Fahrt aufnehmen.
Bei stürmischen Raumwinden konnte ich außer Großsegel und Baumfock meist sogar noch die andere Fock nach Luv ausbäumen. So lief ich dann unter Großsegel und Doppelfock rauschende Fahrt.
Bei platt achterlichen Winden hingegen segelte ich bis zu acht Windstärken unter Doppelfock; lief die See länger als 24 Stunden von achtern, schlug ich eine Fock ab. Als Warnungszeichen empfand ich es, wenn der Klüverbaum oder das Vorschiff ins Wasser einsetzten.
Im Gegensatz zu vielen Seeseglern glaube ich nämlich, daß eine Yacht über Kopf gehen kann, wie Erling Tambs es von seiner SANDFJORD behauptete. Gerade bei achterlichen Winden ist der Segler in Versuchung, seine Segelfläche zu spät zu verkleinern. Das passierte mir im Einbaum, im Faltboot und auch auf der Yacht. Die Seen ereichen bei stürmischen Winden eine Höhe zwischen fünf und acht Metern, aber etwa jede 100.000. Welle kann zum Dreifachen dieser Höhe anwachsen. Wenn sich nun ein solcher 20 Meter hoher Wellenberg unglücklicherweise unter dem Heck eines kleinen Bootes bricht und das Vorschiff zugleich unterschneidet, dann könnte ein kleines Boot durchaus einen Saltomortale drehen – falls es wieder aus dem Wasser hochkommt.
Ein solcher Fall wird äußerst selten auftreten, dürfte aber dennoch möglich sein.
In der Biskaya versuchte die LIBERIA IV einmal bei sieben Windstärken, vor Topp und Takel zu lenzen. Sie legte sich, wie nicht anders zu erwarten, dwars zum Wind. Das aber ist kein schönes Gefühl. So blieb ich an der Pinne und hielt den Achtersteven in den Wind, wobei wir mit etwa drei Knoten lenzten. Dann warf ich eine Trosse über Bord, an der Fender und Spieren befestigt waren. Entfernte ich mich von der Pinne, so legte sich das Boot wieder quer zum Wind; daher blieb ich während der Nacht an der Pinne.
Das Boot trieb jetzt mit etwa einem bis zwei Knoten vor dem Wind. Seen kamen nicht über, weil sie schon bei der Berührung mit der 70 Meter langen Trosse frühzeitig in sich zusammenfielen. Eine böse überraschung erlebte ich aber am nächsten Tag, als ich die Trosse wieder einhievte: sie hatte sich wie ein Seeanker einige Male gedreht, ihr Schlag war aufgegangen. Ich hatte angenommen, daß sie sich wegen der angebrachten Fender und Spieren nicht drehen würde und infolgedessen keinen Wirbel angebracht, wie ich es bei meinem Faltboot stets zu tun pflegte. –
Ein Treibanker befand sich nicht an Bord. So unbedingt erforderlich er für ein Kleinstboot ist, so selten findet er Verwendung auf einer Yacht. Benutzt man ihn, sollte man nicht vergessen, ihn mit einer Kette auszubringen oder Gewichte an ihm zu befestigen, weil man sich dann keine Gedanken über die Länge der Trosse zu machen braucht. Schon bei meinem Einbaum hatte ich mehrfach den Treibanker an einem Kabel befestigt, an Drahttauwerk, das ähnliche Dienste leistet.
Die LIBERIA IV war stark untertakelt. Das ist jedoch – wie sich herausstellte – bei Langfahrten in Passatgegenden nicht günstig, weil dort schwache Winde vorherrschen. Die Mehrzahl der Einhandsegler wünschte sich – rückblickend – auf ihren Fahrten mehr Segelfläche.
Es erwies sich als Fehler, die Segel mit galvanisiertem Draht zu lieken. Wenn auch der Segelmacher die Qualität lobte, verkannte er doch die Wetterbedingungen in den Tropen, denn die Drähte rosteten binnen kurzer Zeit durch, brachen und verfärbten die Segel. Zwar schadete die Rostfarbe den Diolen-Segeln nicht, doch sieht kein Segler solche verfärbten Segel gern. Segel, die mit Salzwasser in Berührung kommen, sollten heute nur noch mit rostfreiem Stahl geliekt sein.
Der Mastkragen, mit Segeltuch und Klammern umgeben, leckte während der ganzen Fahrt ein wenig, die Vorderluke hingegen nur zeitweise. Das Teakholzdeck war mit Formflex ausgegossen, das absolut dicht und beständig war.
Die Decksaufbauten waren bei der LIBERIA IV betont niedrig gehalten, um überkommenden Seen so wenig Widerstand wie möglich zu bieten, denn mehr als einmal sind bei Yachten Aufbauten durch überrollende Seen einfach weggerissen worden. –
Ebenso wichtig war es, für genügenden Abfluß für übergekommenes Wasser zu sorgen. Das Cockpit war selbstverständlich selbstlenzend, aber auch in die Plichtverkleidung mußten nachträglich noch Speigatts eingeschnitten werden, weil dort das Wasser nicht schnell genug ablief. –
Die Seereling war besonders stark, achtern zudem noch verstärkt, um dem Achterstag Halt zu geben. Diese Reling hätte selbst dann gehalten, wenn man im Sturm mit aller Gewalt gegen sie geschleudert worden wäre. Die Mehrzahl der Einhandsegler hat auf eine Seereling verzichtet, aber trägt man die Verantwortung für andere, ist sie unbedingt notwendig. –
Eine Sicherheitsleine haben meine Frau und ich selten angelegt. Sie wird um so wichtiger, je größer das Boot ist. Das klingt zunächst paradox, doch wird es verständlich, wenn man bedenkt, daß kleine Boote und noch kleinere Untersetzer auf dem Meer wie ein Korken schwimmen, während größere Boote nicht mit jeder Welle mitgehen. So habe ich es erlebt, daß bei achterlicher See auf einem Luxusdampfer schwerste Brecher über Bord kamen, Seeleute gegen das Schanzkleid geschleudert wurden und schwer verletzt von ihren Kameraden geborgen werden mußten, die LIBERIA IV bei gleicher See jedoch bis auf ein paar Gischtspritzer unbehelligt blieb. Ebenso wenig Sdtaden erlitten Einbaum und Faltboot. Dies ist ein Umstand, der den meisten Yachtseglern, die ich traf, nicht richtig bewußt geworden zu sein schien. –
Die Backstagen wurden bei normalen Winden an die Wanten gebändselt; erst bei Starkwinden wurden sie gesetzt. –
Nur zwei Winsdten hatte die LIBERIA IV. Die Ankerwinde ging mir in einem westafrikanischen Tornado in die Brüche. Eine Ankerwinde ist manchmal unerläßlich, vor allem dann, wenn man bei starken Winden irgendwo auf Reede liegt und wenn keine hohe Dünung einem helfen kann, im Wellental schnell ein paar Armlängen Ankerkette einzuhieven.
An Bord befanden sich nur zwei Danforth-Anker. Ich hatte Glück, daß mir keiner verloren gegangen ist, denn die Ankergründe waren stellenweise – vor allem in Westafrika – sehr unrein. Zweimal mußte ich fremde Hilfe beanspruchen, um meinen 28 Pfund schweren Anker von Wrackteilen wieder klar zu bekommen.
Die Ankerkette war 10 mm dick, 30 m lang und alle 5 m markiert; an sie angeschäkelt war eine 130 m lange dreischäftige Perlon-Trosse von 24 mm Durchmesser,. die aus der Bremer Tauwerk-Fabrik stammte. Diese Perlon-Ankertrosse bewährte sich hervorragend in den vielen westafrikanischen Tornados, die zwar kurz, dafür aber um so heftiger sind. Der furchtbare Tornado im Bissagosarchipel von Portugiesisch-Guinea erreichte nach meinen Meßgeräten Orkanstärke. Wenn ich irgendein schwaches Glied im Ankergeschirr oder auch nur zu wenig Ankertrosse gehabt hätte, wäre meine Fahrt dort frühzeitig zu Ende gewesen.
Das Tauwerk bestand aus Trevira-Leinen, die besonders für Einhandsegler zu empfehlen sind, da man sich an ihnen niemals die Hände wundarbeitet. überdies sind sie genau wie die Perlon-Trossen so stark, daß sie selbst unter ungünstigsten Bedingungen nicht reißen. Allerdings muß man besonders darauf achten, daß sie nicht schamfilen.
Das Drahttauwerk bestand aus galvanisiertem Eisen, das besonderer Pflege bedurfte; ich benutzte Aluminiumfarbe, Drahttaulack, gewöhnliche harte Farbe, Leinöl, Fette und Vaseline, um das Rosten zu verhindern. Jedes dieser Mittel hat sein bestimmtes Anwendungsgebiet, das eine kann durch das andere nicht ersetzt werden.
Nach einjährigem Aufenthalt in den Tropen zeigten sich an den einen Zentimeter dicken Wanten noch keine Rostflecke, wohl aber an den Drähten der Reling. Das Kabel des Wasserstags hatte ich schon nach fünf Monaten durch eine Kette ersetzt, die den Vorteil hat, daß eine Ankertrosse an ihr weniger schamfilt.
Am meisten Zeit hat mich das Lackieren der Naturhölzer gekostet, zumal für Schanzkleid und Deck mehr Eichenholz verarbeitet worden war als mir – nachträglich – lieb war.
Gegen tropische Salzluft kann man Eichenholz nur schützen, wenn man es mindestens sechsmal hintereinander lackiert. Deshalb nimmt man in den Tropen meist der Einfachheit halber Ölfarbe, die weniger Pflege bedarf.
Das Unterwasserschiff habe ich alle drei Monate mit Patentfarbe gestrichen. Das Totholz (zwischen Ballastkiel und Ruder), das von unten keine Patentfarbe bekommen konnte, da das Boot beim Streichen während Niedrigwasser aufstand, wurde von Teredos befallen, zum Glück nur in harmloser „Dosierung“. Denn in Las Palmas und in Sierra Leone habe ich das Boot nur bei Niedrigwasser reinigen können – mit dem Erfolg, daß