der Uhr und stand — im übrigen bedächtig im Wesen — rasch auf, legte die Serviette beiseite, schob den Stuhl mit einem ihm anhaftenden, starken Ordnungssinn unter den Tisch. Dann streichelte er, gutmütig lächelnd, Frau und Tochter die Wangen, warf auch noch beim Fortgehen ein Scherzwort hin und verließ das Zimmer.
Vor dem Garten- und Frühstückssalon befand sich ein schöner, heller Flur, der in Marmor ausgeführt war. Von ihm führten seitlich Thüren in die verschiedenen unteren Gemächer. Nach oben vermittelte eine in der Höhe durch eine Gallerie verbundene Marmortreppe den Auftritt. Dort befand sich ein großer Tanzsaal mit Nebenstuben, und dort lagen die Schlafräume, während sich unten die Wohn- und Gesellschaftszimmer ausdehnten.
Von ihnen führte eine Thür, zu der nur der Herr des Hauses einen Schlüssel besaß, in den Flügel links. Diesen betrat nun auch Herr Knoop, durchschritt die Räume, die vom Hofe Licht empfingen, und begab sich in sein vorn nach der Straße belegenes Kontor.
„Morgen! Morgen!“ erfolgte wiederholt, und fand Erwiderung, während er den Korridor durchmaß.
Redakteure der Zeitungen begaben sich eben grade in ihre Gemächer; der
Faktor, mit Korrekturen in der Hand, kam aus der Druckerei, um eine
Erkundigung im Hauptkontor beim Geschäftsführer einzuziehen, und in des
Chefs Vorzimmer standen und saßen bereits mehrere Personen, die auf sein
Erscheinen warteten.
„Morgen, Herr Knoop!“ erfolgte abermals ehrerbietig im Ton, und wurde durch Kopfnicken beantwortet. Dabei streifte der Chef mit kurzem, scharfem Blick die Anwesenden, gab seinem herbeieilenden Faktotum Auftrag, die draußen Wartenden noch zu bescheiden. Er wolle erst die Post durchsehen, und ließ sich sogleich an seinem Schreibtisch nieder. —
Das zweifenstrige Zimmer war sehr gediegen ausgestattet und mit allen praktischen Bequemlichkeiten der Neuzeit versehen. Elektrische Klingelfäden führten bis an das Pult des Chefs. Verschiedene weiße Knöpfe waren dort zu sehen und besaßen sämtlich Aufschriften. Sie gaben an, wer erscheinen sollte, wenn sich der Finger zum Druck auf ihre Flächen legte. Accidenzfaktor, Zeitungsfaktor, Magazinverwalter, Prokurist, Hausmeister, Kontordiener hatten verantwortlichere Stellungen im Knoopschen Geschäft inne und wurden nicht selten in das Kontor des Chefs befohlen, um seine Wünsche entgegenzunehmen. —
Unter den vielen Briefen, die Herr Friedrich Knoop zu öffnen und zu lesen hatte, und die meist mit Bemerkungen versehen, von ihm in Mappen gethan und vom Büreaudiener den Geschäfts-Abteilungsvorständen überbracht wurden, befanden sich heute auch zwei Privatschreiben, die seine Aufmerksamkeit besonders in Anspruch nahmen.
Das eine war von seinem älteren Bruder, einem zurückgekommenen
Kaufmann, der sich gegenwärtig als Agent in Braunschweig aufhielt.
In diesem Brief standen folgende Worte:
„Ich frage Dich, Friedrich, zum letztenmal, ob Du mir helfen willst. Wenn Du diesmal meine Zeilen auch nicht beantwortest, mußt Du gewärtig sein, daß die Zeitungen berichten, welche Ursachen daran Schuld waren, daß Theodor Knoop zu einem verzweiflungsvollen Schritt seine Zuflucht nahm. Gedenke unserer verstorbenen Eltern, gedenke, daß unsere Mutter uns beide unter ihrem Herzen trug, und überlege, ob ich nicht wenigstens — was auch immer gewesen sein mag — einer Erwiderung wert bin.“ —
Herr Friedrich Knoop zog die breite Stirn in dem runden, mit einem
Vollbart umrahmten Gesicht in Falten. Auch erhob er sich und ging — er
war mittelgroß, stark beleibt und gedrungen — eine Weile in seinem
Kontor auf und ab. Das geschah, wenn ihn etwas stark beschäftigte.
Endlich setzte er sich wieder. Er hatte seinen Entschluß gefaßt, und las nun den zweiten, ihn auch sehr beschäftigenden Brief, der keine Unterschrift trug und durch eine Schreibmaschine hergestellt war, noch einmal durch. Er lautete:
„Sehr geehrter Herr!
Es wird Sie dieser Tage — ich hörte es in dem Wiener Café von Bauer zufällig — ein Baron von Klamm besuchen. Da ich ihn sehr genau kenne, so erlaube ich mir, Sie vor ihm zu warnen. Er ist durchaus unzuverlässig!
Denken Sie diesmal nicht: Anonyme Zuschriften gehören, ohne beachtet zu werden, ins Feuer.
M.P.“
Nachdem Herr Knoop diese beiden Briefe in seinem Pulte verschlossen hatte, klingelte er. Er übergab neben anderen Anweisungen dem Faktotum und Büreaudiener Adolf, einem Mann, der dadurch auffiel, daß er runde, stählerne Ohrringe trug, die Mappen, und hieß ihn auch, die draußen Wartenden nach der Reihe ihres Eintreffens ins Zimmer treten zu lassen.
Zuerst erschien ein fremder Setzer. Er bat um Arbeit, und wurde von Herrn Knoop zum Accidenzfaktor gesandt. Nach ihm kam eine sauber gekleidete Frau und bat um einen Vorschuß für die Familie. Ihr Mann arbeitete im Papierlager, war fleißig und gewissenhaft.
Sie brauchte das Geld für ihren Sohn, der lange krank gewesen war und nun überseeisch sein Glück versuchen sollte.
Herr Friedrich Knoop ging an den Geldschrank, nahm zwei Geldstücke heraus und sagte:
„Hier, Frau Bendler! Ich schenke Ihnen das! Vorschüsse gebe ich nur in äußersten Fällen! Das wissen Sie! Und ein andermal lassen Sie Ihren Mann kommen und dergleichen vorbringen. Die Frauen will ich nicht anhören. Da könnten alle heranlaufen, und ich hätte eine schöne Last —“
„Gottes Segen, Herr Knoop, und vielen Dank noch! Und nehmen Sie't man nich für unjut, Herr Knoop! Mein Mann — Sie kennen ihm — is bei so wat mal zu schanierlich —“
„Na ja, das mag sein! Aber! Entweder — oder in Zukunft! Und nun Adieu! Mög' es Ihnen gut gehen! Grüßen Sie Ihren Sohn Franz. Hoffentlich gelingt's ihm in Brasilien!“
Nachdem sich die Frau entfernt hatte, erschien der Agent einer
Papierfabrik.
Er machte ein Angebot auf Zeitungspapier.
Herr Knoop trat ans Fenster, ließ das hellere Licht auf den ihm überreichten Probebogen fallen, betrachtete ihn aufmerksam und sagte, während er auch noch nach Art der Erfahrenen, die Flächen des Stoffes zwischen Zeigefinger und Daumen rieb, wie die Zahlungsbedingungen für 500 Ballen sein würden.
Nachdem er darauf Antwort empfangen, ersuchte er den Agenten, ihm das Angebot nochmals schriftlich zu machen, und in dem Schreiben zu bemerken, daß die Fabrik unbedingte Gewähr für ihre Angaben übernehmen würde.
„Jawohl! Ganz gut! Wenn Gewicht, Fabrikat und Färbung nach dieser
Vorlage geliefert werden können, denke ich, gelangen wir zu einem
Abschluß!“ entschied Herr Knoop in einem kurzen Ton.
Hierauf noch ein Knopfnicken und ein verbindliches Handreichen, und eine andere Persönlichkeit trat in das Gemach.
Ein älteres, unmodisch gekleidetes Fräulein, mit an die Stirnseiten vorgekämmtem Haar und einem Strickbeutel über dem Arm, erschien und erörterte, daß sie sich die Erlaubnis nähme.
„Nun ja! Bitte! Was ist's denn? Womit kann ich dienen?“ stieß Herr Knoop heraus.
„Mein Name ist Charlotte von Oderkranz. Ich lebe von einer kleinen
Fideikommiß-Einnahme und habe noch eine Nichte zu ernähren.
„Sie hat ihr Lehrerin-Examen gemacht und sucht eine Stellung als
Gouvernante oder im Fall als Gesellschafterin.
„Hier, bitte, Herr Zeitungseigentümer, ihre Photographie!“
Während dieser Worte nestelte sie den Beutel auf, und zog das Bild eines jungen, ungewöhnlich schönen Mädchens hervor.
Herr Knoop hatte die Antragstellern schon ersuchen