„Ich war gezwungen, so zu handeln! Es hilft doch nichts! Ich muß vorwärts, ich muß etwas finden, wenn wir nicht in schwerste Not geraten sollen!“
Klamm ließ, nachdem er gesprochen hatte, unwillkürlich das Haupt sinken und schaute trübe vor sich hin. Die alte Frau aber überkam ebenfalls ein Gefühl der Bedrückung.
„Erzähle weiter, Alfred!“ hub sie dann, sich fassend, an.
Klamm that ihr Bescheid. Er berichtete über alles, was vorgefallen war, und schloß:
„Ich bin überzeugt, daß ich eine Stellung bei Herrn Knoop erhalte. Die Frage ist nur, wie lange ich ohne Entgelt arbeiten muß. Woher sollen wir für die nächsten Wochen die Mittel nehmen?
„Ah!“ fuhr er beschwert fort, schnellte empor und maß das Gemach mit
Schritten, die seine Erregung bekundeten.
„Wenn ich die Schurken, die uns um alles betrogen haben, aber auch die
Person, die mich mit ihrem Haß verfolgt, mich dadurch bisher an meinen
Erfolgen gehindert hat, — hier hätte, ich könnte ihnen die Seele aus dem
Leibe reißen.
„Da muß man fortwährend Komödie spielen, und sogar zu Unwahrheiten die Zuflucht nehmen, um sich nur zu schützen, um blos eine Existenz zu finden!“
„Beruhige dich, lieber Alfred, du kannst später erklären, daß uns gewissenlose Menschen um unser Vermögen gebracht haben, daß die Verlobung zurückgegangen sei. — Der Himmel wird's dir nicht anrechnen!“
„Ja, ich kann's, und ich hoffe auf seine Nachsicht, aber ich werde es, wenn auch alles gut verläuft, schwer überwinden, mich mit einer Unwahrheit eingeführt zu haben. Ich schäme mich vor mir selbst. Es liegt wie ein Makel auf mir!“
„Es giebt größere Vergehen, mein Junge! Mehr werden täglich Unwahrheiten gesprochen, als sich Riegel auf den Dächern befinden, und die Welt hebt sich doch nicht aus den Angeln.
„Dich entlasten die Umstände: du handelst im Zwang — um den Wirkungen einer Infamie zu begegnen. Giebt's denn gar kein Mittel, Frau von Krätz zu besänftigen! Das heißt, wenn sie es wirklich ist. Hältst du es für ausgemacht, daß sie die Briefschreiberin?“
„Wer könnte es sonst sein, Mama. Alles deutet darauf hin. Sie hat es mir nicht verziehen, daß ich mich noch kurz vor der Verlobung mit ihr besonnen. Sie rächt sich mit der Unversöhnlichkeit einer Frau, und scheut selbst solche Mittel der Vergeltung nicht. Natürlich, absolute Beweise habe ich für meine Annahme nicht. Wenn ich die hätte, würde ich schon lange gehandelt haben. Und eben, ihr nicht beikommen zu können, ist das schlimmste von allem Unglück.“
Klamm ballte die Hände, und seine Augen funkelten.
Noch einmal sprach die erfahrene Frau besänftigend auf ihren Sohn ein.
Dann sagte sie:
„Noch etwas, Alfred! Ich habe noch die Ringe und den Schmuck von meiner
Mutter. Nimm heute alles mit und veräußere es. Das giebt uns
Lebensunterhalt für die nächste Zeit!
„Du kannst dann auch deine Hotelwohnung beibehalten und dich in der
Gesellschaft bewegen, bis dir deine Pläne bei Herrn Knoop gelingen.“
„Wie? Du bist noch in Besitz von Schmuck, Mama!? Das ist ja eine ausrichtende Nachricht — du sagtest es mir nicht.“
„Ich that's nicht, um dir's vorzuenthalten, sondern für den alleräußersten Fall.“
Sie sprach's mit liebevollem Blick, und er küßte sie. Dann besah er den
Inhalt des kleinen Kästchens, das sie aus der Kommode hervorholte.
Bevor Klamm von seiner Mutter Abschied nahm, sagte sie:
„Es ist eigentlich verkehrt, daß wir nicht zusammen wohnen, Alfred.
Könntest du nicht ein Logis für uns beide dort mieten? Hier unter diesen
Menschen ist's nicht angenehm! Meine Wirtin ist neugierig und
zudringlich, die übrige Umgebung stößt mich sehr ab.“
„Ich nahm nur erstmal, was sich bot, Mama. Alle Wohnungen in den besseren Vierteln kosten das Dreifache.“
„Ich blieb nur im Hotel, weil ich dem Wirt noch verschuldet bin. — Ich mußte und muß dort vorläufig wohnen! Ich will indessen heute mit dem Besitzer sprechen. Vielleicht läßt sich deine Uebersiedelung machen. Ich würde nur zu glücklich sein, dich bei mir zu haben. Vielleicht gelingen auch meine Pläne bei Herrn Knoop rascher, als ich annehme. Habe ich erst ein festes Einkommen, miete ich für uns eine Wohnung im Westen.
„Ach, Mama — wäre ich erst so weit, wie anders würde mir zu Mute sein!“
Nach diesen Worten schlang der Mann seinen Arm um die Gestalt der zartgebauten Dame, versprach am folgenden Tage wiederzukommen und stieg eilend die Treppe herab.
* * * * *
Als am folgenden Vormittag Fräulein von Oderkranz mit ihrer Nichte im Vorraum des Privatkontors des Herrn Knoop eintrat, glich dieses, bezüglich der Fülle der Wartenden, dem Sprechzimmer eines vielbeschäftigten Arztes. Alle Plätze waren besetzt, und Adolf mußte Sessel aus dem Hauptkontor holen, damit wenigstens die Damen nicht zu stehen brauchten. Als sie nach einstündigem Warten endlich vorgelassen wurden, entschuldigte sich Herr Knoop, seiner Art nach, mit kurzen, knappen Worten, und die Unterredung nahm auch bald die Wendung, daß er der jungen Dame seine Absicht aussprach, sie für seine Tochter Margarete zu verpflichten.
„Natürlich setze ich voraus, daß Sie sich gegenseitig gefallen, und um dieses festzustellen, erlaube ich mir den Vorschlag, daß Sie uns den heutigen Tag schenken. Am Abend lasse ich Sie dann in meinem Wagen nach Hause fahren,“ schloß der Chef des Hauses.
Nach diesen Worten richtete Herr Knoop einen auffordernden Blick auf die beiden Damen, dem Fräulein Ileisa auch mit gehobener Miene begegnete, während bei ihrer Tante eine deutliche Enttäuschung darüber hervortrat, daß nicht auch an sie eine solche Einladung gerichtet wurde.
Wenigstens deutete Herr Knoop in solcher Weise den spröden Ausdruck in den Gesichtszügen des Fräulein von Oderkranz.
Es drängte sich ihm auch gleich der Gedanke auf, daß die alte Dame möglicherweise später mit allerlei sehr wenig bequemen Ansprüchen lästig fallen könne, und er nahm deshalb gleich das Wort und sagte:
„Ich hoffe, mein Fräulein, daß Sie meinem Vorschlag zustimmen. Ueberhaupt darf ich gleich bemerken, daß ich bei einem Inkrafttreten unserer Pläne voraussetzen muß, daß unsere künftige Hausgenossin ihre bisherigen Beziehungen in dem Sinne löst, daß sie lediglich zu uns hält. Mit ihrem Eintritt in unser Haus haben wir nur mehr mit ihr zu thun. Natürlich schließt das gelegentliche Besuche bei Ihnen nicht aus!“
Diese Rede war so deutlich und enttäuschend, daß Fräulein von Oderkranz zunächst erbleichte und unwillkürlich die Augen schloß. Dennoch faßte sie sich ebenso rasch wieder, wußte sich sogar durch ihre Worte und eine seine steife Würde das Uebergewicht zu verschaffen und sagte:
„Da ich Mutterstelle bei Ileisa vertrete, hatte ich nur den wohl begreiflichen Wunsch, mich Ihren verehrten Damen vorzustellen. Einen weiteren Anspruch habe ich nicht erhoben, und werde ich nicht erheben, Herr Knoop! Sie dürfen darüber völlig beruhigt sein!“
„Vortrefflich, vortrefflich! Also ganz einig!“ entgegnete Herr Knoop, wiederum seinerseits in einem Ton, als ob er ihre gereizte Stimmung und die Lehre, die sie ihm hatte erteilen wollen, garnicht herausgefühlt habe.
Ileisa aber fiel ausgleichend ein:
„Ich werde heute gleich fragen, liebe Tante, wann den Damen dein Besuch angenehm ist. Der gütigen Aufforderung des Herrn Knoop folge ich natürlich