Andreas Bonnet

Kooperatives Lernen im Englischunterricht


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und auf sozialer Norm basierender Leistungsorientierung in Konflikt gerät und dass diese Konflikte von Lehrer*innen zu moderieren seien.

      Strukturell weist die bisherige Forschung zu KL in hohem Maße folgende Eigenschaften auf. Sie hat sich, insbesondere bei den frühen psychologischen Untersuchungen aber auch später noch häufig (1) in Form von Laborstudien, (2) mit Studierenden, (3) über kurze Zeiträume vollzogen. Auch wenn in jüngerer Zeit mehr Studien in schulischem Kontext hinzugekommen sind, ist dennoch deren zeitlicher Rahmen meistens auf Interventionen von einigen Wochen, maximal von wenigen Monaten, begrenzt. Es erscheint uns daher wichtig, unsere Untersuchung (1) in der Schule und mit Schüler*innen und Lehrer*innen selbst durchzuführen, um die institutionell-organisationalen und auf Macht bezogenen Aspekte erfassen zu können, (2) über einen möglichst langen Zeitraum laufen zu lassen, um mittel- und langfristige Effekte im Blick zu haben und (3) den Absichten und Vorstellungen der schulischen Akteure selbst zu folgen und sie bei deren Umsetzung zu unterstützen. Daraus resultieren die folgenden Konkretisierungen der Fragen und des Designs dieser Studie.

      2.5.3 Forschungsfragen dieser Studie

      Die in der Einleitung formulierte Frage zum Unterricht muss insofern erweitert werden, als die Überlegungen aus der Schulpädagogik die Aspekte von Macht und Herrschaft in den Vordergrund rücken. Diese Überlegungen sehen v. a. die Schüler*innen in einer potenziell unterworfenen Situation. Die in der Einleitung referierten Überlegungen der Lehrer*innen deuten außerdem an, dass womöglich auch sie selbst nicht nur Subjekte, sondern auch Objekte dieser Machtstruktur sein könnten. Die Frage nach Macht und Herrschaft beim KL wird damit ein wichtiger Aspekt dieser Untersuchung werden. Folgende Fragen werden in Bezug auf Unterricht untersucht:

      1 Welche Formen von Unterricht mit welcher Kooperativität kommen zustande?

      2 Welche Lern- und Bildungsgelegenheiten bieten sich den Schüler*innen?

      3 Welche Rolle spielen Macht und Herrschaft im Unterricht und in welcher Weise werden sie von wem ausgeübt?

      Insgesamt hat es den Anschein, als sei die generelle Wirksamkeit von KL sowohl im inhaltlichen als auch im emotional-sozialen Bereich mittlerweile so gut dokumentiert, dass sie nicht ernsthaft in Zweifel gezogen wird. Dies bedeutet für die hier durchzuführende Studie, dass dieser Bereich nicht in gleicher Weise wie die anderen Bereiche ausdifferenziert werden muss. Es erscheint daher sehr plausibel, davon auszugehen, dass im durchzuführenden Unterricht unter den Bedingungen des KL inhaltlich und sozial substanziell gelernt wird. Daraus resultieren folgende Fragen:

      1 Finden sich Anzeichen dafür, dass sozialer Kompetenzerwerb stattfindet? Wenn ja, welche skills bzw. Reflexivität lassen sich beschreiben?

      2 Finden sich Anzeichen dafür, dass fremdsprachlicher Kompetenzerwerb stattfindet? Liegt dieser Kompetenzerwerb qualitativ und quantitativ in einem für die Klassenstufen 6 und 7 erwartbaren Bereich?

      In Bezug auf die Lehrer*innen wird der Zusammenhang zwischen KL und den Lehrenden in zwei Richtungen betrachtet. Bislang wurde – sowohl in der Forschung als auch v. a. in der Praxisliteratur – vornehmlich gefragt, was Lehrer*innen mit KL machen, d.h. wie sie es im Unterricht einsetzen (können) und zu welchen Effekten dies führt. Nur sehr vereinzelt ist thematisiert worden, was KL mit den Lehrer*innen macht, also welchen Anforderungen sie begegnen, wenn sie KL in ihrem Unterricht einsetzen und mit welchen Wissensbeständen sie diese Anforderungen bearbeiten. Dieses Erkenntnisinteresse wird durch die folgenden beiden Fragen präzisiert:

      1 Auf welche Weise können Lehrer*innen das Zustandekommen von Kooperativität durch Vorgaben und begleitendes Handeln beeinflussen und wie kommt dieses Handeln zustande? Anders gefragt: Wie schlagen sich die Orientierungen der Lehrenden im Unterricht nieder und woher kommen diese Orientierungen?

      2 Wie wirkt die Inszenierung von Kooperativem Lernen auf die Lehrenden zurück? Anders gefragt: Wie werden die Orientierungen von Lehrer*innen durch kooperativen Unterricht verändert und welche Entwicklungen werden dadurch möglicherweise angestoßen?

      Über diesen Fokus auf die Lehrer*innen als handelnde Individuen hinaus wird es auch darum gehen, das Wechselspiel zwischen Individuen und Schulsystem einerseits, sowie zwischen den systemischen Ebenen andererseits so gut es geht in den Blick zu bekommen. Inwieweit dabei alle Ebenen, also z. B. mit Fend (2006) gesprochen Mikro-, Meso- und Makroebene greifbar werden, wird sich zeigen. Mindestens die Mikro- und die Mesoebene müssten aber in den Blick kommen. Daraus resultiert die dritte Frage in diesem Bereich:

c. Welche Wechselwirkungen zeigen sich zwischen Individuen und sie umgebendem System und welche Rolle spielen dessen unterschiedliche Ebenen?

      2.5.4 Anlage und Methoden dieser Studie

      Der Forschungsüberblick hat gezeigt, dass die sehr häufig gewählte theoretische Rahmung mit Hilfe psychologischer Theorien, insbesondere der Interdependenztheorie, eine stark auf das Individuum fokussierte Perspektive erzeugt. Weiterhin hat sich gezeigt, dass die Bezüge zu Entwicklungspsychologie und Sozialkonstruktivismus häufig nicht konsequent begrifflich ausgearbeitet sind. In der aktuellen empirischen Forschung werden daher neue Bezugstheorien (z. ;B. Machttheorien) oder Forschungsdesigns und -methoden (teilweise komplexe Designs) herangezogen, um bislang nicht beforschte Aspekte zu beleuchten. Diesem Weg folgt auch diese Studie. Das beforschte Phänomen „Kooperatives Lernen im Englischunterricht“ ist in zweifacher Weise komplex: Erstens werden im Unterricht potenziell verschiedene Zielfelder (z. B. sprachliches, kulturelles, soziales Wissen und Können) gleichzeitig thematisch, und zweitens ist die Schule als soziale Institution und Organisation mit ihren verschiedenen Ebenen komplex strukturiert. Diese Untersuchung versucht, dieser Komplexität durch Triangulation auf verschiedenen Ebenen gerecht zu werden.

      Zunächst werden drei Perspektiven miteinander trianguliert, eine Prozess-, eine Produkt- und eine Akteursperspektive (Abb. 2.1). Die Prozessperspektive wird durch die Unterrichtsstudie (Kap. 3) realisiert. Die Rekonstruktion des Unterrichts erfolgt anschließend an die aktuelle Diskussion schulpädagogischer Unterrichtsforschung, die Unterricht im Spannungsfeld von Pädagogizität und Sozialität verortet. Mittels dokumentarischer Methode werden Unterrichtsvideographien interpretiert und der Unterricht hinsichtlich seiner Sozialstruktur (z. B. Macht, Herrschaft, Lehrer-Schüler-Verhältnis) und hinsichtlich des fachlichen Lern- und Bildungsgeschehens (z. B. Lerngelegenheiten, didaktische und methodische Strukturierungen) untersucht. Die Produktperspektive wird durch zwei Elemente realisiert. Auf der Ebene des sprachlichen Lernens werden die Wirkungen des Unterrichts in der Sprachstudie (Kap. 4) erfasst. Sprachkompetenz wird dort eindimensional modelliert und mittels C-Tests, die zu Beginn, im Verlauf und am Ende der Untersuchung eingesetzt wurden, erfasst. Die Messung der Sprachkompetenz erfolgt somit quantitativ, und es werden alle Lernenden individuell erfasst. Die sozialen Kompetenzen der Schüler*innen werden hingegen im Rahmen der Unterrichtsstudie auf der Ebene der Arbeit der Kleingruppen rekonstruiert. Dabei können keine individuellen Effekte für Einzelschüler*innen gemessen werden, sondern die Einschätzung erfolgt mittels der Kategorie „soziale Kompetenzen“ im Kategorienraster zur Kooperativität (s. u.). Die Akteursperspektive schließlich wird in der Professionsstudie realisiert (Kap. 5). Sie schließt an die schulpädagogische Professionsforschung an, die in letzter Zeit verstärkt in den Fachdidaktiken rezipiert wird. In strukturtheoretischer bzw. biographischer Perspektive wird Professionalisierung als im Verlauf der eigenen Biographie notwendige Bearbeitung professionsspezifischer Handlungsprobleme aufgefasst. Die Teilstudie basiert je Lehrerin auf jeweils einem berufsbiographischen und drei begleitenden episodischen Interviews, die mittels Dokumentarischer Methode analysiert werden.

      Abb. 2.1:

      Die drei Teilstudien des Projekts „Kooperatives Lernen im Englischunterricht“.

      In der Darstellung der Perspektiven ist bereits deutlich geworden, dass Triangulation auch auf methodologischer Ebene stattfindet, indem eine grundsätzlich rekonstruktive