Alfred, Baron von Klamm-Gleichen, war, nachdem er den überseeischen Dienst verlassen hatte, während einer längeren Zeit mein Privatsekretär. Als solcher hat er sich seiner Aufgaben in vorzüglichster Weise entledigt, und kann ich Herrn von Klamm als eine durchaus vertrauenswürdige, in jeder Beziehung tadellose Persönlichkeit aufs Wärmste empfehlen.
Meine besten Wünsche für sein Wohlergehen begleiten ihn.
Fürst Alexander von Kroy.“
„Und weshalb trennten Sie sich von dem Fürsten, wenn die Frage erlaubt ist, Herr Baron?“ warf Herr Knoop hin, während er mit einer verbindlichen Geste das Schriftstück in die Hände Herrn von Klamms zurücklegte.
„Ich wünschte den Fürsten zu verlassen, weil ich mich verlobt und den Besitz meiner Braut mit Zustimmung meiner Schwiegereltern selbst zu verwalten die Absicht hatte.“
„Hm. — Und das hat sich nicht nach Ihren Voraussetzungen vollzogen?“
„Nein! Meine Braut starb kurz vor der Hochzeit. Inzwischen war die Stellung anderweitig besetzt, und überdies — ich habe mich neuerdings wieder verlobt, und warte nur des Augenblicks, heiraten zu können — paßte dann das alles nicht mehr zusammen.“
Herr Knoop bewegte nach diesen Worten den Kopf mit der Miene einer Person, die einer Rede mit großem Interesse zugehört hat und sich durch ihren Inhalt durchaus befriedigt fühlt.
Dann sagte er:
„Glauben Sie zu wissen, wenn ich fragen darf, wer den anonymen Brief geschrieben hat, Herr Baron? Ich komme darauf zurück, weil Sie das Eintreffen eines solchen schon voraussetzten!“
„Gewiß! Allerdings, Herr Knoop! Ich vermute, daß die Urheberin dieser und ähnlicher Verdächtigungen, mit denen ich seit Jahresfrist verfolgt werde, eine jetzt in Dresden lebende Dame der vornehmen Gesellschaft ist, der ich den Hof machte, von der ich mich aber zurückzog, weil ich ihren Charakter zur rechten Zeit durchschaute. Seitdem übt sie diese Infamien gegen mich mit einer vollendeten Geschicklichkeit aus, weiß mich, wo ich mich befinde, mit ihren Kundschaftern zu umstellen, und Personen, zu denen ich in Beziehung trat oder treten will, vor mir zu warnen.“
„Hm! So! Das ist ja eine sehr fatale Sache. Und dann noch gegen solche
Bosheiten wehrlos zu sein! Ich bedaure Sie aufrichtig, Herr von Klamm.
Das muß ja eine ganz miserable Person sein, die fortgesetzt an einem
Nebenmenschen — es sei vorgefallen was will — derart Rache übt. Ich habe
kein Verständnis für solche Charaktere —“
„Und doch sind sie weit verbreiteter, als man glaubt. Man begreift bisweilen nicht, weshalb Personen plötzlich eine andere Haltung annehmen. Man schiebt ihnen, wenn keine Erklärungen erfolgen, Launen zu. In Wirklichkeit hat irgend ein Mißgünstiger ein Minierwerk begonnen, und mit Erfolg! — Ich bin überzeugt, daß es Leute giebt, die aus purem Neid jahraus, jahrein, ohne Aufhören täglich an der Untergrabung des Ansehens anderer arbeiten, die sich dabei noch weit raffinierterer Mittel bedienen, als meine einstige Freundin. So geschickt auch solche anonymen Briefe abgefaßt sind, der vornehm und der einsichtsvoll Urteilende wird sie stets als ein Produkt niedriger Motive betrachten, und sie in die Rumpelkammer werfen.“
Herr Knoop pflichtete wiederum durch eine Kopfbewegung bei, dann sagte er:
„Und Ihr Fräulein Braut, Herr Baron? Sie lebt auch in Dresden?“
„Ja, Herr Knoop! Sie bleibt dort, bis wir heiraten können —“
„Nun, jedenfalls bitte ich, meine beste Gratulation entgegen zu nehmen, Herr von Klamm. Im übrigen! Wenn es Ihnen jetzt gefällig ist, mit mir einen Gang durch mein Geschäft anzutreten? Nachdem konveniert Ihnen vielleicht ein kleines Frühstück bei uns! Meine Frau und Tochter werden sich über Ihren Besuch sehr freuen.“
Baron von Klamm verbeugte sich mit kavaliermäßiger Höflichkeit.
„Ich danke verbindlichst, Herr Knoop. Sie kommen meinen Wünschen zuvor!
Ich wollte soeben auch diese Vergünstigung von Ihnen erbitten —“
Zunächst betraten die Herren das Vorzimmer. Von dort nahmen sie den Weg in die Setzersäle, und zwar zuerst in diejenigen, in welchen die täglich in einer sehr starken Auflage erscheinende Tageszeitung hergestellt wurde. Zahlreiche Arbeiter standen an Pulten mit kleinen Kästen.
Herr von Klamm war erstaunt, mit welcher Fingerfertigkeit die Leute arbeiteten, wie einige eifrig, ohne aufzusehen, oder wie andere, noch Geschultere, gleichsam spielend, ihre Thätigkeit ausübten. Ferner überraschte ihn, wie geschickt und exakt die Metteure, diejenigen, die den fertigen Satz für die Druckpressen vorbereiteten, ihr Werk handhabten.
Zwischen ihnen durch wandelte der Faktor, der Anweisungen erteilte, den Setzern ein neues Manuskript überwies, oder, an sein Pult zurückkehrend, das durch kleine Boten eben aus der Redaktion herbeigebrachte Material zu gleichen Zwecken vorzubereiten begann.
Das war ein Bild emsigen Arbeitsfleißes!
„Im übrigen für die Beschäftigten ein sehr undankbares Geschäft, von aller menschlichen Thätigkeit das undankbarste!“ erörterte Herr Knoop, während sie die oben belegenen, teils dem Zeitungssatz, teils den Accidenzarbeiten dienenden Säle betraten.
„Sobald das von den Setzern mühsam geförderte Werk seine Bestimmung in den Maschinen erfüllt hat, wird es wieder zerstört. Die Buchstaben erhalten von neuem ihren Platz in den Schriftkästen, und von neuem beginnt, was am Abend abermals aufgelöst wird.“
„Und so fort und so fort, bis die Lettern durch den Druck der Maschinen so abgenutzt sind, daß sie keine genügenden Dienste mehr leisten können.
„Der Maschinist,“ ergänzte Herr Knoop, als sie nach geraumer Zeit vermittelst Fahrstuhl zur Besichtigung der Druckpressen die Souterrainräume erreicht und betreten hatten — „hat geholfen, etwas Bleibendes herzustellen. Das Ergebnis seiner Arbeitsmühen hat Bestand, oft Jahrhunderte lang. Der Setzer ist — obschon ein weit größerer Künstler — lediglich ein Handlanger.“
Baron Klamm fragte, weshalb eine Anzahl Maschinen still ständen, während sich andere von dem schnurrenden Geräusch der Transmissionsriemen begleitet, und von Bogenfängerinnen bedient, in unruhiger Bewegung befanden.
„Die außer Thätigkeit gesetzten Maschinen warten der Arbeit für die
Zeitung; diese hier drucken komplizierteren Satz,“ erwiderte Herr Knoop,
und nötigte nunmehr seinen Besuch aus den von dem Geruch des
Maschinenöls und der Druckerschwärze erfüllten Räumen in den
Papierlagerkeller einzutreten.
Endlich durchschritten die Herren auch noch die Gelasse der Buchbinderei und der Stereotypie, bis sie dann wieder in die Parterrelokalitäten gelangten und sich nach einem Besuch in den Redaktionsgemächern und Kontoren, in denen ebenfalls ein zahlreiches Personal emsig bei der Arbeit war, in die Familienwohnung begaben.
„Wie viele Menschen beschäftigen Sie, Herr Knoop?“ fragte Baron Klamm, der seiner Bewunderung über dieses großartige Räderwerk und über die überall herrschende Strenge Ordnung Ausdruck verlieh.
„Zweihundertundachtzig Personen erhalten Wochen- oder Monatslohn im Jahr bei mir!“ erwiderte Herr Knoop, löste die Brille von den Augen, bewegte, während er Antwort erteilte und mit einem seidenen Tuch die Gläser wischte, mit einem Ausdruck berechtigter Selbstbefriedigung das Haupt.
„Und ich habe alles selbst geschaffen,“ ergänzte er. „Mit Kleinem habe ich begonnen. Das ist mein Stolz! Gewiß! Es giebt noch umfangreichere Etablissements, aber dies ist auch etwas!“
Und nach kurzer Pause fuhr er fort:
„Ich habe auch eine Idee, wie ich Ihnen — wenn es wirklich in der That in Ihrer Absicht liegt — eine Thätigkeit anbieten