war der Erste auf der Insel, er hat sogar den Leuchtturm installiert. Es ist nicht einfach, einen Ort zu verlassen, an dem man sich wohlgefühlt hat. Aber es ist mir gelungen, mit frischem Brot und vor allem zehn Kilogramm selbst gemachtem groben Salz, die sie mir geschenkt haben, damit ich künftig meine Fische konservieren kann. Jetzt, auf Teneriffa, werde ich das Boot für die Atlantiküberquerung fit machen. Die Abfahrt ist definitiv für die nächste Woche geplant.
EIN ETWAS SPEZIELLES GESCHENK
Bei der Planung meiner Zwischenstopps und Starts richte ich mich nach dem Wind. Ich bin immer noch nicht losgefahren. Das Wetter lässt es nicht zu. Aber ich habe es nicht eilig, ich habe keine Verpflichtungen, bin vollkommen frei. Wenn möglich, nutze ich die Zeit, um zu arbeiten und ein bisschen Geld zu verdienen. Im Moment unterrichte ich Kitesurfing.
Vor ein paar Tagen ist eine fuchsrote Schönheit mit schelmischem Blick und seltsamem Gang in mein Leben getreten. Der Gedanke an ein Huhn hat mich insgeheim nie losgelassen, und diesmal ist es eine ausgemachte Sache, dass ich nicht allein, sondern mit Huhn wieder in See steche. Ich habe darüber mit Freunden vor Ort gesprochen, die mir angeboten haben, eins für mich aufzustöbern. So habe ich dieses etwas spezielle Geschenk in einer kleinen Pappkiste erhalten. Ich habe es Monique getauft. Wie die alte bretonische Trinkschale in meiner Kombüse, auf der dieser Name in Schönschrift geschrieben steht. Sie stand bereits im Schrank, als ich YVINEC gekauft habe, und wartete auf ihren Besitzer. Wie von selbst haben sich die Dinge geregelt.
Auf See: Ich genieße das Meer in all seinen Facetten.
ETAPPE
02
ÜBER DEN ATLANTIK
3.140 MEILEN
28 TAGE
25 EIER
28° 16’ NORD, 16° 36’ WEST
ÜBER DEN ATLANTIK
Gemeinsam fahren wir hinaus auf das große blaue Meer: Vom warmen Passat geschaukelt, überqueren wir den Atlantik im Rhythmus der auf- und untergehenden Sonne. Hätte ich mir für eine erste lange Ozeanüberquerung bessere Bedingungen erträumen können?
17.4.2014
Schon in der ersten Nacht an Bord legt Monique ein Ei. In ihrem zusammengebastelten Verschlag hinten im Cockpit fühlt sie sich, glaube ich, schon zu Hause.
21.4.
Wir haben die Kanaren vor fünf Tagen verlassen und sind jetzt 200 Meilen von den Kapverden entfernt. Seit unserer Abfahrt herrscht ein angenehmer Seegang mit stetigem Wind. Doch gegen 14 Uhr legt der Wind heftig zu. Der Spinnaker, aus dem Gleichgewicht gebracht, lässt YVINEC gefährlich von einer Seite zur anderen schwanken. Ich muss ihn so schnell wie möglich bergen, damit die Geschichte nicht böse endet. Noch ehe ich etwas unternehmen kann, ertönt plötzlich ein ohrenbetäubender Lärm. Als mein Blick auf den Mast fällt, ist der Spinnaker nicht mehr da. Ich bin leicht verwirrt und brauche einige Sekunden, um zu begreifen, dass er gerissen und dann ins Meer gefallen ist. Mit weit ausgestreckten Armen muss ich ihn aus dem Wasser ziehen. Ich werde ihn an Land flicken. Den Rest der Atlantik- überquerung muss ich ohne ihn auskommen.
23.4.
Ich lerne, mich auf YVINEC einzustellen: essen, mich von A nach B bewegen, bei Krängung schlafen. Es stimmt, dass an Bord nichts einfach ist und alles mehr Zeit braucht: Geschirr spülen, Wäsche waschen, denn das Boot ist ja nicht mit elektronischen Haushaltsgeräten ausgestattet, Mahlzeiten zubereiten und gleichzeitig navigieren ...
Trotzdem habe ich das seltsame Gefühl, Zeit zu gewinnen. Ich lerne viel und denke viel nach. Mein Geist schweift umher, macht Pläne, webt Netze, kehrt in die Vergangenheit zurück, erfindet sie neu und erschafft eine Zukunft. Wohin wird meine nächste Etappe mich führen? Was wird mein nächstes Projekt sein? Wie soll ich an Land mit den 60 Cent, die ich noch habe, auskommen? Ich muss die Bordkasse wieder auffüllen, wenn ich YVINEC auf Vordermann bringen will.
23.4.
Monique scheint sich gut an ihr neues Leben auf See zu gewöhnen. Sie spaziert die ganze Zeit auf Deck herum trotz Wind, Regen oder sich brechender Wellen. Nichts hält sie auf.
Aus Angst, dass sie ins Wasser fallen könnte, schaue ich reflexartig immer wieder ins Kielwasser des Boots. Doch immer schafft sie es, sich mit einem Flügelschlag wieder zu fangen, und mit einem fliegenden Fisch im Schnabel kommt sie klitschnass zurück. Mir ist bewusst, dass ich ein Risiko eingehe. Aber auf Deck fühlt sie sich wohler als unter Deck eingesperrt.
Ich mache seltsame Erfahrungen, seitdem wir zusammen sind. Vor Kurzem habe ich entdeckt, dass ihre Eier leicht nach Jod schmecken, wenn sie Fisch gefressen hat.
Auf dem Meer scheint die Zeit stillzustehen, Tage und Stunden verlieren an Bedeutung.
ICH FISCHE DORADEN, THUNFISCHE, BARRAKUDAS USW. MIT DEN EIERN VON MONIQUE UND DEM GANZEN FRISCHEN FISCH MAUSERT SICH YVINEC ZU EINEM FÜNF-STERNE-RESTAURANT.
29.4.
Soeben ist mir ein Thunfisch entwischt. Er hatte sich gut im Angelhaken verbissen, hat sich aber losgerissen, als ich ihn aus dem Wasser ziehen wollte. Er war so groß, das ich nichts machen konnte. Ohnehin behalte ich Fische nur, wenn ich sicher bin, dass ich sie komplett aufessen kann. Die größten lasse ich widerwillig ziehen. Ich kann sie nicht konservieren, und ich will wirklich nichts vergeuden.
Auf dem Meer ernähre ich mich nur von dem, was ich fange. Hinter YVINEC schleift immer eine Angel durchs Wasser. Ich fische Doraden, Thunfische, Barrakudas usw. Mit den Eiern von Monique und dem ganzen frischen Fisch mausert sich YVINEC zu einem Fünf- Sterne-Restaurant.
Oft teile ich diese Köstlichkeiten mit Monique. Ehrlich gesagt lässt sie mir eigentlich gar keine Wahl: Sie stürzt sich auf die erbeuteten Fische, als wäre sie am Verhungern.
Welchen Tag haben wir? Ich habe aufgehört, die Tage zu zählen, ich muss nachschauen. Auf dem Meer scheint die Zeit stillzustehen, Tage verlieren ihre Bedeutung ebenso wie Stunden. Ich bin in meiner Blase, im Einklang mit den Elementen. Ich fühle mich privilegiert. Im Lauf der Zeit lerne ich YVINEC besser kennen: Wo liegen ihre Grenzen, wo ihre Möglichkeiten? Ein Boot ist wie ein Mensch. Beide haben eine eigene Persönlichkeit, individuelle Charaktereigenschaften. Um gemeinsam voranzukommen, müssen wir einander akzeptieren und verstehen.
Abends versuche ich zu lesen, auch wenn es mir keinen großen Spaß macht. Ich studiere den Wetterbericht, um den Horizont, die Zeichen des Himmels, die Wolken, den Regen, den Seegang besser zu begreifen. Da ich auf einer Insel groß geworden bin, habe ich die Grundlagen des Navigierens erlernt, aber meine Kenntnisse reichen nicht aus. Auf dem Wasser muss man in der Lage sein, in jedem Augenblick vorauszuahnen, was geschieht.