Uschi Zietsch

Elfenzeit 6: Zeiterbe


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So lange, bis sie nichts mehr in ihre Bäuche hineinbekamen und kugelrund gefüttert unter einer Bank ein Päuschen machten.

      »Das war verdammt lecker«, sagte Pirx und rülpste ungeniert.

      Der Grogoch stieß ihn an, mahnte mit erhobenem Zeigefinger, leiser zu sein und brummte dann. »Es war in der Tat ein Festschmaus. Viel zu lecker.«

      Pirx verdrehte die Augen. »Wenn’s mal nichts zu meckern gibt, meckert man eben über das, was gut war, wie?«

      »Wir sollten uns besser wieder auf die Suche machen, statt hier fett und faul herum zu hocken«, gab Grog mit schuldbewusster Miene zurück.

      Aber Pirx ließ sich sein Verdauungspäuschen nicht so einfach verderben. »Wir suchen doch! Vielleicht hat einer der Menschen etwas bemerkt.«

      »Du meinst, denen ist die Armee aus fiesen Gestalten, die von einer wunderschönen, aber tödlichen Dame angeführt wird, aufgefallen? Die übersehen doch sonst immer alles, was nicht in ihr Weltbild passt.« Der Grogoch schmatzte skeptisch und rieb sich den vollen Bauch.

      »Die Menschen mögen allgemein stumpfsinnig und ignorant sein, aber hin und wieder gibt’s eben doch Ausnahmen«, erwiderte Pirx und rückte sich sein Mützchen zurecht. »Vielleicht hat einer was gewittert. So rein gefühlsmäßig. Hat ne Erscheinung gehabt oder sowas. Das kommt in den besten Geschichten vor!«

      »Wir sind hier aber nicht in einer Geschichte«, hielt Grog stoisch dagegen.

      »Das kann man nie wissen. Schließlich könnten wir Helden werden, wenn wir die Dunkle Königin aufspüren. Und Helden werden immer zu Legenden.« Pirx rappelte sich auf die Beine und spähte unter der Bank hervor, die Nase schnuppernd erhoben.

      Der Grogoch hingegen brummte nur. Vielleicht, weil es ihm doch ganz recht wäre, in einer Geschichte genannt zu werden. Oder aber, weil ihn das Stück Hühnchen drückte, das er sich am Ende genehmigt hatte.

      Pirx hingegen roch etwas, das ihn neugierig machte. Allerdings war es bei all den Gerüchen, die sich in dem Gasthof versammelt hatten, nicht einfach, dem Odeur eine Richtung zuzuordnen.

      »Hast du schon wieder Hunger?«, fragte Grog.

      »Iwo!«, sagte Pirx.

      »Was schnupperst du dann?«

      Der kleine Pixie schüttelte sich und machte einen Schritt unter der Bank hervor und unter den Tisch. Geradewegs zwischen die schweren Stiefel von ein paar Bauern, die sich zu einem späten Frühschoppen zusammengefunden hatten. »Da liegt was in der Luft, das nicht von dieser Welt ist. So ein Hauch von Fäulnis und Grausamkeit, der geradewegs durchs Zimmer geweht ist.«

      »Dann sind wir auf der richtigen Spur«, entgegnete der Grogoch und mühte sich ebenfalls zurück auf die Beine. Er musste einem Paar Schuhe ausweichen, als einer der Bauern seine Beine unversehens ausstreckte und übereinanderschlug.

      Pirx pirschte sich unterdessen am Tischbein vorbei in den Gang hinaus. Die Kellnerin war damit beschäftigt, einige übervolle Teller auf ein Tablett zu laden. So leise wie möglich wuselten die beiden Kobolde gemeinsam Richtung Ausgang.

      Gerade als Pirx zu einem großen Satz ansetzte, um die Klinke zu packen und herunter zu drücken, schwang die Tür nach innen auf und schleuderte den Pixie mit einem dumpfen Klatscher gegen den breiten Rücken eines Gastes.

      »Was’n hier los! Wer will Streit?«, polterte der Kerl, sprang auf und fuhr herum; sein Gesicht rot vom Wein und der hochkochenden Wut.

      Der schmächtige junge Mann im Eingang wusste gar nicht, wie ihm geschah. Schließlich konnte die Tür den Kerl rein logisch betrachtet bei dem Abstand gar nicht berührt haben. Aber Wein und Wut schlugen seit je her die Argumente von Sinn und Verstand. Also baute sich der Angerempelte vor dem vermeintlich Schuldigen auf, die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn zornig vorgereckt, wenn auch etwas wackelig in seiner Standfestigkeit. »Der kleine Pepe natürlich wieder«, lallte er angetrunken.

      Pirx hatte sich nach dem unfreiwilligen Flugmanöver erstmal unter den Stuhl gerettet und rieb sich den Rücken.

      »Alles in Ordnung?«, wisperte Grog und gesellte sich zu ihm.

      »Geht so«, gab der Igelpixie zurück, weil es tatsächlich ganz schön wehtat.

      Der junge Mann mit Namen Pepe blinzelte und schickte sich an, seinen Widersacher zu umrunden, um in die Wirtsstube zu gelangen. Doch so einfach ließ sich der Wuthannes nicht abspeisen.

      »Weissde wohl nich, wassich gehört, hm?«, grantelte er mit schwerer Zunge. »Dann muss ich dir halt Maniern beibringn.«

      Um den Gehalt seiner Drohung zu unterstreichen, wollte er Pepe am Kragen packen. Doch das schmächtige Bürschchen duckte sich unter der Hand weg und marschierte weiter, als wäre nichts.

      Pirx staunte nicht schlecht. Und dann roch er es wieder. Diese verräterische Spur. Sie haftete an dem Schmächtigen, als hätte man ihn darin gebadet. Als wäre er durch einen Strahl aus Bosheit gelaufen und würde immer noch eine Fahne des Geruchs hinter sich herziehen.

      Vielleicht hatte er den Pfad der Dunklen Königin gekreuzt, als sie hier vorbeigekommen war. Vielleicht hatte er direkten Kontakt gehabt. So genau ließ sich das nicht sagen. Flink eilten Pirx und der Grogoch Pepe hinterher, während der Raufbold, vor seinem Stuhl stehengelassen, immer noch schnaubte und sich schließlich setzte.

      Pepe hingegen ging ohne einen Gruß oder sonst eine Regung am Tresen vorbei, in die Küche und weiter in einen Raum, der ganz offenbar die Vorratskammer darstellte. Kisten, Säcke und Frischware stapelten sich auf dem Boden und in den Regalen.

      Von der Decke baumelte ein riesiger Schinken, der nach Rauch und Holzofen roch. Pirx lief schon wieder das Wasser im Mund zusammen. Vielleicht konnten sie später noch einmal vorbeischauen, um sich ein Stück davon einzupacken.

      »Was sucht er bloß?«, wisperte Grog dicht an seinem Ohr.

      Unbehelligt von den Angestellten kramte der schlaksige Kerl in den Stapeln herum, bis er schließlich fündig wurde. »Zahnstocher«, stand auf der Seite des Kartons geschrieben, den er nun packte und hinaustrug.

      Pirx schob die Hand unter die Mütze und kratzte sich ratlos zwischen den Stacheln. »Was will man mit tausenden von kleinen Holzstöckchen?«

      »Ich habe gesehen, wie ein Kind daraus den Eifelturm gebaut hat«, sagte der Grogoch und schubberte sich mit dem Rücken an einem der massiven Regale.

      »Aber ich hab’s doch gerochen! Diese faulige, stinkige Signatur war eindeutig nicht von der Menschenwelt!«, beharrte Pirx.

      »Vielleicht ist der Dunklen Königin langweilig?«, versuchte es Grog noch einmal.

      »Papperlapapp! Wir gehen der Sache nach«, entschied der Pixie und sauste Pepe nach, gefolgt von Grog. Die Tür nach draußen schwang hinter ihnen zu.

      Pepe hatte bereits einen gehörigen Vorsprung und eilte in schnellen Schritten in nördliche Richtung. Doch statt auf der Straße zu bleiben, bog er nach den letzten Häusern auf eine der Weidewiesen ab und marschierte querfeldein weiter. Ohne sich umzusehen oder sonst wie zu orientieren.

      »Seltsam«, bemerkte der Grogoch, während er schnaufend versuchte, mit Pirx Schritt zu halten. »Als würde er schlafwandeln.«

      Da war etwas Wahres dran. Pepe wirkte wie ferngesteuert. Ein willenloser Bote, der …

      »Waaah! Wo ist er hin?«, rief Pirx und blieb stehen.

      Eben noch hatte sich Pepe kaum fünfzig Schritt vor ihnen in Sichtweite befunden. Quasi direkt vor ihnen. Nun war er verschwunden. Von einer Sekunde auf die andere.

      »Vielleicht ist er hingefallen«, mutmaßte der Grogoch. »Oder in ein Loch gesprungen.«

      »Quatsch. Totaler Quatsch mit Soße!«, verkündete Pirx und eilte an genau die Stelle, an der er Pepe zuletzt gesehen hatte. Doch angekommen, waren dort weder Pepe noch ein Loch oder sonst etwas. Nur Wiese und dieses seltsam kribblige Gefühl.

      5.