war ein anderer Ton. Etwas Herrisches und Befehlendes lag darin, und nun wagte der Mann nicht länger, sich zu sträuben.
Wenn die Prinzessin ihm die Post abnahm – nun gut, was war denn schon dabei? Ihm würde niemand einen Vorwurf machen können, und die Tatsache, daß ihm ein Weg erspart wurde, war schließlich auch nicht zu verachten.
»Das ist die Privatpost der königlichen Familie, Hoheit«, sagte der Mann und machte eine kleine Verbeugung. »Werden Hoheit auch nicht zu schwer daran zu tragen haben?«
»Aber nein, woher denn!« Edina lachte. Sie freute sich, daß sie ihr Ziel erreicht hatte. »Ich bin doch noch keine alte Frau.«
Freundlich nickte sie dem Mann zu und machte sich auf den Weg zum Arbeitszimmer des Königs.
Sie wollte die Post sofort abliefern, nur vorher durchblättern, weil sie neugierig war. Jetzt müßte doch endlich die ersehnte Nachricht von Schloß Lukorin kommen.
Noch länger konnte der Fürst sie nicht warten lassen.
Die Prinzessin hatte ihren Kummer und Ärger von vorhin bereits wieder vergessen. Jetzt war ihr nur noch der Fürst von Lukorin wichtig.
Sie schlenderte über die Mole und bog hinter der Mauer ab, die den kleinen Hafen abschirmte.
Rasch blickte Edina sich um. Es war niemand da, der sie beobachten konnte, und nun gab es für sie kein Zögern mehr.
Mit der Geschicklichkeit eines geübten Postsortierers blätterte sie den Packen durch. Wer hatte alles geschrieben? Es waren fast alles Absender, die Edina nicht sonderlich interessierten. Eine Tante, die sicher wieder über ihre Migräneanfälle klagte, eine Base, die in Amerika studierte, und sehr viel amtlich aussehende Post für den König.
Edina zog schon ein etwas enttäuschtes Mündchen, als sie plötzlich wie elektrisiert auffuhr.
Dieser Umschlag, der letzte in dem Packen, er war es, nach dem sie gesucht hatte, auf den sie schon so lange wartete.
Der große weiße Umschlag trug das eingehämmerte Wappen des Fürsten von Lukorin.
Endlich! Nun war es soweit. Edinas Herz klopfte zum Zerspringen. Bleischwer wurde der Brief. Hier hielt sie ihr künftiges Schicksal in der Hand.
Das war das Glück, das wundervolle Glück, wie es vor ihr bestimmt noch niemand so intensiv empfunden haben konnte.
Ganz leicht und frei war ihr auf einmal.
Wie hatte sie sich einbilden können, der Fürst würde ihr auf dem Fest seine Liebe gestehen, sie vielleicht sogar um eine sofortige Verlobung bitten.
Ach nein, da war sie recht dumm gewesen. Es mußte doch alles seine Ordnung haben. Das war in Bürgerhäusern so, und in Fürstenschlössern mußte man erst recht auf die Formen achten.
Wenn der Fürst um ihre Hand anhalten wollte – und daran zweifelte Edina keine Sekunde –, mußte er zunächst mit ihrem Vater, dem König von Norawa, sprechen.
Und nun war es soweit!
Hier war der Brief, Edina hielt ihn in der Hand, mit dem der Fürst seine Absicht ankündigte.
Es war so schön, so wunderschön, Edina hätte am liebsten laut gesungen. So weit war ihr das Herz.
Aber dann besann sie sich, daß das hier nicht gut ginge. Was sollten denn die Leute von ihr denken.
Unwillkürlich richtete Edina sich etwas auf und hielt den Kopf gerade, wie man es ihr schon hundertmal gesagt hatte, was sie sonst aber immer wieder vergaß. Doch jetzt würde das anders werden.
Sie war nun nicht mehr nur die kleine Prinzessin von Norawa, sondern die künftige Fürstin von Lukorin, und als solche hatte sie natürlich Verpflichtungen. Sie mußte sich immer und in jeder Situation tadellos und wie eine Dame benehmen.
Edina legte den Brief wieder zu den anderen, nahm das Bündel unter den Arm und setzte sich in Bewegung. Sie ging ganz langsam, ganz würdevoll, so wie sie glaubte, daß eine künftige Fürstin schreiten müsse.
Doch der gute Wille reichte nur für ein paar Schritte. Die innere Spannung war einfach zu stark. Edina konnte es nicht erwarten, bis ihr Vater das Schreiben öffnen würde.
Zwar glaubte sie genau zu wissen, was in dem Brief stand, aber sie wollte nun auch unbedingt den genauen Wortlaut erfahren, wollte wissen, wie der Fürst es erklärte, daß er sich für sie entschieden habe, ob auch ein paar liebe Worte für sie bestimmt waren.
Gar nicht mehr damenhaft rannte Edina durch den Park. Sie machte so lange Sätze wie ein Junge, übersprang im Rosengarten sogar ein schmales Beet. Das ging um ein Haar schief, denn der weite Rock verfing sich in den Dornen, und es fehlte nicht viel, dann wäre Edina gestürzt. Aber sie konnte sich gerade noch fangen, blickte ein wenig schuldbewußt an sich hinunter. Ein klaffender Riß war in dem Stoff zurückgeblieben.
So durfte sie der Königin auf keinen Fall unter die Augen treten, das würde wieder einen saftigen Tadel geben und die Feststellung, daß aus ihr eben nie eine richtige Dame würde.
Gerade an diesem Tag aber wollte Edina so etwas nicht hören; denn eine künftige Fürstin von Lukorin…
Die Prinzessin hatte sich schon wieder in Bewegung gesetzt. Ein wenig vorsichtiger ging sie zwar, denn hier konnte man sie schon vom Schloß aus beobachten, und noch ein Sturz wäre sehr peinlich gewesen.
Endlich hatte sie die Halle erreicht. Es war niemand hier, und so riskierte Edina noch einmal ein paar Laufschritte.
Blitzschnell bog sie dann um die Ecke, lief den langen Gang hinunter, der zu den Arbeitsräumen des Schloßherrn führte.
Die Prinzessin nahm sich nicht erst Zeit, an der Tür zum Zimmer des persönlichen Sekretärs des Königs anzuklopfen. Sie stürmte hinein und sagte atemlos: »Ich muß zu meinem Vater, ich bringe ihm die Post.«
»Das ist sehr liebenswürdig, Hoheit«, antwortete der Sekretär geschmeidig. »Darf ich Ihnen die Post abnehmen?«
»Sie? Nein, natürlich nicht! Ich will sie doch meinem Vater bringen.«
»Seine Hoheit hat eine Besprechung. Er darf auf keinen Fall gestört werden.«
»Ach, eine Besprechung?«
Edinas Enttäuschung war grenzenlos. Daß der König nicht zu sprechen sein könnte, hatte sie nicht bedacht. Diese Möglichkeit wäre ihr gar nicht in den Sinn gekommen.
Sie war so sicher gewesen, daß ihr Vater den Brief gleich öffnen und sie dann, nachdem er ihn gelesen, gerührt in die Arme schließen würde.
Und nun sollte sie noch länger warten, unverrichteterdinge wieder abziehen?
Der Sekretär stand erwartungsvoll vor ihr, bereit, die Post in Empfang zu nehmen. Aber Edina umschloß das Päckchen mit beiden Händen, als wollte sie sich nie davon trennen.
»Könnte man meinen Vater nicht doch mal für fünf Minuten herausrufen?« fragte sie drängend.
»Das ist leider ganz und gar ausgeschlossen, Hoheit. Ich würde es natürlich gern für Sie tun, aber Seine Hoheit hat strengste Anweisung gegeben, ihn nicht zu stören.«
»Ja, dann kann man wohl nichts machen.«
»Leider nein, Hoheit.«
»Das ist schade.«
»Ich bedaure, Ihnen nicht helfen zu können.«
»Nett von Ihnen.«
»Wünschen Sie, daß ich Sie sofort benachrichtige, wenn Seine Hoheit wieder zu sprechen ist?«
»Ja, das könnten Sie tun.«
Edina sprach ganz mechanisch. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft, aber sie drehten sich immer im Kreis, sie kamen zu keinem Ergebnis.
»Geben Sie mir dann bitte die Post?«
»Wie bitte?«
»Ich bat Sie, mir die