Marisa Frank

Fürstenkrone Staffel 10 – Adelsroman


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Geschicklichkeit, zu der auch eine unbändige Kraft gehörte, brachte er das Boot in unmittelbare Nähe der Schwimmenden. Schon vorher hatte er zwei Strickleitern über Bord geworfen.

      Edina versuchte, danach zu greifen, aber sie war zu geschwächt.

      Nun blieb Archie nichts anderes übrig, als selbst einzugreifen.

      Wenn nur das Boot aushielte. Er mußte das Steuer loslassen, das Boot den Wellen ausliefern.

      Würde es gutgehen? Oder…

      Nein, zum Nachdenken war keine Zeit.

      Archie legte den Leerlauf ein, er stemmte sich mit den Füßen gegen die Planken und beugte sich weit über den Rand des Bootes.

      Mit beiden Händen griff er nach der jungen Frau, die schon wieder abzutreiben drohte, und konnte sie gerade noch an ihrem weiten Rock fassen.

      Edina spürte den Halt, sie klammerte sich an Archies Arm fest und wurde von einer Welle gegen die Bootswand geschleudert, so daß sie vor Schmerz und Schreck laut aufschrie.

      Archie hatte die Welle kommen sehen. Er hatte Edina nicht vor dem Zusammenprall bewahren können, aber er nutzte die Kraft des hochschlagenden Wassers geschickt aus, um Edina blitzschnell an Bord zu ziehen. Keine Sekunde zu früh.

      Das Boot lag fast senkrecht auf der Seite, es kippte schon gefährlich nach vorn.

      Wie ein Wilder warf Archie sich mit seinem ganzen Körpergewicht zur anderen Seite, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Und es gelang. Das Boot neigte sich wieder zurück, der Kiel kam wieder mit dem Wasser in Berührung, die größte Gefahr war gebannt.

      Aber noch konnte Archie sich nicht um die Gerettete kümmern. Er griff zum Steuer und gab wieder Gas.

      Die Kraft des Motors sollte mit den tosenden Mächten der Natur kämpfen, Menschenkraft konnte hier nichts ausrichten.

      Wo blieben denn nur die Helfer?

      Archie wußte, daß die anderen Boote noch nicht hiersein konnten, daß die Verantwortung für das Leben der Prinzessin noch ganz allein bei ihm lag.

      Ein Blick in die Runde überzeugte ihn, daß das Festland näher war als die Insel. Also nahm er Kurs zum Festland. Er wollte eine kleine Bucht ansteuern, dort wären die ärgsten Gefahren zunächst einmal abgewandt.

      Später wußte Archie es kaum noch zu sagen, wie er es tatsächlich geschafft hatte, die Bucht zu erreichen.

      Immer wieder war das Boot in die Gefahr des Kenterns gekommen, immer wieder entschieden Sekundenbruchteile, seine Geistesgegenwart und Kraft praktisch über Leben und Tod – und dann war es endlich geschafft!

      Das Boot trieb in den Windschatten der Bucht, sofort wurde auch das Wasser ruhiger, Archie konnte endlich aufatmen.

      Edina kauerte zu seinen Füßen. Er hatte es während des Kampfes mit den Naturgewalten überhaupt nicht bemerkt.

      »Wie fühlen Sie sich, Prinzessin?«

      »Ich – ich schäme mich so.«

      »Warum?«

      »Weil doch alles meine Schuld ist. Ich war dumm und kopflos, bin einfach davongerannt, habe die Warnungen des Gärtners in den Wind geschlagen, und nun – und nun hätte es beinahe Ihr Leben gekostet, Archie.«

      »So schnell gebe ich nicht auf. Ich bin ein richtig ziemlich zäher Bursche.«

      Das sollte munter und ein bißchen burschikos klingen, aber Archie hatte sich doch vorher die Kehle freiräuspern müssen, denn plötzlich hatte er erkannt, daß die Prinzessin nicht um sich, sondern um ihn Angst gehabt hatte.

      War das denn die Möglichkeit? Das würde ja bedeuten…

      Siedend heiß strömte es zum Herzen des jungen Mannes, und obwohl er völlig durchnäßt und erschöpft war, glaubte er, sich noch nie in seinem ganzen Leben so wohl gefühlt zu haben.

      »Archie?« wisperte Edina.

      »Ja, Hoheit?«

      »Archie, wir sind doch beide mit knapper Not dem Tod entronnen, nicht wahr?«

      »Nun, eine Weile hätten wir wohl noch schwimmen können, wenn auch das…«

      »Nein, ich weiß, was es bedeutet, bei einem solchen Sturm im Meer zu treiben. Und wenn Sie nicht gekommen wären, Archie, wäre ich jetzt sicher tot, ertrunken.«

      »Wir wollen so etwas Schreckliches nicht denken, Prinzessin.«

      »Doch, ich will aber daran denken. Und ich will es nie wieder vergessen. Und wenn man dem Tod so nahe gewesen ist, dann darf man auch ohne Scheu die Wahrheit sagen, oder?«

      »Die Wahrheit ist niemals ein Fehler, Hoheit.«

      »Nun, in gewisser Beziehung doch. Wenn zum Beispiel ein Mädchen wie ich… Archie, ich bin so dumm gewesen. Ich hatte mir eingebildet, den Fürsten von Lukorin zu lieben, ich war sogar unterwegs zu ihm, wollte ihn noch von meiner Liebe überzeugen. Wie konnte ich nur so kindisch sein.

      Sie brauchen mich nicht so überrascht anzuschauen, Archie. Sie sind doch mein Vertrauter gewesen, Ihnen habe ich alles erzählt, und so sollen Sie auch wissen, daß ich endlich klug und vernünftig geworden bin. Wäh­rend dieser Höllenfahrt im Boot, als ich so ganz allein war, ist mir das alles klargeworden.

      Vielleicht klingt es albern, aber ich habe das Gefühl, in dieser kurzen Zeit erwachsen geworden zu sein. Es war Kinderei, meine sogenannte Liebe zum Fürsten Drago. Das weiß ich, aber nicht etwa nur deshalb, weil er eine andere Frau liebt.«

      »Wirklich nicht?«

      »Nein. Wenn es anders gekommen wäre, wenn der Fürst um meine Hand angehalten und mich vielleicht geküßt hätte, ich weiß jetzt ganz sicher, daß mir spätestens in einem solchen Augenblick klargeworden wäre, daß ich den Fürsten nicht liebte, weil ich…«

      Ja?«

      »Weil ich in Wahrheit einen anderen Mann liebe. Ach, Archie, Sie müssen mich für hysterisch halten, für ein verrücktes junges Ding, das sich von einer Liebe in die andere stürzt. Aber wir beide waren dem Tod so nah, ich muß es einfach sagen, ich kann nicht schweigen, obwohl…«

      »Nichts mehr sagen, kleine Edina!« unterbrach Archie sie leise.

      Längst hatte er sie neben sich auf den Sitz gezogen, beide Arme um sie gelegt, um sie zu wärmen.

      Nur um sie zu wärmen?

      »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich verstehe so gut, was in dir vorgeht.«

      »Du hast mich immer verstanden, Archie, wie noch nie ein Mensch vorher. Ich möchte bei dir bleiben dürfen, für immer!«

      »Weißt du, was du da sagst, Edina?« fragte Archie ernst.

      »Ach ja, und nun wirst du mich doch für hysterisch halten. Heute morgen noch glaubte ich den Fürsten von Lukorin zu lieben, wollte ich mich ihm geradezu an den Hals werfen, und jetzt sage ich dir…«

      »Ja, ich weiß schon, Edina, und ich glaube dir auch. Deine Gefühle hatten sich verirrt, es wäre schon möglich, daß du jetzt klug geworden bist, daß du nun wirklich weißt, was dein Herz dir sagt. Aber ich frage dich noch einmal Edina, ist dir die Bedeutung dessen, was du gesagt hast, voll und ganz klar?«

      »Ich liebe dich. Könnte es da noch eine andere Bedeutung geben?«

      »O doch, Edina, es gibt noch eine andere Bedeutung.«

      »Ach so. Du meinst, weil du nur ein Butler bist? Archie, ich habe dir doch gesagt, daß ich endlich erwachsen geworden bin. Jetzt zählt für mich nur noch der Mensch, was bedeutet denn schon ein Titel? Ach, Archie, wenn du mich doch auch nur ein klein bißchen liebhaben könntest. Ich verlange gar nicht mehr. Ich möchte nur…«

      Da zog der junge Mann das Mädchen noch näher zu sich heran. Ganz sanft nahm er ihren Kopf in seine Hände, er blickte ihr tief in die Augen und sagte zärtlich: »Ich habe dich nicht nur ein