Andreas Bonnet

Kooperatives Lernen im Englischunterricht


Скачать книгу

Blickfeld. Auch in diesem Bild dominieren allerdings mehr oder weniger autonom gedachte Lehrer*innen, die bei entsprechendem Training, oder bei entsprechender Veränderung ihrer Überzeugungen, oder eben durch Kooperation, optimales KL herbeiführen können. Passt dies zur herrschenden Schulkultur? Buchs und Butera (2015, 207) verneinen dies:

      We recognised that cooperative learning might be at odds with the more general competitive and individualistic culture in which pupils and students are embedded, which might be necessary to teach them how to cooperate; thus we set out to analyse the factors that may counter such competitive culture.

      Während auch dieses Zitat letztlich Optimismus verbreitet, dass Kooperativität auch in den Schulsystemen kapitalistischer Leistungsgesellschaften erzeugt werden kann, lenkt es doch den Blick darauf, dass dazu erhebliche Anstrengungen der handelnden Individuen erforderlich sind. Und es impliziert, dass diese Anstrengungen auch scheitern können. Das zentrale Ziel dieser Studie wird es daher sein, die hier angedeutete Verwiesenheit verschiedener Ebenen und Akteure aufeinander zu entwirren und zu beleuchten und dabei besonders die Lehrer*innen in den Blick zu nehmen.

      2.5 Zusammenfassung

      Aus der Diskussion der vorliegenden theoretischen und empirischen Arbeiten zu KL lassen sich damit folgende Schlüsse ziehen.

      2.5.1 Begriffsverwendung in dieser Studie

      Die Diskussion des Forschungsstands hat gezeigt, dass zu KL diverse terminologische Vorschläge existieren. Im folgenden Abschnitt geht es darum, eine Begrifflichkeit zu bestimmen, die für Unterrichtsrekonstruktionen und Lehrerstudie ausreichende Differenzierungsmöglichkeiten bietet ohne dabei zu komplex zu werden. Inwieweit weitere Unterscheidungen sinnvoll und angemessen sind, kann erst nach Abschluss der empirischen Untersuchung gesagt werden.

      Anschließend an einen vorliegenden Klassifizierungsvorschlag (Bonnet 2009) soll von KL immer dann gesprochen werden, wenn die Basiselemente mindestens teilweise umgesetzt sind. Alle von Think-Pair-Share abgeleiteten Methoden, wie z. B. Placemat oder Gruppenpuzzle werden im Folgenden als Mikromethoden bezeichnet, da sie unabhängig voneinander einzeln und mit sehr geringer Länge eingesetzt werden können. Um in solcher Weise einzelne Stunden kooperativ zu gestalten, helfen Methodensammlungen (z. B. Brüning/Saum 2007), die im englischen Sprachraum als structural approach (Olsen/Kagan 1992) bezeichnet werden. Mehr Planungsarbeit erfordern die als curriculum packages (ebd.) bezeichneten Modelle, die verschiedene Methoden und Grundprinzipien (Wettbewerb, Kooperation und Einzelarbeit) zu festen Sequenzen wie Teams-Games-Tournaments kombinieren (z. B. Slavin 1995).

      Geht man von den Basiselementen aus, stellt man fest, dass nicht nur die augenblicklich unter diesem Label gehandelten Methoden KL ermöglichen. Insbesondere die in der Englischdidaktik schon länger bekannten Inszenierungsformen Storyline, Simulation oder task-based-approach ermöglichen die Umsetzung der Basislemente in je unterschiedlicher Weise. Vor allem bei den ersten beiden sind direkte Interaktion sowie der Erwerb und die Anwendung von Sozialkompetenzen unverzichtbarer Bestandteil. Positive Abhängigkeit und individuelle Verantwortlichkeit können sich dadurch ergeben, dass in diesen Inszenierungen zumeist arbeitsteilig gearbeitet wird und kein Gesamtergebnis einer Gruppe zustande kommen kann, wenn nicht alle Mitglieder ihren Beitrag leisten. Darüber hinaus können diese Arrangements – insbesondere innerschulische Simulationen und Rollen- oder Planspiele – durch Rollenübernahme auch eine gewisse Authentizität erzeugen und produktive Krisen heraufbeschwören. In außerschulischen Simulationen – z. B. im Rahmen von Model-United-Nations – können die Schüler*innen darüber hinaus die Fremdsprache als lingua franca in einem internationalen Umfeld erleben und verwenden. All diese Methoden werden im Folgenden als Makromethoden des KL bezeichnet. Darüber hinaus gibt es noch eine dritte Ebene von KL. Integrative Modelle schließlich, die Kollaboration und individuelles Lernen kombinieren, sind nur im Rahmen von Schulentwicklung zu erreichen. Dazu wird die gesamte Unterrichtszeit auf die Kombination beider Arbeitsformen – z. B. durch Lernbüro und Projektarbeit – umgestellt.

      Damit ist der Rahmen abgesteckt. Zwei differenzierende Ergänzungen dieses Rahmens erscheinen schon jetzt sinnvoll. Um zwischen unterschiedlichen unterrichtlichen Realisierungen des KL unterscheiden zu können, erscheint der Vorschlag von Würffel (2007, 14) sehr produktiv, den Grad der Kooperativität eines jeweiligen Settings zu ermitteln. Zusätzlich zu den Basiselementen treten somit der Strukturierungsgrad (niedrig vs. hoch) und die Wissenskonstruktion (individuelle Konstruktion vs. kollektiv-interaktive Ko-Konstruktion) als Kategorien hinzu. Ebenfalls von Würffel (ebd., 14) stammt die Anregung, den Grad der „Selbststeuerung“ der Schüler*innen und damit ihre Eigenverantwortlichkeit zu bestimmen. Außerdem betonen diverse Untersuchungen (u.a. Buchs/Butera 2015) die Wichtigkeit der Zielstruktur für die resultierende Arbeit. Wo dies relevant erscheint, wird daher die Unterscheidung zwischen der Orientierung auf Leistungs- und jener auf Könnensziele verwendet.

      Alle diese Begriffe dienen zunächst als Heuristik und werden dort, wo sie als Begriffe der empirischen Rekonstruktion dienen sollen, näher bestimmt. In der Diskussion der Ergebnisse (vgl. Kap. 6.1.1) wird hinsichtlich der Unterrichtsstudie deutlich, welche terminologischen Unterscheidungen sich als empirisch gehaltvoll erwiesen haben. Auf dieser Basis wird dort dann ein dreistufiges Klassifikationssystem vorgeschlagen.

      2.5.2 Kurzresümee des Forschungsstands

      Wohin man auch blickt werden positive Wirkungen von KL, insbesondere im Kontrast zu frontal-lehrerzentrierten Unterrichtsformen herausgestellt. Sie zeigen sich beim sozialen Lernen, bei emotionalen Kategorien wie Motivation oder Selbstkonzept, beim fachlichen Lernen in verschiedenen Domänen, und bei der Qualität der Interaktion. Es ist daher nicht das Ziel dieser Studie, Wirkungszusammenhänge neu zu bestimmen. Der Produktanteil der Untersuchung hat vielmehr die Aufgabe, die unterrichtlichen Wirkungen im Auge zu behalten und dafür aufmerksam zu sein, ob sie in einem erwartbaren Rahmen liegen oder diesen Rahmen deutlich nach unten oder oben verlassen.

      Andererseits zeigen sich in der Literatur auch Bedingungen und Limitierungen für erfolgreiches KL. So werden auf Seiten der Schüler*innen Faktoren wie ihre jeweilige fachliche Leistungsfähigkeit, ihre Sozialkompetenzen oder auch ihre Ungewissheitstoleranz als mögliche Einflussfaktoren benannt. Andererseits weist die bisherige Forschung eindeutig daraufhin, dass die tatsächlich zustande kommende Interaktion entscheidend für die Wirkungen kooperativen Lernens ist. Diese Interaktion wird durch die in den kooperativen Materialien angelegte Zielstruktur sowie die darin zum Tragen kommenden Sozialformen stark beeinflusst. In der Literatur wird davon ausgegangen, dass soziale und inhaltliche Lernziele in einem engen Verhältnis zueinanderstehen. Zum einen legt die Literatur nahe, dass bestimmte Qualitäten der Interaktion nicht nur Ergebnis von KL sind, sondern auch eine Bedingung für die Erreichung der fachlichen Lernziele sein könnten. An anderer Stelle ist die Rede davon, dass beide sogar in einem Konkurrenzverhältnis stehen könnten (Pauli/Reusser 2000). Insofern ist das Unterrichtsmaterial von großer Bedeutung, denn es eröffnet bestimmte Möglichkeiten und verhindert andere. Die vorliegende Forschung verweist jedoch auch darauf, dass die in einer jeweiligen Klasse etablierte Lernkultur für die zustande kommende Kooperativität noch wichtiger ist als das Material selbst. Im Zweifelsfall werde das Material an die vorhandene Struktur assimiliert und nicht umgekehrt.

      Dieser Gedanke lenkt den Blick auf die Tätigkeit der Lehrer*innen, die die Bedingungsfaktoren erfolgreichen KLs positiv beeinflussen sollen. Sie werden in der Literatur als entscheidende Akteure gesehen, die unterschiedliche Aufgaben haben. Zuallererst seien sie dafür zuständig, förderliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die in jeder Art von Unterricht positiv wirken, wie z. B. emotionale Zugewandtheit oder Zielklarheit. Darüber hinaus wird aber auch betont, dass die Lehrer*innen entscheidend die Interaktion in der Klasse beeinflussen. Zum einen wirken sie als Modell unmittelbar. Zum anderen wird es für positiv erachtet, wenn sie auf der Basis intensiver Beobachtung mit zeitlich sehr begrenzten konstruktiven Impulsen die Gruppenarbeit positiv beeinflussen. Dazu sei, so die verbreitete Annahme, v. a. explizites Wissen über kooperative Methoden und grundlegende Prinzipien des KL erforderlich, das in trainingsartigen Fortbildungen erworben werden könne. Daran geäußerte Zweifel sind hingegen nur sehr schwach zu vernehmen.