Er war schon wieder an der Tür, als der Sekretär herangekommen war. Der Butler war blaß.
»Gibt es etwas Besonderes?« fragte der Sekretär erstaunt.
»Nein, nein! Wissen Sie, wohin sich die Prinzessin begeben hat?«
»Keine Ahnung, Herr Archibald. Sie stürmte aus meinem Zimmer und warf die Tür hinter sich zu. Ich konnte nicht sehen, wohin sie lief.«
Also mußte Archie suchen.
Daß er Edina suchen mußte, war für ihn ganz klar. Er konnte sich denken, wie verstört sie sein mußte, nachdem sie die Nachricht von der Verlobung des Fürsten bekommen hatte.
Archie wußte doch, wie sehr Edina sich in den Gedanken verrannt hatte, die Auserwählte des Fürsten zu sein, wie sicher sie gewesen war.
Ob es sich bei dem jungen Mädchen dagegen wirklich um Liebe handelte, wußte Archie nicht so genau. War es nicht viel mehr Schwärmerei, Einbildung?
Aber wie dem auch sein mochte. Edinas Enttäuschung mußte grenzenlos sein, und sie brauchte Hilfe.
Archie war hinaus in den Park gelaufen, er wollte Edina suchen.
Dort stieß er auf Juray, den Gärtner, der auf einem etwas erhöhten Punkt stand und besorgt abwechselnd immer wieder zum Himmel und aufs Meer hinaus starrte.
»Sie muß drüben sein«, murmelte er, »sicher ist sie drüben und wartet ab, bis das Meer sich wieder beruhigt hat.«
»Von wem sprichst du, Juray?«
Wie ertappt zuckte der alte Mann zusammen. Er hatte den Butler nicht herankommen gehört.
»Von wem du sprichst, möchte ich wissen!«
»Von Ihrer Hoheit natürlich, von unserer Prinzessin.«
»Hast du sie gesehen?«
»Freilich! Gewarnt habe ich sie, immer wieder gewarnt. Aber sie wollte nicht auf mich hören.«
»Wovor hast du sie gewarnt?«
»Vor der Fahrt auf das Meer hinaus.«
»Edina – die Prinzessin ist auf das Meer hinausgefahren?«
»Ja, das sage ich doch. Mit dem Motorboot und ganz allein. Ich habe gesagt, die Bora kommt, aber sie… Und nun sehen Sie doch selbst, Herr Archibald, habe ich nicht recht behalten? Die See kocht förmlich. Gut nur, daß die Prinzessin schon lange unterwegs ist. Sie muß längst drüben am anderen Ufer sein und wird dort warten, bis sie wieder zurückkehren kann, oder sie wird mit dem Fährboot kommen. Aber das wird der König wohl wissen, es gibt ja Telefon.«
Archie war da nicht so sicher. Hatte Edina wirklich telefoniert? Dann hätte der Sekretär es eigentlich wissen müssen.
Wo war die Prinzessin gerade?
War sie vielleicht doch auf dem Meer, war sie vielleicht… Archie wagte kaum, den Gedanken zu Ende zu führen.
Angestrengt und voller Sorge starrte er auf die weite, bleigraue Wasserfläche, die von den weißen Schaumkronen der Wellen wie zerrissen wirkte.
Da! Für einen Moment glaubte Archie, das Herz setzte ihm aus.
Dort hinten, mitten auf dem Kanal, war das rotweiße Sportboot zu erkennen. Wie eine Nußschale wurde es von den Wellen hin und her geworfen.
Allmächtiger! Dort war Edina, ganz allein, und sie schwebte in höchster Lebensgefahr!
»Hol Hilfe herbei, Juray, schnell!« rief Archie. »Alarmier die Leute vom Schloß und vor allem die Fischer! Beeilung, keine Sekunde ist zu verlieren!«
Archie hastete schon zum Ufer hinunter, rannte zur Mole.
Mit einem schnellen Blick suchte er sich unter den angebundenen Booten das kräftigste heraus, von dem er wußte, daß es den stärksten Motor hatte.
Trotzdem war es Wahnsinn, auch mit diesem Boot hinauszufahren. Bei dieser schweren See würde auch der stärkere Motor nichts helfen.
Aber Archie überlegte nicht lange, und er zögerte keine Sekunde, sich in Gefahr zu begeben.
Er konnte und wollte nicht warten, bis die schweren Fischerboote flottgemacht wären, bis vom Festland her das alarmierte Rettungsboot kommen würde.
Bis dahin konnte es längst zu spät sein.
Edina brauchte Hilfe, sofort, da gab es kein Überlegen und keinen Gedanken an die eigene Sicherheit.
Die See packte das Boot mit aller Gewalt, nachdem es aus dem Windschatten der Insel heraus war.
Die Brecher kamen von vorn und schlugen über dem Boot zusammen. In Sekunden war Archie völlig durchnäßt. Mit eisernem Griff hielt er das Steuer, und nun kam es ihm zugute, daß er sportlich durchtrainiert und im Umgang mit Motorbooten erfahren war.
Geschickt fuhr er die Wellen an, wo bei einem weniger geübten Steuermann das Boot sofort zum Kentern gebracht worden wäre.
Trotzdem hatte auch Archie seine liebe Not, denn ihm war klar, daß mit Können und Mut allein hier wenig auszurichten war.
Er brauchte Glück, sehr viel Glück, wenn er die Prinzessin erreichen wollte, ehe es zu spät war.
Das Herz krampfte sich ihm
zusammen, wenn er an Edina dachte – und nun wußte er plötzlich auch, welcher Art die Gefühle waren, die er für das junge Mädchen hegte.
Er liebte Prinzessin Edina.
Es war keine Liebelei, deren er schon einige hinter sich hatte, wie wohl jeder Mann seines Alters, sondern diesmal war es die wirkliche Liebe.
Sonderbar, daß er es nicht gleich gespürt hatte.
Aber er hatte geglaubt, verzichten zu müssen, hatte annehmen müssen, die Prinzessin sei bereits so gut wie verlobt. Und nun…
Wieder kam eine Welle, die aus der Sicht des niedrigen Bootes riesengroß wirkte.
Archie duckte sich und hielt das Steuer so fest, als wäre er damit verwachsen.
Gleich darauf wurde das Boot hochgehoben wie von einer Riesenfaust, es wurde von einer Welle getragen, und wie von einem Aussichtsturm aus spähte Archie in die Richtung, in der er Edina in ihrem Boot vermutete.
War sie überhaupt noch im Boot? War es nicht schon längst umgeschlagen?
Gleich einem Fahrstuhl sauste Archie wieder in die Tiefe, in ein Wellental hinein. Aber vorher hatte er gerade noch etwas gesehen, was ihm das Blut in den Adern erstarren ließ.
Edinas Boot war umgeschlagen, es trieb kieloben in den Fluten.
Wo war die Prinzessin?
Sein Boot wurde wieder hochgehoben, und Archie entdeckte, gar nicht mehr so weit entfernt, einen orangefarbenen Fleck auf dem Wasser. Das mußte Edina sein! Er erinnerte sich, daß sie ein Kleid in dieser Farbe getragen hatte.
Er riß das Steuer herum, lenkte auf die Prinzessin zu und hoffte, daß er sie noch rechtzeitig erreichen möge.
Aber ja, Edina lebte! Er sah, wie sie schwach eine Hand hob. Offenbar hatte auch sie das Boot bemerkt.
»Ich komme!« schrie Archie. »Aushalten!« Obwohl er wußte, daß der Wind ihm die Worte wie Fetzen vom Mund riß und Edina sie niemals hören konnte.
Aber nun war er so nah, daß er die im Wasser Treibende beinahe schon ergreifen konnte. Das aufgelöste Haar schwamm wie schwarzer Tang auf dem Wasser, und Edinas Bewegungen waren erschreckend schwach. Offenbar war sie völlig erschöpft.
In einem ersten Impuls wollte Archie ins Wasser hechten, dem geliebten Mädchen zu Hilfe eilen, so rasch er nur konnte.
Aber die Vernunft behielt doch die Oberhand. Wenn er das Boot verließ, es in diesen aufgewühlten Wassermassen steuerlos machte, dann würde es ebenfalls augenblicklich kentern.
Würde