verstehe den König und seine Frau nicht«, murmelte er. »Die Prinzessin müßte härter angefaßt werden, viel härter. Meine Tochter dürfte jedenfalls nicht so sein.«
Davon hörte Edina natürlich nichts, und wenn sie es gehört hätte, wäre es ihr wohl auch höchst gleichgültig gewesen. Was kümmerte sie schon der Sekretär ihres Vaters, wo sie doch jetzt eine lebenswichtige Aufgabe zu erfüllen hatte.
Es ging um ihr Lebensglück. Und um das des Fürsten. Um nichts mehr und nichts weniger.
Mit weiten Sätzen durchquerte Edina die Halle, nicht darauf achtend, ob sich jemand über das ungewöhnliche Verhalten der Prinzessin wunderte. Sie stürmte hinaus, rannte quer durch den Park geradewegs zur Anlegestelle.
Dort, an der kleineren Mole, lagen die Motorboote. Fieberhaft machte Edina sich daran, die Vertäuung zu lösen.
Normalerweise konnte sie gut mit Motorbooten umgehen. Hier auf dem Inselschloß ersetzen sie mehr oder weniger das Auto, denn nur mit Booten konnte man das Festland oder die benachbarten Inseln erreichen, wenn man nicht auf die langsameren Fährschiffe warten und angewiesen sein wollte.
Schon früh hatte Edina mit ihrem Vater oder mit zuverlässigen Angestellten fahren dürfen, man hatte sie auch oft ans Steuer gelassen, aber natürlich hatte Edina noch nie allein eine Tour aufs Meer hinaus machen dürfen.
Doch danach fragte Edina nicht. Viel zu langsam löste sich der Knoten, mit dem die Ankerleine an dem eisernen Haken befestigt war.
Kein Wunder, das war ein fachgerechter Seemannsknoten, und damit hatte Edina sich noch nie aufgehalten, für solche Arbeiten waren immer andere dagewesen.
Doch Edina wollte niemanden rufen, sie dachte nicht einmal daran.
Nur fort wollte sie, zum Festland hinüber, nach Schloß Lukorin. So schnell wie möglich.
Juray, der alte Gärtner, hatte die Prinzessin beobachtet. Mit offenem Mund hatte er hinter ihr hergesehen, nachdem sie ihn im Rosengarten beinahe umgerannt hätte, ohne ihn überhaupt zu sehen. Neugierig war er ihr gefolgt, und nun sah der alte Mann zu seinem Schrecken, daß sich die Prinzessin an den Booten zu schaffen machte.
Da faßte er sich ein Herz, obwohl es ihm nicht zustand, den hohen Herrschaften Ratschläge zu geben.
Edina hatte ihn auch nicht bemerkt, als er näher trat.
Der alte Mann räusperte sich und fragte: »Wollen Hoheit jetzt aufs Meer hinaus?«
Edina schaute gar nicht auf.
»Das siehst du doch, Juray«, erwiderte sie gar nicht freundlich.
»Da möchte ich Ihnen ganz entschieden abraten, Hoheit, ich…«
»Niemand hat dich nach deiner Meinung gefragt, Juray.«
»Ich bitte vielmals um Vergebung, Hoheit, daß ich mich trotzdem einmische, aber Sie dürfen jetzt nicht hinaus.«
»Wer soll mir das verbieten? Du etwa?«
»Wie könnte ich Ihnen etwas verbieten, Hoheit. Aber die Bora kommt, da darf man sich nicht hinauswagen aufs Meer.«
»Ach was, du willst mir nur Angst machen. Die Sonne scheint, und das Meer ist ruhig. Was willst du also?«
Edina nestelte noch immer an dem Knoten, sie kümmerte sich nicht um das aufgeregte Gehabe des Gärtners.
Die Stimme des alten Mannes wurde beschwörend.
»Sie wissen doch, wie plötzlich die Bora einfallen kann, Hoheit. Sie haben lange genug hier gelebt.«
»Auch die Bora kündigt sich vorher an, das weiß ich.«
»Selbstverständlich, und diese Anzeichen sind jetzt da, Hoheit. Bitte, so glauben Sie mir! Der Luftdruck ist gefallen, und über dem Festland haben sich die verräterischen kleinen Wölkchen gebildet.«
Edina wandte den Kopf dem Festland zu.
Tatsächlich, da standen sie, die typischen weißen Wölkchen, die wie Wattebäuschchen aussahen. So hübsch sahen sie aus, so friedlich, und sie sollten die Bora, den gefährlichen Fallwind, ankündigen?
»Du willst mir nur Angst machen, Juray. Kümmere dich lieber um die Rosen und laß mich in Ruhe, verstanden.«
»Ich bitte um Vergebung Hoheit, aber Sie dürfen nicht hinausfahren! Nicht mit diesem Boot. Selbst für die schweren Fischerboote ist die Bora gefährlich, und dann sitzen dort kräftige Männer am Ruder, Sie aber…«
»Ich kann gut mit dem Boot umgehen, Juray, viel besser, als du glaubst. Und ich lasse mich nicht bange machen. Hör endlich auf mit deinem Geschwätz, du störst mich nur.«
»Hoheit, ich…«
»Hast du nicht gehört, was ich dir gesagt habe? Du meinst wohl, weil du schon so alt bist und so lange zu unserem Schloß gehörst, könntest du dir alles erlauben, nicht wahr? Aber du hast mir keine Vorschriften zu machen, merk dir das endlich!«
Der Prinzessin war es inzwischen gelungen, das Boot freizubekommen.
Mit beachtlicher Geschicklichkeit stieß sie es von der Mauer ab und hüpfte hinein. Der Zündschlüssel steckte, sie drehte daran, und sofort sprang der Motor an.
Mit festen, energischen Händen packte Edina das Steuerrad, sie stellte den Gashebel auf volle Kraft, und wie eine Rakete schoß das Sportboot aus dem kleinen Hafen, sich vorn steil aufrichtend; denn bei der geringen Belastung war das Tempo viel zu groß.
Es sah richtig gefährlich aus.
»Mein Gott, mein Gott«, murmelte der alte Gärtner, »wenn das nur gutgeht! Sie hätte auf mich hören müssen, die kleine Hoheit, ich habe es doch nur gut gemeint. Aber sie lassen sich nichts sagen, die hohen Herrschaften. Glauben, alles besser zu wissen, bloß weil sie länger zur Schule gegangen sind. Dabei ist die Natur die beste Schule, die allerbeste. Und wenn der alte Gärtner Juray sagt, die Bora kommt, dann kommt sie auch.«
Aber Juray hatte keine Lust, sich ein zweites Mal abkanzeln zu lassen, sich vielleicht noch eine Rüge vom König persönlich zu holen.
Nein, er wollte sich nicht mehr um Dinge kümmern, die ihn nichts angingen.
Und so zog der Gärtner Juray sich brummelnd zu seinen Rosen zurück.
Er schaute zwar immer wieder besorgt zum Himmel, aber er sagte nichts mehr. Man hatte es ihm ja verboten.
*
Edina hatte es sofort leid getan, so unfreundlich zu dem alten Gärtner gewesen zu sein. Das war sonst gar nicht ihre Art.
Aber sie war so verstört, sie konnte es nicht erwarten, mit dem Fürsten von Lukorin zu sprechen, damit dieser furchtbare Irrtum seiner Verlobung rasch aus der Welt geschafft würde – wie sollte sie da Geduld haben für die übertriebenen Warnungen des alten Mannes.
Sie war kein Wickelkind mehr. Und mit ein bißchen Wind würde sie auch noch fertig werden. Da sie sich doch vorgenommen hatte, das Steuer ihres Lebensschiffes selbst in die Hand zu nehmen und dem Mann, der nichts von ihrer Liebe wußte, die Wahrheit zu sagen.
Nein, Prinzessin Edina hatte keine Furcht in diesem Augenblick. Nicht vor dem Meer und nicht vor der bevorstehenden Aussprache.
Sie hatte alle Gedanken ausgeschaltet, hatte einzig und allein ihr Ziel im Sinn, und darauf war all ihr Tun ausgerichtet.
Und das konnte recht gefährlich werden.
Sie merkte schon, daß die See sehr unruhig war, als das Boot aus dem Windschatten der Insel auf die freie Meeresstraße hinaus kam.
Die Wellen, eben kaum sichtbar, hatten schon kleine Schaumkrönchen, und Edina mußte das Steuer recht fest in ihren kleinen Händen halten, um den Kurs zum Festland einhalten zu können.
Der Wind hatte aufgefrischt, aus Nordost, und war empfindlich kühl.
Doch das alles hinderte Prinzessin Edina nicht daran, ihren