich bringt. Dreimal hatte ich den Atlantik überquert, dreimal hatte ich mit heiler Haut mein Ziel erreicht.
1 R. L. Trujillo fiel im Mai 1961 einem Attentat zum Opfer. Ciudad Trujillo heißt heute wieder Santo Domingo; das Land ist wieder eine Republik geworden.
ELFTES KAPITEL
DER LAIE FRAGT
Als wir schon eine Weile in Miami an der Pier lagen, fuhr eines Tages ein Ausflugsboot voller Touristen an uns vorbei. Der Reiseführer deutete auf die LIBERIA IV und sagte im Vortragston – als gehöre dieser Satz bereits zu seinem Repertoire: „And this is the boat that came all the way from Germany.“
Alle Köpfe drehten sich pflichtschuldigst nach rechts und wandten uns erstaunte Gesichter zu, und dann hörten wir die ungläubige Stimme einer Frau: „Dieses kleine Boot? Wie ist das möglich? Aha – sicher ist es von Insel zu Insel gesegelt!“
Der Reiseführer überlegte einen Augenblick: „Sicher“, meinte er dann beruhigt; im Boot erhob sich kein Widerspruch.
Ich war herzlich froh, daß ich die Dame nicht über die Inseln im Atlantik aufzuklären brauchte. Fragen dieser Art war ich allerdings gewöhnt; sie regneten nach jeder meiner drei Atlantiküberquerungen auf mich herab. Da fragte zum Beispiel jemand (und das war weitaus schlimmer), ob mich auf meinen Fahrten ein Schiff begleitet habe: zum Schutze gewissermaßen. Das klingt absurd, wird aber verständlicher, wenn man bedenkt, daß es viele Segler gibt, die unterwegs an Bord von Handelsschiffen gehen und „auftanken“ – Essen, Schlaf, Dieselöl – und sogar später noch mit höchsten seglerischen Auszeichnungen belohnt werden.
Ich selbst hätte es für unter meiner Würde gehalten, ein Schiff zu stoppen, um meine Position zu erfahren oder Verpflegung zu übernehmen. Wer sich aufs Meer begibt, soll sich so vorbereiten, daß ihm nach menschlichem Ermessen nichts passieren kann – oder aber er bleibt besser zu Hause und begnügt sich mit der Lektüre von Segelbüchern.
Kapitäne großer Schiffe, die von einer Yacht oder einem Kleinstboot um Hilfe gebeten werden, sollten deren Besatzungen wie Schiffbrüchige behandeln und an Bord nehmen, Hilfeleistungen anderer Art jedoch ablehnen. Wenn jemand in einem Segelboot über den Ozean schippert, ist er noch lange nicht berechtigt, einen Dampfer außer Kurs zu bringen, sobald er Appetit auf ein Glas Bier verspürt.
Auf meinen beiden ersten Fahrten haben mir zwei Frachter und eine Yacht ihre Hilfe angeboten – gegen meinen Willen und weil sie glaubten, sie könnten mir einen Gefallen damit tun; selbstverständlich lehnte ich diese gutgemeinten Angebote dankend ab.
Häufig bin ich von jungen Leuten gefragt worden: „Ich möchte ähnliche Fahrten wie Sie unternehmen – glauben Sie, daß ich es schaffe?“
Erkundige ich mich nach ihren bisherigen seglerischen Erfahrungen, zuckten sie die Achseln: sie hatten keine. Courage allein, so glaubten sie, genüge. Oder es geschah, daß Sonntagssegler selbstgefällig riefen: „Im Faltboot – verrückt! Ich würde das nie tun!“ – als sei ihnen der Erfolg gewiß, und sie blieben nur aus Vernunftsgründen an Land! Beide vergaßen – oder wußten nicht einmal –, daß die Vertrautheit mit Kleinstbooten zunächst einmal unbedingte Voraussetzung für ein solches Unternehmen ist. Ich bin schon seit frühester Jugend gesegelt und gepaddelt und habe Meeresfahrten unternommen, die andere nur in großen Yachten wagen. Meine Rekordfahrten in Einbaum und Faltboot sind kein Zufallsprodukt und kein Glückstreffer, sondern das Ergebnis vieler, zum Teil recht enttäuschend verlaufener Probefahrten.
Den vielen Landratten, die das Meer höchstens von der Landkarte her kennen und es dennoch mit Kanus, Schlauchbooten und Flößen befahren wollen, muß von allen Experimenten dringend abgeraten werden, oder aber angeraten, erst einmal einige längere Probefahrten zu unternehmen. Sie haben meist von Strömungen, vorherrschenden Windrichtungen und Gezeiten keine Ahnung; Seemannschaft und Navigation sind ihnen Fremdwörter. Sie starten in Cuxhaven und begraben ihre Hoffnungen und Träume bereits beim Anblick der mäßig bewegten See. Sitzt die Verzweiflung ihnen jedoch im Nacken, dann setzen sie alles auf eine Karte und fahren wider jegliche Vernunft, wider ihren Instinkt sogar, aufs Meer. Fast keiner von diesen Kandidaten erreichte sein Ziel; mancher wurde von einem mitleidigen Kapitän gerettet; die meisten jedoch kamen ums Leben.
Im Gegensatz zu Ozeanfahrten in Kleinstbooten sind überquerungen in Yachten, von denen jeder zweite Segler träumt, bei entsprechender Vorbereitung durchaus realisierbar. Wenn jemand mit einer Yacht über den Ozean segeln will, ist es ratsam, einem Segelclub beizutreten, damit er möglichst viele Tips von erfahrenen Seglern bekommen kann. Auch mir haben ältere Segler bereitwillig ihre Hilfe angeboten, als ich mir die LIBERIA IV bauen ließ. Denn genau wie Slocum oder Bardiaux kannte ich zwar das Meer, war aber damit noch lange kein erfahrener Yachtsegler.
Außer mir haben erst fünf deutsche Segler allein den Atlantik überquert: Kapitän Schlimbach, Kapitän Franz Romer, Paul Müller, Hein Garbers und Günter Plüschow. Romer segelte in einem speziell für diesen Zweck angefertigten Faltboot und ging nach seinem zweiten Landfall auf der amerikanischen Seite in einem Sturm unter. Müller lief nach seiner überquerung mit der Slup „Aga“ mehrere amerikanische Häfen an, erlitt aber in Höhe von Kap Hatteras vor der Küste von Nordkarolina Schiffbruch. Er konnte sich schwimmend an Land retten. Kapitän Schlimbach segelte 1937 in seiner „Störtebeker III“, einer Yawl, von Lissabon nach New York, und der Bootsbauer Hein Garbers fuhr ein Jahr später in einer Slup von Hamburg nach New York. Heute besitzt Garbers in Hamburg seine eigene Bootswerft.
Auch einige naturalisierte Amerikaner, die in Deutschland geboren wurden, haben Ozeane bezwungen, darunter die Kapitäne Eisenbraun und Voss.
Kaum einer, der mit einer Yacht den Ozean zu überqueren suchte, ist auf hoher See ertrunken, aber eine Unzahl hat in Küstennähe Schiffbruch erlitten und ist dabei ums Leben gekommen. Gründe dafür waren eine ungenügende Vorbereitung der Reise und Untauglichkeit der Boote. Die Faltbootfahrer sind außer mir sämtlichst untergegangen.
Doch weiter mit dem Fragenspiel. „Langweilen Sie sich nicht, wenn Sie so lange auf dem Meer allein sind?“ wollten besonders viele Frauen wissen. Die Antwort lautet „nein“. Wie sollte ich Langeweile empfinden, wenn ich alle meine Sinne nach außen konzentrieren mußte und es so viel zu beobachten gab: die Oberfläche des Meeres, die Vögel und die Wolken – ganz zu schweigen von dem Boot, das selbst in ruhigem Passat kontrolliert werden will.
„Hatten Sie denn gar keine Angst?“
Auch diese Frage konnte ich verneinen. Angst erwächst meist aus Unwissenheit und Unsicherheit, und ich kannte das Meer so gut und war so gut auf alle möglichen Zwischenfälle vorbereitet, daß mich dieser Gemütszustand im allgemeinen nicht befiel. Zudem hatte ich auf allen Fahrten die Strecke des geringsten Widerstandes gewählt, mit Orkanen brauchte ich also nicht zu rechnen. Natürlich gab es Situationen, in denen ich mich um mein Boot sorgte und auf meiner ersten Fahrt, der Einbaumfahrt, erlebte ich sogar Momente der Furchtsamkeit und Unsicherheit. So wagte ich damals nie, einen Hafen bei Nacht anzulaufen, obwohl das mit einem Einbaum viel leichter ist als mit einer Yacht. Aber mir fehlte die nötige Erfahrung im Anlaufen von Häfen. Die kam mit der LIBERIA IV, mit der ich kaum einen größeren westafrikanischen Hafen ausließ: jetzt besuchte ich sogar die Mehrzahl der Häfen nachts.
„Was machen Sie denn nachts? Ankern Sie?“ fragt mich in Gegenwart eines anderen Seglers ein New Yorker Tourist. Ehe ich antworten konnte, sagte der Segler mit todernster Miene:
„Ja, nachts nehmen wir auf dem Ozean alle Segel ein, werfen den Anker, löschen das Licht, sprechen unser Nachtgebet, ziehen die schneeweiße Bettdecke über den Kopf und schlafen solange, bis ein Dampfer uns die Morgenzeitung ins Cockpit wirft.“
Wieviel der Tourist, der sich das verwundert anhörte, davon geglaubt hat, war nicht festzustellen. Er verabschiedete