Uschi Zietsch

Elfenzeit 6: Zeiterbe


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diese besondere Kraft, die im Boden liegt. Schiefer. Aber nicht der übliche schwarzgraue. Blutig rot ist er. Wegen des Eisengehalts, sagen die Wissenschaftler. In den Legenden heißt es, die Baumfeen hätten den Boden mit ihrem Blut getränkt, um jene, die ihnen Böses wollten, in die Irre zu führen.«

      Baumfeen in der Menschenwelt waren David neu. Ein untrügliches Anzeichen dafür, dass Pierre sich offenbar seine eigene Geschichte ausdachte.

      »Was ist mit den Tieren?«, fragte David, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Gibt es noch viele Arten, die im Wald leben?«

      »Der Wald ist sommers wie winters reich an Futter. Wir haben immer noch Rehe hier, Füchse natürlich und Wildschweine«, zählte Pierre eifrig auf.

      David tauschte mit seiner Schwester Blicke aus. »Was ist mit Hermelinen?«

      »Ah, jetzt verstehe ich!«, rief der Geschichtenerzähler und nickte. »Unser Wappentier! Oui, oui. Man sieht sie selten, aber es gibt sie noch.«

      Rian beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Auch weiße?«

      Pierre schüttelte den Kopf. »Im Sommer? Non, tut mir leid, ma chère. Wenn du zu dieser Zeit ein weißes Hermelin siehst, dann bist du wohl schon auf dem Weg in den Himmel oder du hast zu viel Bordeaux getrunken.« Wieder lachte er und zeigte dabei seine Zähne.

      David schürzte die Lippen. Was hatte er erwartet? Wenn das weiße Hermelin wirklich ein Bote der Herrin vom See war, dann würde es sich gewiss nicht jedem dahergelaufenen Menschen zeigen, sondern nur ihnen. Aber hatte es das getan? David zweifelte noch immer.

      Nachdem sich die Zwillinge bei ihrem Begleiter bedankt und die Rechnung beglichen hatten, zog sich Pierre zurück und die Geschwister setzten sich im Kaminzimmer auf einen allerletzten Trunk zusammen, um den Tag Revue passieren zu lassen und das bevorstehende Abenteuer zu planen.

      Ein älteres Ehepaar saß auf der braunen Ledercouch und hatte eine Landkarte vor sich auf dem kleinen runden Tisch ausgebreitet.

      David und Rian schoben sich zwei der gemütlichen Sessel direkt an die Feuerstelle, um sich ein wenig aufzuwärmen. Der Regen am Nachmittag hatte die Temperaturen merklich abkühlen lassen.

      »Wie wollen wir zum See kommen?«, fragte David auf Deutsch, um Außenstehenden das Mithören zu erschweren.

      »Die Idee mit den Fahrrädern klingt doch nicht schlecht, sollte das Wetter sich von seiner freundlichen Seite zeigen«, gab seine Schwester zurück.

      Der See von Comper lag nur knapp zehn Kilometer von Paimpont entfernt. Etwas abgelegen von den Hauptstraßen, soweit sich das auf der Karte der Hotel-Broschüre erkennen ließ. Am Nordufer lag das Château de Comper. Doch damit war nicht das Heim von Nimue gemeint. Das lag für den Unbedarften unsichtbar in der Mitte des Sees.

      Erst jetzt fiel David auf, dass die Blaue Dame ihnen in Newgrange gar nicht verraten hatte, wie genau sie dort hineingelangen konnten. Doch der Abend war bereits zu weit fortgeschritten, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Dafür würden sich morgen eine Lösung finden.

      Die Nacht brachte David Albträume, in denen er zusehen musste, wie der Getreue ihm Nadja stahl. Wie eine erlegte Beute baumelte sie über seiner Schulter. Leblos. Und so zerbrechlich klein, dass es David vor Schmerz fast das Herz zerriss.

      Atemlos schreckte er hoch und fasste sich an die Brust. Dorthin, wo sein kleines Stück Seele saß und für elfische Augen manchmal sichtbar leuchtete. Wo bist du, Nadja? Wohin hat er dich und unser Kind verschleppt?

      Zwischen den Vorhängen am Fenster schimmerte bereits das erste Morgengrau ins Zimmer. Zu aufgewühlt, um nochmals einzuschlafen, stand er leise auf, um Rian in ihrem Bett auf der anderen Seite des Zimmers nicht zu wecken. Doch als er zwischen dem Stoff der Gardinen hinaus auf den Wald blickte, glaubte er erneut zu träumen.

      4.

       Kobolde auf Abwegen

      Irland, einige Kilometer von Newgrange entfernt

      »Komm schon, alter Mann, wir müssen weiter!«, plärrte Pirx ungeduldig und hüpfte auf und ab.

      »Irgendwann sind auch die Kräfte des besten Kobolds einmal verbraucht«, gab der Grogoch schnaufend zurück.

      Seit dem Kampf am Zeitgrab waren sie ununterbrochen unterwegs. Ohne Schlaf und ohne etwas Ordentliches zu essen. Dabei liebte Pirx eine gute Mahlzeit und einen vollen Magen.

      Was er nicht liebte, war die Dunkle Königin, und dennoch waren er und Grog auf der Suche nach ihr. Sie folgten der magischen Spur, die sie und ihre Schattenlandarmee auf der Flucht hinterlassen hatten. Unsichtbar für die Menschen, aber unverkennbar deutlich abzulesen für jene aus der Anderswelt, die noch alle ihre Sinne beieinanderhatten.

      Seit zwei Tagen folgten sie dem dunklen Signum nach Südwesten und langsam dämmerte Pirx, wohin Königin Bandorchu wollte. Auch, wenn sie es nun nach so langer Zeit geschafft hatte, das Schattenland zu verlassen, brauchte sie dennoch Energie. Und die gab es in der Menschenwelt mittels Ley-Linien.

      Die Dunkle Königin war offensichtlich zu einer solchen Strömung unterwegs. Vielleicht sogar zu einem Knoten, wie sie in Paris oder am Ätna bereits mit Hilfe der gesetzten Stäbe angezapft wurden. Soweit Pirx wusste, gab es weit und breit nur einen einzigen Ort, der dafür in Frage kam: Die Hügel von Tara.

      »Sie wollen zum Sitz der Hochkönige«, sprach Pirx seine Vermutung laut aus.

      Der Grogoch brummte sichtlich missmutig. Ob nun wegen des ewigen Marsches oder der schauderhaften Erkenntnis, blieb unklar. Wenn die Dunkle Königin auf so einem geschichtsträchtigen wie magischen Platz ihren neuen Wohnsitz errichten würde, hatten sie wahrhaft Übles zu befürchten.

      Die Ruinen dort waren nicht nur irgendein Domizil der einstigen Herrscher gewesen. Von dort aus hatten sie Feldzüge befohlen und losgeschickt. Selbst Götter wie Nuada mit der silbernen Hand und Lugh hatten an diesem Ort geherrscht und ihre Macht vergrößert.

      Pirx wusste, dass es Dutzende mehr gegeben haben musste, die auf Tara über die Epochen hinweg geherrscht hatten. Davon zeugten die vielen Kultstätten, Steinkreise und Ruinen, die sich auch heute noch in der Umgebung finden ließen.

      Die Gegend war nur wenig besiedelt. Zu viel Energie pulsierte unter der Erde und bereitete den Menschen und dem Vieh allzu oft Kopfschmerzen. Auch Kobolde konnten die Ströme fühlen, die tief im Boden wie Lavaströme pulsierten. So stark, dass die Empfindung die eigentliche Spur von Bandorchu und ihrem Gefolge immer mehr überdeckte.

      Kurz vor dem nächsten Dorf blieb Pirx alarmiert stehen. »Spürst du’s noch?«, fragte er seinen Koboldfreund.

      »Was denn?«, fragte Grog.

      »Die dunkle Spur.«

      Der Grogoch hielt inne, lauschte, schnupperte und riss die Augen auf. »Da ist nichts mehr. Gar nichts.«

      Pirx presste die Lippen zusammen und eilte vor und zurück, mal nach links und dann wieder nach rechts. Die Spur der Dunklen Königen war weg. Einfach fort!

      Ratlos hockte sich Pirx auf den Boden, zog sich die rote Kappe vom Kopf und biss immer wieder hinein, um seinem Ärger Luft zu machen.

      »Das bringt doch nichts«, sagte der Grogoch und kratzte sich ratlos den haarigen Bauch.

      So saßen sie da. Eine ganze Weile lang. Bis der Bauch des kleinen Pixie so laut knurrte, dass es selbst die Krähen in den Bäumen gehört haben mussten. »Die perfekte Zeit für eine Einkehr«, versuchte Pirx sich die Sache schönzureden. Schließlich konnte man nie wissen, wohin einen eine aussichtslose Situation führen mochte.

      Tara war nicht mehr weit, also machten sich die beiden Kobolde auf den Weg, um im nächsten Gasthof nachzusehen, was sie dort stibitzen konnten.

      Der Ort wirkte wie von der Zeit vergessen. Eine kleine Ansammlung von verstreut liegenden Bauernhäusern. Ein verwahrloster Sportplatz, eine Tankstelle, Pferdekoppeln und ein Pub war alles, was sich auf den ersten Blick finden ließ.

      Unsichtbar