Andreas Bonnet

Kooperatives Lernen im Englischunterricht


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von KL über die Basiselemente und das Moment der starken Strukturierung, nehmen andererseits innerhalb dieser vorstrukturierten Arrangements aber sehr wohl die Ko-Konstruktion von Wissen an (Dörnyei 1997).

      4 In aktuellen unterrichtspraktischen Aufsätzen ist die Orientierung am Grundprinzip des Think-Pair-Share vorherrschend. Es wird entweder explizit genannt (Agethen 2012; Kraus 2012; Küppers 2012) oder implizit deutlich (Blume 2012; Schlinghoff 2012). Im Gegensatz dazu stehen Veröffentlichungen, die bewusst Bezüge zwischen KL und anderen Ansätzen wie Storyline oder Simulation herstellen (Bonnet 2009; Breidbach 2009; Fischer 2009; Stoffregen 2009).

      Angesichts dieser Vielfalt von Definitionen erscheint eine zuspitzende Begriffsbestimmung sinnvoll. Dazu liegt ein Vorschlag von Rebecca Oxford (1997) vor. Zur Systematisierung der zahllosen, im Zuge der kommunikativen Wende des Fremdsprachenunterrichts in den 1970er und 1980er Jahren entstandenen Ansätze zur Inszenierung zielsprachlicher Interaktion im Fremdsprachenunterricht greift sie die Unterscheidung von Dillenbourg et al. (1996) auf und schlägt vor, drei Bereiche zu unterscheiden: „Cooperative learning, collaborative learning, and interaction are three ‚communicative strands‘ in the foreign or second language (L2) classroom“ (Oxford 1997, 443).

      KL wird von Oxford – mit unwesentlich anderer Schwerpunktsetzung – analog zu den bis hierher referierten Ansätzen über die Basiselemente definiert, v. a. positive Abhängigkeit und individuelle Verantwortlichkeit. Die Autorin beschreibt übereinstimmende Befunde zu dessen Wirkungen und benennt Vorgehensweisen bei der Planung kooperativen Unterrichts; ferner unterscheidet sie vier Inszenierungstypen (Teambuilding-Methoden, Arbeitsteilungs-Methoden, Kommunikations-Methoden, Expertisebildungs- und Wiederholungs-Methoden). Aus ihrer Aufzählung wird deutlich, dass damit ausschließlich jene Methoden gemeint sind, die auf das Think-Pair-Share-Prinzip zurückgehen. Als zentrales Charakteristikum arbeitet sie heraus, dass KL ganz bestimmte Ziele – insbesondere im Bereich des sozialen Lernens – verfolgt, deren Erreichen durch eine hohe Vorstrukturierung der Interaktionsformen, die die Lernenden in engen Bahnen leiten, sichergestellt werden solle.

      Im Gegensatz dazu stehe kollaboratives Lernen, das sich gerade nicht in den engen Bahnen vorgegebener Methoden, sondern vielmehr in der freien, sogar über klar definierte Projekte im engeren Sinne hinausgehenden Arbeit an „broad content-rich ideas“ (ebd., 447) vollziehe. Als zentrale theoretische Bezugspunkte benennt Oxford Deweys Pragmatismus und Vygotskys Sozialkonstruktivismus. Daraus ergäben sich Ziel und Weg dieses Ansatzes. Das Ziel sei nicht die Erreichung klar vorgegebener sozialer oder inhaltlicher Teilfertigkeiten, sondern vielmehr die bewusste, weil reflektierte Akkulturation der Lernenden in eine Lernergemeinschaft. Die dabei zu entwickelnden Fähigkeiten würden dadurch erworben, dass die Lernenden unterstützt durch Lehrende und peers in ihrer Zone der proximalen Entwicklung arbeiteten. Diese Zone könne durch entsprechende Unterstützungsmaßnahmen (scaffolding) ausgeweitet und damit deren Lerneffekte erhöht werden. Als wesentliches Charakteristikum dieses Ansatzes wird herausgearbeitet, dass die Lernenden und Lehrenden eine Gemeinschaft bilden, die durch in gemeinsamer Praxis ausgehandelte soziale und kulturelle Übereinkünfte definiert wird. Hier drängt sich die Idee der Praxisgemeinschaft (Wenger 1998) als Analogie auf, in der Lernen in gemeinsamer Arbeit an großen Themen stattfindet.

      Als dritte Inszenierungsform nennt Oxford Interaktion, unter die sie eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze, wie z. B. Spiele, Rollenspiele, Simulationen oder dramapädagogische Formate subsumiert. Ein gemeinsames Charakteristikum ergibt sich in ihrer Darstellung für diese Gruppe von Ansätzen nicht, sondern sie würden dadurch verbunden, dass sie Aufgabenformate verwenden, die Interaktionsbereitschaft und zielsprachliche Kommunikation förderten, Raum für unterschiedliche Lernerstile und -strategien ließen und Gruppendynamik berücksichtigten. Dementsprechend werden in der Gegenüberstellung sowohl der Grad der Vorstrukturierung als auch der Grad der Offenheit der Aufgaben als variabel bezeichnet.

      Diese dreiteilige Klassifikation macht einerseits auf wichtige kritische Aspekte aufmerksam (vgl. Kap. 2.2.3). Sie trägt aber nur bedingt zu einer Präzisierung des Begriffs bei. So bringt Oxford das KL sehr gut auf den Punkt. Ihre Ausführungen zu kollaborativem Lernen bleiben aber auf der Ebene übergeordneter Ziele (Akkulturation) und Konzepte (scaffolding), so dass es auf der Basis ihrer Überlegungen schwierig ist, kollaboratives Lernen im Unterricht als solches zu erkennen. So wird sie an keiner Stelle konkreter als die genannten „broad content-rich ideas“, so dass unklar bleibt, ob auch Projektarbeit oder task-cycles im Sinne der Aufgabenorientierung (vgl. z. B. Nunan 2005) als kollaboratives Lernen gelten können oder dafür noch zu kleinschrittig sind. Dies gilt noch mehr für den von ihr Interaktion genannten Bereich, der eigentlich eine Restkategorie für nicht in die beiden vorgenannten Gruppen passende Ansätze ist. Auch die Überlegungen von Oxford verweisen somit auf die Notwendigkeit einer begrifflichen Präzisierung, ihre Dreiteilung wirft neue Probleme auf und ist nicht trennscharf. Das terminologische Problem erweist sich damit als ein konzeptuelles Problem. Um den Begriff des KL abschließend klären zu können, müssen daher zunächst seine theoretischen Rahmungen betrachtet werden.

      2.3 Theorien zu Kooperativem Lernen

      Die Forschung zu KL ist stark mit den Namen der amerikanischen Psychologen David und Roger Johnson verbunden. Ihr Buch Learning together and alone (1994) und dessen Folgepublikationen (s. u.) haben in umfassender Weise die bis zu seinem Erscheinen verfügbaren empirischen Ergebnisse zusammengefasst und daraus Konzepte für kooperative Formen des Lehrens und Lernens abgeleitet. Sie haben auch den Versuch unternommen, einen theoretischen Rahmen zu formulieren, innerhalb dessen KL beforscht werden kann. Ihre Befunde werden immer wieder als grundlegend und die positiven Wirkungen von KL stützend referiert. Daher bilden ihre Überlegungen den Ausgangspunkt der theoretischen Diskussion.

      2.3.1 Gruppendynamik und Motivation

      Johnson und Johnson (2015, 2003, 1994) gehen von der Prämisse aus, dass Menschen als soziale Wesen am meisten erreichen, wenn sie Aufgaben gemeinsam bearbeiten. Sowohl ihr Maßstab für Erreichtes als auch ihr Konzept des Bearbeitens von Aufgaben sind weit gefasst. Als Aufgaben – sie verwenden interessanterweise zumeist das Wort effort, das semantisch unmittelbar mit Anstrengung verbunden ist – verstehen sie unterschiedliche Dinge, denen Menschen sich stellen können: einen Berg besteigen, ein Buch schreiben, in der Schule Kompetenzen erwerben. Und Erfolg wird nicht einseitig wirtschaftlich oder in Bezug auf Lernen verstanden, sondern mindestens genauso wichtig nehmen sie emotionale und soziale Wirkungen. Sie gehen davon aus, dass Menschen nicht nur nach Geld oder Wissen streben, sondern auch sich selbst kennenlernen und in für sie gut balancierten sozialen Beziehungen leben wollen.

      Dementsprechend enthält ihr theoretischer Rahmen mehrere Elemente. Das erste Element hat mit Schule nur am Rande zu tun. Aus der Forschung zu Gruppendynamik in der allgemeinen Psychologie verwenden sie das Konzept der sozialen Interdependenz1. Sie unterscheiden damit drei Formen, in denen sich soziales Miteinander vollziehen kann und nehmen an, dass diese Formen auch zu unterschiedlichen Wirkungen führen. Positive Interdependenz führe zu produktiver Kooperation. Negative Interdependenz führe zu gegenseitig blockierendem Wettbewerb. Individualisierung erzeuge keine Interdependenz und führe damit auch zu keinem Austausch:

      The social interdependence perspective assumes that the way social interdependence is structured determines how individuals interact which, in turn, determines outcomes. Positive interdependence (cooperation) results in promotive interaction as individuals encourage and facilitate each other’s efforts to learn. Negative interdependence (competition) typically results in oppositional interaction as individuals discourage and obstruct each other’s efforts to achieve. In the absence of interdependence (individualistic efforts) there is no interaction as individuals work independently without any interchange with each other (Johnson/Johnson 1994, 39).

      Diese Perspektive verbinden sie mit zwei theoretischen Ansätzen, die sich fragen, warum und wie Menschen lernen. Mit Jean Piaget nehmen sie an, dass Interaktion für individuelles Lernen unverzichtbar ist. Menschen erkennen in Gesprächen, wo ihre Meinungen, Bewertungen oder Vorstellungen auf unzutreffenden Annahmen beruhen (kognitiver Konflikt) und erhalten so Gelegenheit, ihre Annahmen zu verändern (Akkommodation): Lernen findet statt. In ähnlicher