Inhalte und Hintergründe reflektieren als die deutschen, steht das Fest dort in einem umfassenderen Kontext religiöser Praktiken, als das die deutschen Wünsche sprachlich widerspiegeln würden. Dieser Kontext religiöser Praktiken schreibt dem Weihnachtsfest in Griechenland aber gleichzeitig nicht den Status zu, das wichtigste Fest des Jahres zu sein, als das es in Deutschland durchaus verstanden werden kann. Aus solchen sprachlichen Fakten kann natürlich nicht einfach abgeleitet werden, welche Relevanz in beiden Sprachgemeinschaften Religion jeweils hat. Die im Deutschen und Griechischen unterschiedlichen Glückwüsche reflektieren aber, dass das gemeinsame Fest ‚Weihnachten‘ in je andere gesellschaftliche Traditionen und Praktiken eingebettet ist, die eigene Charakteristika aufweisen und eigene Gewichtungen vornehmen.
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Literatur
Babiniotis, Georgios. o.J. Χριστουγεννιάτικα της γλώσσας / με πολλές ευχές, www.babiniotis.gr/lexilogika/leksilogika-2/478-xristougenniatika-tis-glossas-me-polles-efxes
Busch, Adolf. 1896/1926. Das Glückwunschbuch. 16. Aufl. Berlin: Schultze.
Holly, Werner. 2001. Beziehungsmanagement und Imagearbeit. In: Brinker, Klaus/Antos, Gerd/Heinemann, Wolfgang/Sager, Sven F. (Hrsg.). Text und Gesprächslinguistik. Bd. 2. Berlin/New York: de Gruyter, 1382–1393.
Kluge, Friedrich. 2011. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 25., durchgesehene und erweiterte Auflage. Berlin/Boston: de Gruyter.
Rosenbauer, Frank. 2007. Grüße und Glückwünsche. Wie sage ich’s richtig? Planegg/München: Haufe.
4 Weihnachtswünsche im deutsch-italienischen Vergleich
Die kulturlinguistische Perspektive
Silvia Bonacchi
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1 Weihnachtswünsche
Während man in Deutschland zu Weihnachten Frohe Weihnachten, mein Schatz! sagt, heißt es in Italien: Buon Natale, carissimo! Nicht nur an den wichtigsten Feiern – dazu gehört Weihnachten – pflegen wir unseren Teuren Glückwünsche (in Italien: auguri) auszusprechen. Glückwünsche sind Mittel der Beziehungsgestaltung bei wichtigen Anlässen: Zum Geburtstag, zur Taufe, zur Hochzeit, zum Gelingen einer Prüfung oder einer Sportleistung, zu einer beruflichen Entwicklung wünschen wir uns nah stehenden Menschen Glück, Erfolg, Liebe, Gesundheit oder das gute Gelingen des Unternehmens. Aus der Sicht ihrer propositionalen Struktur können sich Glückwünsche aber sehr unterscheiden: von komplexen syntaktischen Konstruktionen bis zu formelhaft standardisierten Nominalphrasen. Oft werden Glückwünsche vom performativen Verb „wünschen“ eingeleitet, manchmal wird dieses vorausgesetzt – so etwa im Deutschen: Ich wünsche euch einen schönen Abend! vs. Schönen Abend!, im Italienischen: Vi auguro una buona serata! vs. Buona serata! Wünsche verblassen manchmal zu Routineformeln, wie etwa Grußformeln, die anfänglich als Wunschformeln entstanden sind:
Ich wünsche dir einen guten Tag! -> Guten Tag!
Ich wünsche dir guten Appetit! -> Guten Appetit!
Glückwünsche sind aber keine Gelegenheitssprüche, sondern kommunikative Einheiten, die das Resultat einer kulturellen Schichtung sind – denn Kultur ist nicht etwas Einheitliches, sondern wie Gesteine das punktuelle Ergebnis eines immer fortlaufenden Sedimentationsprozesses menschlichen Tuns und menschlicher Sinngebung –, in der Vergangenheit ein Zeichen des Wohlwollens der Götter für die Menschen und heute ein Zeichen der positiven Anteilnahme an einem Ereignis der Person, die sie ausspricht, und die von Empfänger*innen überwiegend als freudig empfunden werden. Glückwünsche, das kennen wir alle aus unserem täglichen Sprachgebrauch, machen eine Reaktion erforderlich. Wir nehmen sie entgegen, bedanken uns etc. In der Interaktionslinguistik spricht man von einer Sequenzstruktur, wenn man einen Glückwunsch und die Reaktion auf den Glückwunsch als eine Einheit betrachtet. Aus der Sicht dieser Sequenzstruktur kann unser*e Adressat*in unsere Glückwünsche entgegennehmen – dies auch nach bestimmten Regeln der Antwort (meist einer Danksagung) und der Erwiderung (meist eine eventuell verstärkte Wiederholung) – oder nicht – vor allem durch Nichtachtung dieser Regeln der Gegenseitigkeit. Große Feste, wie etwa Weihnachten, verlangen Rituale, die eine Kulturgemeinschaft verbinden. Zu den wichtigsten Ritualen an Weihnachten gehört der Austausch von Geschenken, und Glückwünsche sind ein tief sprachlich kodiertes „verbales Geschenk“, das mit Erwartungen verbunden (wer wem was wie wann wünscht) ist und bestimmten kommunikativen Regeln unterliegt.
2 Was machen wir, wenn wir jemandem etwas wünschen bzw. Glückwünsche aussprechen?
Was machen wir eigentlich, wenn wir Glückwünsche aussprechen? Wie wirken wir auf den Gesprächspartner und auf die Welt? Aus pragmalinguistischer Perspektive, die das Sprechen als eine Form des Handelns in der Welt betrachtet, haben Glückwünsche eine komplexe illokutionäre Struktur. Glückwünsche sind eine besondere Form des Wünschens, d.h. Propositionen, die im Rahmen einer deontischen Modalität zukunftsorientiert und dialogisch ausgerichtet sind: Etwas, das dem Adressaten bzw. Gratulierten zugutekommt, soll/kann/muss passieren. Glückwünsche stellen also keine Assertive dar, sondern sind eher als supportive expressive Sprechakte zu betrachten, die den Zustand des Sprechers und insbesondere seinen Wunsch, Freude beim Adressaten hervorzurufen, ausdrücken (Larrieta Zulategui 2015: 293). Manchmal haben sie auch eine direktive handlungsleitende Komponente – p(roposition), dass H(örer) h(andlung) macht; p(roposition), dass E(reignis) passiert.
Im deutschen performativen Verb wünschen und im italienischen augurare lässt sich aus der Sicht ihrer Wortgeschichte ein semantisches Spannungsfeld erkennen, das die kulturelle Breite des Aktes gut erfasst. Das Wort wünschen, ähnlich wie das Englische wish, leitet sich vom indoeuropäischen *ųen- ab (in der Bedeutung „streben“) mit dem indoeuropäischen Inchoativsuffix -sk(e/o)- in der Bedeutung „erstreben“.1 Das italienische Verb augurare und das Substantiv augurio (meist in der Pluralform auguri verwendet) leitet sich vom Lateinischen augurium ab. Gemeint ist damit die Weissagung der Auguren, die im alten Rom die Aufgabe hatten zu ergründen, ob ein geplantes Unternehmen den Göttern genehm sei. Durch die Deutung der Zeichen (signa bzw. auguria) verkündete der Augur den Götterwillen, den er erkannte durch die Auspizien2 – etwa aus dem Flug und dem Geschrei der Vögel und anderer Tiere. Das augurium ist also eng mit der Hoffnung verbunden, dass der Mensch in Harmonie mit dem Willen der Götter seine Entscheidungen trifft und mit dem Vorzeichen, dass in diesem Vertrauen immer etwas Gutes eintritt. Hier bahnt sich also ein Spannungsfeld an zwischen dem augurium als Beweis, dass in der Deutung des Willens der Götter der Mensch seine Götternähe bezeugt, und dem Wunsch als Bestrebung, dass etwas eintritt.
3 Die magische Kraft des Wortes
Indem wir jemandem etwas wünschen, enthüllen wir uns als Menschen, die an die magische Macht des Wortes glauben: Das gesprochene Wort kann die Welt beeinflussen. In diesem Sinne treten die Glückwünsche in die Nähe der Zaubersprüche, die eine magische Wirkung hervorbringen sollen – ähnlich wie der berühmte „Hals- und Beinbruch!“ bei den Prüfungen, der wie „der gute Rutsch ins Neue Jahr“ noch vom deutsch-jiddischen Sprach- und Kulturkontakt zeugt.1 Dem Aussprechen des Zauberspruchs liegt die Überzeugung zugrunde, dass die magische Perfomativität des Spruchs die Welt ändern kann (Haeseli 2011). Glückwünsche können also als eine Art moderne Beschwörungstexte betrachtet werden. In der vorchristlichen, heidnisch-germanischen Frühzeit dienten Zaubersprüche dazu, sich durch die Macht des gebundenen Wortes die magischen Kräfte dienstbar zu machen. Heidnische Zaubersprüche sind dann zu christlichen Heilsegen geworden, die im Mittelalter oft als verbale Therapie durch die Mönchärzte gepflegt wurden (Ernst 2011). Der Zauberspruch kann einen Dämon jagen, der für das